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Wegschauen, Zuzwinkern

Pots­dam - Lange Zeit galt Pots­dam als „antifaschis­tis­che Stadt“. Gewalt­tätige Über­griffe von Recht­sradikalen fan­den nicht hier, son­dern in Berlin oder im Umland statt. Doch seit zwei Jahren, wusste Frauke Pos­tel vom Mobilen Beratung­steam zu Gewalt­präven­tion und Recht­sex­trem­is­mus, find­en gezielte Pro­voka­tio­nen und Tätlichkeit­en auch hier statt. Die jüng­sten Schlagzeilen um den Chamäleon-Prozess scheinen dies zu bestäti­gen. „Die Stadt hat einen bes­timmten Reiz für nationale Kämpfer“, sagt die res­olute Frau, „sie zu erobern hat für Rechte etwas Schmück­endes.“ Peter Tiede, als PNN-Poli­tikchef Ken­ner der Szene und Mod­er­a­tor der Diskus­sion­srunde im Film­mu­se­um, wusste zudem von neuer rechter Präsenz im Schlaatz und am Stern zu berichten.

Der in Frankfurt/Oder ange­siedelte Spielfilm „Kom­bat Sechzehn“ des Cot­tbuser Regis­seurs Mirko Borscht diente als Grund­lage des Filmge­sprächs über Rechte Gewalt in Pots­dam und Bran­den­burg. Meinte man noch, Borscht hätte den Weg des jun­gen, west­deutschen Georgs in das recht­sex­treme und gewalt­bere­ite Milieu der Oder­stadt zu sehr an den sta­tis­chen Erk­lärungsmod­ellen der Sozialpäd­a­gogik aus­gerichtet, war über­raschend von Frauke Pos­tel zu hören, dass der Film die Real­ität sehr genau beschreibe. Borscht hat, wie er erk­lärte, die „sinnliche und physis­che Erfahrung von Gewalt“ darstellen wollen. Es gelingt ihm dabei beson­ders ein­prägsam, die Entwick­lung der­er zu schildern, die ger­ade ohne poli­tis­che Überzeu­gung in ein­schlägige Kreise ger­at­en. „Alltägliche exzes­sive Gewalt spielt unter Jugendlichen eine große Rolle“, hat Frauke Pos­tel in ihrer Arbeit erfahren, „die viel zu wenig in der Gesellschaft wahrgenom­men wird.“ Von Tiede auf das im Film pas­siv dargestellte soziale Umfeld ange­sprochen, berichtete Pos­tel über eine Hil­flosigkeit der Lehrer, die sich rasch verän­dernde rechte Jugend­kul­tur zu entschlüs­seln. „Sind Runen nun Design-Ele­mente oder faschis­tis­che Sym­bole, wie ist die Musik von Ramm­stein oder den Böh­sen Onkelz einzuord­nen?“ Pos­tel beze­ich­net rechte Musik als die „Ein­stiegs­droge Num­mer eins“. Oft kämen aus­län­der­feindliche Überzeu­gun­gen ein­fach „von Oma am Abend­brot­tisch“. Radikales Gedankengut würde heute zum Teil sog­ar „mit in der Eltern­ver­samm­lung“ sitzen, denn es stimme nicht, dass Recht­sradikalis­mus als Jugend­sünde mit dem Alter ein­fach aufhöre. Aus Jugendlichen sind nun Eltern gewor­den. Die Zivilge­sellschaft ste­he vor ein­er neuen Her­aus­forderung. Wäre es denn nun so, dass im Bran­den­burg­er Umland tat­säch­lich die demokratis­che Mitte beste­hend aus Intellek­tuellen, wegge­brochen wäre, wollte der Mod­er­a­tor wis­sen. Ein Zuschauer hat­te ein anderes Erk­lärungsmod­ell: die Recht­en näh­men in ihren Strate­gien nur Mech­a­nis­men auf, die aus dem Kon­sens der Gesellschaft kom­men, um diese radikal umzuset­zen, und nan­nte als Beispiele die Abschiebeprax­is und den staatlichen Umgang mit Asyl­be­wer­bern. Regis­seur Borscht bestätigte einen „Zus­pruch durch Weg­guck­en oder sog­ar Zuzwinkern“ in der Gesellschaft. Die Recht­en, sagte er, sähen sich als die „neue Avant­garde“, die „Cool­sten und Mutig­sten“, sie täten, was andere nur dächten.

Ein hoch infor­ma­tiv­er Abend zu einem der brisan­testen gesellschaftlichen Prob­leme, dem durch Wieder­hol­ung mehr öffentliche Aufmerk­samkeit zu wün­schen wäre.

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