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Weint nicht um mich”

(MAZ, Jens Rümm­ler) KOLBERG/POTSDAM “Teure Eltern! Ein großes Unglück ist über mich gekom­men. Wir wer­den uns
nicht mehr wieder­se­hen. So will es anscheinend das Schick­sal. Weint nicht um
mich, son­dern betet. Das Herz will mir vor Schmerz zer­sprin­gen, aber es muss
so sein .…” 26 Jahre alt war Bro­nis­lawa Czubakows­ka, als sie ihren
Abschieds­brief schrieb. Wenige Stun­den später führte sie der Scharfrichter
in der Hin­rich­tungsstätte Berlin-Plötzensee zum Schafott. Das Fall­beil fiel
am 15. August 1942 um 5.25 Uhr, am frühen Mor­gen eines herrlichen
Sommertages. 

Nach ein­er ihr zugeschriebe­nen Brand­s­tiftung verurteilte das Landgericht
Pots­dam die junge Frau möglicher­weise aus poli­tis­chen Willfährigkeit zum
Tode. Der Berlin­er His­torik­er Klaus Leut­ner ent­deck­te bei Recherchen in
Bran­den­burg­er und Berlin­er Archiv­en, dass die Polin laut ihrem letzten
Willen in ihrem Heima­tort Zgierz bei Lodz bestat­tet wer­den wollte. 63 Jahre
nach ihrer Ermor­dung sollen die sterblichen Über­reste der Polin im kommenden
Jahr nach Zgierz über­führt wer­den. Das Begräb­nis find­et voraus­sichtlich in
einem Staat­sak­tes statt. 

His­torik­er, die Deutsche Gesellschaft e.V., antifaschis­tis­che Ver­bände sowie
junge Leute wollen zuvor die bis­lang ungek­lärten Umstände des Todes von
Bro­nis­lawa Czubakows­ka ergrün­den. “Das Pro­jekt ist in dieser Form einmalig.
Deutsche und Polen, Pri­vatleute und staatliche Stellen ziehen an einem
Strang”, so Klaus Leut­ner. So set­zt sich der frühere Präsi­dent des
Landgerichts Pots­dam, Hans-Jür­gen Wende, für die Wieder­auf­nahme des
Ver­fahrens von Frau Czubakows­ka ein. Soll­ten Über­prü­fun­gen den Ver­dacht auf
ein Unrecht­surteil erhärten, sei ein neuer Richter­spruch nicht
aus­geschlossen, so Frank Tie­mann, Vor­sitzen­der Richter am Landgericht
Pots­dam. Der Prozess würde allerd­ings von einem anderen Gericht neu
ver­han­delt. Die Wieder­auf­nahme eines Gerichtsver­fahrens aus der NS-Zeit hat
es laut Tie­mann in let­zter Zeit am Landgericht Pots­dam nicht gegeben. Die
Berlin­er Krim­i­nalpolizei erstellte unter­dessen ein Phan­tom­bild der
Zwangsarbeiterin. 

Mit­telpunkt des Forschung­spro­jek­ts ist ein deutsch-polnischer
Jugen­daus­tausch, der in dieser Woche im Kol­berg­er Europa-Haus im Landkreis
Dahme-Spree­wald stat­tfand. Die Schirmherrschaft über­nah­men der scheidende
Land­tagspräsi­dent Her­bert Knoblich sowie die Vizepräsi­dentin des Berliner
Abge­ord­neten­haus­es Mar­ti­na Michels. Auf pol­nis­ch­er Seite wird das Vorhaben
vom Insti­tut des Nation­alge­denkens Lodz, dem Präsi­den­ten der Stadt Zgierz,
Karol Maslin­s­ki sowie der katholis­chen Kirche unterstützt. 

Schüler aus Pots­dam, Brandenburg/Havel, Berlin und Zgierz macht­en sich bei
Zeitzeu­gen kundig. “Wir fan­den viele unglaubliche Details her­aus”, sagt
Janosz Malin­s­ki, Schüler aus Zgierz. So sei Bro­nis­lawa Czubakows­ka zunächst
zu ein­er Zuchthausstrafe verurteilt wor­den. Wegen der “Schwere der Tat”
ver­hängte das Landgericht Pots­dam in ein­er zweit­en Ver­hand­lung die
Todesstrafe. 

Seit 1940 wird die junge Polin zur Arbeit in der Feinjute-Spinnstoff-Fabrik
Brandenburg/Havel gezwun­gen. Die Spin­nerei pro­duziert auch Uniformstoffe.
Die Zwangsar­bei­t­erin wird an ein­er nur für Deutsche zugelassenen
Werks-Toi­lette gese­hen. Dort bricht in einem Abfall­be­häl­ter wenig später ein
Brand aus. Für die Gerichte ist der Fall anscheinend sofort klar. Die Polin
habe “der Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes” einen “schw­eren Schlag”
ver­set­zen wollen. Der Richter unter­stellt laut den Akten eine
“deutschfeindliche Gesinnung”. 

Ein­deutige Beweise gibt es dage­gen offen­bar nicht. “Nach unseren Recherchen
und dem Akten­studi­um han­delt es sich mit an Sicher­heit grenzender
Wahrschein­lichkeit um Jus­tiz­mord. Von einem recht­staatlichen Ver­fahren kann
wohl nicht die Rede sein”, gibt ein pol­nis­ch­er Schüler seine Eindrücke
wieder. 

Bro­nis­lawa Czubakows­ka wird nach der Verurteilung am 13. Mai 1942 in das
Berlin­er Frauenge­fäng­nis an der Barn­im­straße über­führt. Als sie erkrankt,
kommt sie nach Moabit. “Beson­ders erschüt­ternd war für uns die teils
minu­tiöse Beschrei­bung der Hin­rich­tung in Plötzensee in den Akten der
Berlin­er Staat­san­waltschaft”, berichtet ein Schüler. “Um 5.25 wurde die
Richt­stätte betreten. Die Hal­tung der Verurteil­ten war gefasst. Nach
vorheriger Ent­blößung der Schul­tern wurde sie ohne Wider­streben auf die
Richt­bank gelegt”, notierte der Staatsanwalt. 

Die deutsch-pol­nis­che Aktion habe in Polen nicht nur Jubel aus­gelöst, räumt
ein Schüler aus Zgierz ein. Beson­ders ältere Polen kön­nten das ihnen
zuge­fügte Leid nicht vergessen. “Aber wir ver­ste­hen jet­zt viel bess­er, dass
junge Deutsche mit der Kriegstragödie nichts zu tun haben. Das verkün­den wir
auch in unser­er Heimat”, sagt Janosz Malinski.

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