V‑Mann-Affäre: Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf / Innenministerium erteilt Aussagegenehmigungen
(MAZ) POTSDAM In der V‑Mann-Affäre wird die Potsdamer Staatsanwaltschaft in Kürze
etliche hochrangige Sicherheitsbeamte der brandenburgischen Landesregierung
vernehmen. Darunter befinden sich nach Informationen der MAZ auch
Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin sowie der Direktor des Landeskriminalamts (LKA),
Axel Lüdders.
“Die Aussagegenehmigungen des Innenministeriums iegen jetzt vor”, erklärte
gestern der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Ralf Roggenbuck. Vernommen werden
sollen Personen, die über die Hintergründe einer im Februar 2001 von einem
Spitzel des brandenburgischen Verfassungsschutzes verratenen Polizeirazzia
gegen die rechtsextreme Szene informiert sein könnten. Nach Recherchen der MAZ
stand die Aktion im Kontext mit Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen
die Terrorgruppe “Nationale Bewegung”, die am 8. Januar 2001 einen
Brandanschlag auf den jüdischen Friedhof in Potsdam verübt hatte.
Mit den Vernehmungen solle nun etwas Licht in das Dunkel der V‑Mann-Affäre
gebracht werden, hieß es in Sicherheitskreisen. Demgegenüber herrscht unter
Politikern die Einschätzung vor, die Hintergründe des Verrats seien schon
hinreichend aufgeklärt. Es gebe keinen V‑Mann-Skandal, hatte die für die
Überwachung des Geheimdienstes zuständige Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) am
Dienstag erneut befunden.
In der geheimen Sitzung ist es der Verfassungsschutzbehörde offenbar
gelungen, alle vier PKK-Mitglieder von ihrer Sichtweise zu überzeugen und die
Glaubwürdigkeit des ehemaligen V‑Manns Christian K. zu erschüttern.
Der 27-jährige Neonazi hatte im Gespräch mit der MAZ behauptet, sein
V‑Mann-Führer “Max” habe ihm am 6. Februar 2001 den genauen Razziatermin genannt -
was die Geheimen beharrlich bestreiten. Daraufhin habe er am selben Nachmittag
vom Festnetzanschluss der Wohnung seiner Mutter in Damsdorf seinen Freund
angerufen, den bekannten Neonazi Sven S. im Nachbardorf Borkwalde. Da jedoch
dieses Telefonat vom LKA abgehört wurde und sodann die für den 17. Februar
geplante Razzia hastig auf den 7. Februar vorverlegt werden musste, habe “Max”
eine Geschichte erfunden, die den Verratsverdacht auf die Polizei lenken
sollte: K. solle behaupten, er habe in der Borkwalder Gaststätte “Pipi Langstrumpf”
das Gespräch zweier Polizisten belauscht, in dem das Datum laut erwähnt
wurde. Dass die “Pipi Langstrumpf”-Geschichte ein Lügenmärchen war, habe er etwa
ein Jahr später seinem damaligen V‑Mann-Führer “Dirk” berichtet, sagte K. der
MAZ.
Den zur Verschwiegenheit verpflichteten PKK-Mitgliedern sind am Dienstag
vermutlich jene dienstlichen Erklärungen präsentiert worden, die der Sprecher
des Innenministeriums, Heiko Homburg, Ende vergangener Woche erstmals erwähnt
hatte. Nach Informationen der MAZ hatte der vergangenen am Freitag publizierte
Bericht mit den Aussagen des V‑Manns beim Verfassungsschutz erhebliche
Unruhe ausgelöst. Dem Vernehmen nach mussten die V‑Mann-Führer des Ex-Spitzels
Erklärungen abgeben. In dem Zusammenhang hat dann wohl auch V‑Mann-Führer “Dirk”
bestritten, jemals über die wahren Hintergründe der verratenen Razzia
informiert worden zu sein.
Ex-V-Mann K. bleibt bei seiner Version. Sicher, räumt K. ein, habe die “Pipi
Langstrumpf”-Geschichte “irre” geklungen. “Max” und er hätten sogar selbst
lauthals darüber gelacht. Doch um “Max” zu schützen, habe er das Märchen
erzählt.
Staatsanwaltschaft in V‑Mann-Affäre am Zug
(MOZ) Potsdam (ddp-lbg). In der Affäre um den Verrat einer Razzia in der
rechtsextremen Szene ist jetzt die Staatsanwaltschaft Potsdam am Zug. Sie habe vom
Innenministerium die beantragten Aussagegenehmigungen erhalten, berichtet der
«Tagesspiegel» (Donnerstagausgabe). Dies bedeute zwangsläufig, dass hohe Beamte
als Zeugen zum Verrat der Razzia befragt werden. Geladen würden offenkundig
auch Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin und der Leiter des
Landeskriminalamts, Axel Lüdders.
Im Februar 2001 soll ein V‑Mann des Verfassungsschutzes einen Neonazi vor
Durchsuchungen gewarnt haben. Ein Beamter mit dem Decknamen «Max» habe ihm
vorab das Datum mitgeteilt und auch berichtet, dass die Razzia die Ermittlungen
gegen die rechtsextreme Terrorgruppe «Nationale Bewegung» voranbringen solle,
sagte der ehemalige Spitzel in einem Gespräch mit zwei Zeitungen. Die
Parlamentarische Kontrollkommission wies die Vorwürfe zurück. Seit Mai ermittelt die
Staatsanwaltschaft Potsdam wegen des Verdachts, der Spitzel und Bedienstete
der Sicherheitsbehörden hätten Dienstgeheimnisse verraten.
Verfassungsschützer vor dem Staatsanwalt
V‑Mann-Affäre: Behörden-Chef muss zum Verrat der Razzia aussagen – auch
Leiter des Landeskriminalamts geladen
(Tagesspiegel) Potsdam. In der V‑Mann-Affäre ist jetzt die Staatsanwaltschaft Potsdam am
Zug. Aus dem Innenministerium seien alle beantragten Aussagegenehmigungen
eingegangen, hieß es gestern bei der Anklagebehörde. Das bedeutet zwangsläufig:
Führende Beamte der Sicherheitsbehörden werden als Zeugen zum Verrat einer
Polizeirazzia befragt, darunter der Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes,
Heiner Wegesin und der Leiter des Landeskriminalamts, Axel Lüdders. Im Februar
2001 hatte, wie berichtet, ein V‑Mann des Verfassungsschutzes einen Neonazi
vor Durchsuchungen gewarnt. Die Staatsanwaltschaft erfuhr erst im Mai 2003
davon und ermittelt seitdem wegen des Verdachts, der Spitzel sowie Bedienstete
der Sicherheitsbehörden hätten Dienstgeheimnisse verraten.
Als Zeugen sollen auch Polizisten und Verfassungsschützer gehört werden, die
in irgendeiner Weise mit dem Verrat der Razzia befasst waren. Dies betrifft
zum Beispiel die Beamten des Landeskriminalamts, die am 6. Februar 2001 das
entscheidende Telefonat des rechtsextremen V‑Manns Christian K. mit dem
Neonazi Sven S. abhörten. In dem Gespräch äußerte der Spitzel, er habe von einem
ihm bekannten Polizisten erfahren, am 17. Februar 2001 solle die rechte Szene
mit einer Razzia überzogen werden. Die LKA-Beamten informierten das
Polizeipräsidium Potsdam, das die Durchsuchungen eilig auf den 7. Februar vorzog, aber
wenig fand.
Dass Christian K. in dem Telefonat von einem Polizisten sprach, ist nach
Ansicht mehrerer Sicherheitsexperten eine Finte. Hätte K. einen
Verfassungsschützer erwähnt, wäre er automatisch in der rechten Szene in Verdacht
geraten,
als V‑Mann für den Nachrichtendienst zu spitzeln.
Als Zeuge wird offenkundig auch der ehemalige V‑Mann-Führer von K. geladen.
Die Aussage des Beamten mit dem Decknamen „Max“ ist von besonderem Interesse.
Denn Christian K. behauptet, Verfassungsschützer „Max“ habe ihn Anfang 2001
vor der Razzia gewarnt – ungewöhnlich präzise. Der Beamte soll zum Beispiel
den 17. Februar als Datum genannt haben. Außerdem habe „Max“ erwähnt, die
Durchsuchungen stünden in Zusammenhang mit den Ermittlungen von
Generalbundesanwalt Kay Nehm gegen die Terrorgruppe „Nationale Bewegung“.
Sollten die Angaben von K. zutreffen, hätte sich Verfassungsschützer „Max“
des Verrats von Dienstgeheimnissen schuldig gemacht – überdies in einem als so
brisant geltenden Verfahren, dass der Generalbundesanwalt im Januar 2001 die
Ermittlungen an sich zog. „Max“ gab jedoch in einer dienstlichen Erklärung
an, er habe den V‑Mann nur „codiert“ vor einer Razzia gewarnt.
Christian K. belastet den Verfassungsschützer massiv. Als der Verrat der
Razzi
a bekannt wurde, soll „Max“ den V‑Mann gedrängt haben, ein Märchen zu
erzählen. Demnach habe Christian K. nicht von „Max“ erfahren, dass eine Razzia
drohte, sondern zufällig in der Borkwalder Kneipe „Pippi Langstrumpf“ einen
Polizisten über die Durchsuchungen lauthals reden hören. Diese Version wird
selbst im Innenministerium hinter vorgehaltener Hand als „abenteuerlich“
bezeichnet. Was die Staatsanwaltschaft Potsdam von der Geschichte hält, sagt sie
bislang nicht.