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Wenn die Kinder zu Nazis werden

(30.05.05)
Am Anfang war die Musik, die aus dem Zim­mer von Mar­tin* klang. Laut und
schrill. «Ich habe da erst gar nicht genau hinge­hört, aber das war irgendwie
krass» , erin­nert sich sein Vater Rolf Heinze. Bald jedoch kam der damals
16-jährige Sohn in Springer­stiefeln und Bomber­jacke nach Hause. Seine Haare
wur­den kürz­er. Rolf Heinze hat­te keine Zweifel mehr, dass Mar­tin, damals
Schüler der zehn­ten Klasse eines Gym­na­si­ums, ein Recht­sradikaler geworden
war. 

Irgend­wann schaute Heinze sich dann doch die CDs seines Sohnes genauer an:
«Die sind alle zufäl­lig in meinen Hän­den zu Bruch gegan­gen» , beken­nt er. Am
näch­sten Tag waren sie neu gebran­nt wieder da. Für Heinze, der in einer
Kle­in­stadt in der Nieder­lausitz wohnt und im öffentlichen Dienst arbeitet,
brach eine Welt zusam­men: «Man fragt sich natür­lich sofort, wo habe ich
ver­sagt und vor allem, was kann ich jet­zt machen.» 

Starke rechte Jugendszene 

Eine Erk­lärung, warum Mar­tin, der ältere von zwei Söh­nen, in den braunen
Sumpf geri­et, kann der Vater bis heute nicht find­en. Mar­tin wuchs in einer
intak­ten Fam­i­lie auf, wurde christlich erzo­gen. Bei­de Eltern waren nie
arbeit­s­los. In der Schule gab es keine Prob­leme, Mar­tins Noten waren gut.
Der Vater hat­te sich seit Jahren als Eltern­sprech­er engagiert. «Es gab
damals hier im Ort bei den Jugendlichen nur rechts oder links, es gab keine
Mitte und in gewis­sen Kreisen war es chic, rechts zu sein» , beobachtete
Rolf Heinze. 

Eine starke rechte Jugend­szene prägt auch das Bild in dem Lausitzer Dorf, in
dem die Gym­nasi­astin Kar­la* lebt. Die war ger­ade erst 13 Jahre alt, als
ihrer Mut­ter Chris­tine Scholz* auffiel, dass die Tochter in
Fam­i­lienge­sprächen plöt­zlich aggres­siv und kon­tro­vers disku­tierte, wenn es
um die jün­gere deutsche Geschichte, um Schuld und Ver­ant­wor­tung für das
dritte Reich ging. Auch Chris­tine Scholz will nur anonym darüber reden, wie
ihre Tochter in den braunen Sumpf geri­et. Bei fast allen betrof­fe­nen Eltern
sind Schamge­fühl und Angst vor den Reak­tio­nen im Freundes‑, Bekan­nten- und
Kol­le­genkreis groß. 

Stre­it um Neonazikleidung 

Bald bekam die Mut­ter mit, mit wem Kar­la und ihre beste Fre­undin einen
großen Teil ihrer Freizeit ver­bracht­en: mit Anhängern ein­er bekannten
Neon­az­iband aus der Lausitz. Deren Musik lief auch bald in Kar­las Zimmer.
Anders als Mar­tin verän­derte sie sich äußer­lich nicht. Nur die Fam­i­lie bekam
mit, das sich im Kopf des Mäd­chens etwas änderte. 

Der Vater von Mar­tin hat­te sich zunächst wegen der immer deutlicheren
recht­en Szenek­lei­dung seines Sohnes zurück­ge­hal­ten. «Meine Frau hat mich
gebremst, die hat das anfangs unter­schätzt und ich wollte keinen
Fam­i­lienkrach.» Als Rolf Heinze sich nicht länger zurück­hal­ten wollte, war
Mar­tin inzwis­chen 18 Jahre alt gewor­den: «Dann wollte der eines Tages
ausziehen, weil er nicht mit mir reden wollte.» Was dann begann, bezeichnet
Heinze als unvorstell­bar schmale Grat­wan­derung, bei der er manch­mal auch
einen Schritt zurück­we­ichen musste, um dann wieder zwei Schritte vorangehen
zu können. 

Er machte seinem Sohn klar, was er von dessen neuer Gesin­nung hielt, ohne es
zum offe­nen Bruch kom­men zu lassen. Der Vater set­zte durch, dass keine
braune Musik mehr im Haus dröh­nte. Manchen Kumpel seines Sohnes, der in
Neon­azik­luft an der Tür klin­gelte, schick­te er nach Hause, sich umziehen.
Und er suchte immer wieder das Gespräch mit Mar­tin. Das, so wurde dem Vater
schnell klar, war der einzige Weg. Drastis­che Ver­bote oder ein Anreiz mit
Geld und Vergün­s­ti­gun­gen seien völ­lig zweck­los, so seine Erfahrung.
Gesprächsstoff für Vater und Sohn boten bald die ersten Ermittlungsverfahren
der Polizei, die gegen den Gym­nasi­as­ten wegen Schlägereien eingeleitet
wurden. 

Gespräche und Geduld 

Anfangs sei in den Gesprächen auf bei­den Seit­en nur Frust gewe­sen: «Er
dachte, er kann die Welt verän­dern, ich war verzweifelt, weil ich was
anderes gewollt hat­te.» Rolf Heinze fing an, viel über die Naz­izeit zu
lesen, über recht­sradikale Strate­gien und Argu­mente, um seinem Sohn in
Debat­ten gewach­sen zu sein. Anfangs hat­te er kaum Hoff­nung, dass von dem,
was er sagte, irgen­det­was bei Mar­tin ankam. Doch irgend­wann fing der ganz
langsam an, mit seinem Vater zu reden. 

Auch Chris­tine Scholz und ihr Lebens­ge­fährte, der Stief­vater von Karla,
fühlten sich zunächst völ­lig hil­f­los und über­fordert. Ver­suche, der Tochter
den neuen Fre­un­deskreis zu ver­bi­eten, scheit­erten kläglich. Dann setzten
auch Kar­las Eltern auf Geduld. Sie woll­ten erst mal her­aus­find­en, was das
Mäd­chen inzwis­chen denkt. «Wir haben sie anfangs nur reden lassen, wenn wir
da abge­blockt hät­ten, hät­ten wir sie für immer ver­loren» , sagt Christine
Scholz. 

Inzwis­chen hat Mar­tin seinen Bun­deswehr­di­enst abgeleis­tet und mit einem
Studi­um ange­fan­gen. Von der braunen Gesin­nung sei er weg, sagt der Vater,
auch wenn Mar­tin sich bei Woch­enendbe­suchen noch gele­gentlich mit Bekannten
aus der alten Szene trifft. «Um ganz damit zu brechen, muss man
wahrschein­lich sehr weit wegziehen» , sagt Rolf Heinze. Die Angst, dass der
Sohn wieder in den braunen Sog ger­at­en kön­nte, sei jedoch immer noch
vorhanden. 

Bleibende Angst 

Diese Angst ist auch die Mut­ter von Kar­la noch nicht los. Die Tochter, die
sich vor drei, vier Jahren weigerte, einen Dön­er zu essen, geht inzwischen
mit ihrer Mut­ter in ein griechis­ches oder ital­ienis­ches Res tau­rant und
trifft ihre recht­sradikalen Fre­unde von einst nur noch gele­gentlich in der
örtlichen Dis­co. Die inzwis­chen 17-Jährige schaut sich
Geschichts­doku­men­ta­tio­nen über die Naz­izeit im Fernse­hen an. «Sie wirkt
jet­zt so, als ob sie nicht mehr alles glaubt, was da in der recht­en Szene
erzählt wird, aber ich kann nicht in ihren Kopf sehen» , sagt Christine
Scholz. 

Mit Für­sorge, Aufmerk­samkeit und einem schein­bar ganz nor­malen bürgerlichen
Leben hät­ten die Recht­sradikalen Kar­la für die Szene geködert. «Die haben
ihr sog­ar bei den Hausauf­gaben geholfen» , sagt die Mut­ter. Da sich die
leib­lichen Eltern von Kar­la damals ger­ade tren­nten, sei das Mädchen
ver­mut­lich für diese Aufmerk­samkeit beson­ders empfänglich gewe­sen. Von der
Naz­izeit hat­te das Mäd­chen im Geschicht­sun­ter­richt noch nichts gehört, als
sie sich Rech­sradikalen anschloss. 

Mehr als die Hälfte der recht­sradikalen Gruppe, mit der Mar­tin als Schüler
durch seine Heimat­stadt zog, waren Abi­turi­en­ten. In der Schule seines Sohnes
habe man das nicht wahrhaben wollen, sagt Rolf Heinze. Bei einem Gespräch
mit dem Schulleit­er stieß er auf Unver­ständ­nis. Doch er gab nicht auf und
holte das “Mobile Beratung­steam gegen Recht­sex­trem­is­mus und
Frem­den­feindlichkeit” im Land Bran­den­burg in die Stadt. Das Team
ver­anstal­tete in mehreren Schulen Infor­ma­tion­s­abende über Erkennungszeichen,
typ­is­che Klei­dung und Musik der braunen Szene. Inzwis­chen bietet das Team
auch per­sön­liche Beratun­gen für betrof­fene Eltern an. Das “Mobile
Beratung­steam” in Sach­sen denkt eben­falls über ein solch­es Ange­bot nach.
«Wir bekom­men zunehmend Anfra­gen von betrof­fe­nen Eltern» , sagt Markus
Kem­per vom säch­sis­chen Team. 

Erziehung keine Garantie 

Rolf Heinze engagiert sich noch heute in seinem Ort, um der recht­en Szene
«das Wass­er abzu­graben» , wie er sagt. In den Schulen, so seine Kritik,
würde den Her­anwach­senden zu wenig ver­mit­telt, wie Demokratie und Freiheit
funk­tion­ieren und dass das Werte sind, die es zu vertei­di­gen lohnt. 

Warum es ger­ade sein Sohn war, der den braunen Parolen auf den Leim ging,
das fragt sich Rolf Heinze nach den Erfahrun­gen der ver­gan­genen Jahre nicht
mehr: «Es kann jede
n tre­f­fen, da hil­ft auch die beste humanistische
Erziehung nicht, das ist keine Garantie.» Chris­tine Scholz beklagt, dass
ger­ade auf dem Land an recht­sradikaler Gesin­nung kaum Anstoß genom­men würde.
Wenn Anhänger dieser Szene dazu noch ein unauf­fäl­liges bürg­er­lich­es Leben
führten und keinen Krawall machen, wür­den sie akzep­tiert. Eine Situation,
die Kar­las Mut­ter beun­ruhigt: «Das bringt eine schle­ichende Normalisierung
mit sich und damit irgend­wann auch eine Legal­isierung solch­er Ansichten.» 

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