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Wer ist Täter und wer Opfer?

Julia S. ist frei. Ihre Fre­unde in Pots­dam haben die junge Antifaschistin nach fünf Monat­en in Unter­suchung­shaft mit ein­er Begrüßungspar­ty emp­fan­gen. Doch nach wie vor wird gegen die 21-jährige Pots­damerin und vier weit­ere Jugendliche der Vor­wurf des ver­sucht­en Mordes erhoben. Die Pots­damer “Soli­gruppe”, die sich für die Angeklagten ein­set­zt, hält den Tatvor­wurf für falsch und ist überzeugt: “Die Staat­san­waltschaft ver­sucht, mit dem Fall Poli­tik zu machen.” 

Seit 20. Juni 2005 saß Julia S. in der Unter­suchung­shaft der JVA Luck­au-Duben. Organ­i­sa­tio­nen, Grup­pen und einzelne Per­sön­licheit­en aus Poli­tik, Wis­senschaft und Kul­tur hat­ten sich in einem offe­nen Brief für ihre Freilas­sung einge­set­zt. Ihre Mut­ter Heike S. hat­te den Pots­damer Ober­bürg­er­meis­ter per­sön­lich aufge­sucht, um den Brief mit der Forderung „Frei­heit für Julia“ zu übergeben. Julia war mit vier anderen, zuvor gegen Aufla­gen aus der Haft ent­lasse­nen Per­so­n­en am Abend des 18.Juni in der Pots­damer Innen­stadt festgenom­men wor­den. Voraus­ge­gan­gen war eine tätliche Auseinan­der­set­zung der Gruppe mit einem bekan­nten Neon­azi, der leicht ver­let­zt wurde. 

Weil dabei auch ein Teleskop­stock benutzt wor­den sein soll, sieht die Staat­san­waltschaft die Tat­merk­male des gemein­schaftlichen Mord­ver­suchs gegeben. In dem von der Filmemacherin Rosa von Praun­heim, der AG Antifaschis­mus der Uni­ver­sität Pots­dam, dem Bran­den­burg­er Flüchtlingsrat, mehreren Hochschul­pro­fes­soren, der WASG Pots­dam sowie Funk­tion­strägern aus SPD und Grü­nen unterze­ich­neten Brief wird hinge­gen ein anderes Bild von den Vorgän­gen in Pots­dam geze­ich­net: „Eine antifaschis­tis­che Bedro­hung in der Öffentlichkeit gibt es nicht — Neon­azis und ihre Struk­turen sind das Prob­lem”, beto­nen die Unterzeichner. 

Damit set­zte sich der offene Brief auch kri­tisch mit Pres­sev­eröf­fentlichun­gen auseinan­der, in denen von ein­er Gewalt­spi­rale bei recht­en und linken Pots­damern die Rede ist. Im Brief wer­den dem gegenüber einige rechte Über­griffe der jüng­sten Ver­gan­gen­heit in Pots­dam und Umge­bung aufge­lis­tet. Allein seit Mai 2005 seien in Pots­dam 17 rechte Über­griffe bekan­nt gewor­den. Die Dunkelz­if­fer liege noch höher. Sog­ar im Gerichts­ge­bäude seien Zeu­gen, die gegen Rechte aus­sagen woll­ten, durch Neon­azis mas­siv eingeschüchtert worden. 

Auch das linke Pots­damer Wohn­pro­jekt Chamäleon sei immer Ziel von Neon­azian­grif­f­en gewe­sen, zulet­zt am 12. Juni diesen Jahren. Julia S. ist Vor­sitzende des Chamäleon e.V. und ist auch sel­ber schon von Neon­azis ange­grif­f­en wor­den und in Prozessen gegen Rechte als Zeu­g­in aufge­treten. Der Vere­in hat Julia S. jüngst in Abwe­sen­heit als Vor­sitzende wiedergewählt. Den­noch wurde eine Haftbeschw­erde mit der Begrün­dung abgelehnt, es beste­he Flucht­ge­fahr, da Julia S. kein gefes­tigtes soziales Umfeld habe. 

“Hätte Julia sich wirk­lich der Strafver­fol­gung entziehen wollen, wäre ihr das auch ohne weit­eres möglich gewe­sen”, heißt es in dem offe­nen Brief. “Schließlich befand sie sich ja auf freiem Fuß, ehe sie zwei Tage nach dem strit­ti­gen Vor­fall von der Polizei bei einem Erste-Hil­fe-Kurs ver­haftet wurde, den sie für ihre Tätigkeit als Betreu­ung von Jugend­freizeit­en absolvierte. Offen­bar hat Julia aber nicht ein­mal in Erwä­gung gezo­gen, sich zu ver­steck­en oder dem Gericht zu entziehen.” 

In dem Brief wird auch kri­tisiert, dass Täter aus der recht­en Szene oft mit gerin­gen Strafen davon kom­men, während Linke sofort mit ein­er Anklage des Mord­ver­suchs kon­fron­tiert wür­den. Das stelle eine „offen­sichtliche juris­tis­che Ungle­ich­be­hand­lung“ dar. Die Unterze­ich­n­er fordern deshalb die Aufhe­bung der Anklage wegen ver­sucht­en Mordes. 

Auch der Pots­damer Recht­san­walt Stef­fen Sauer, der Julia S. juris­tisch ver­tritt, ist der Ansicht, dass mit dem Anklagevor­wurf des Mord­ver­suchs eine poli­tis­chen Aktivistin eingeschüchtert wer­den soll: „Julia S. ist in Pots­dam rel­a­tiv bekan­nt, als Ansprech­part­ner­in für offizielle Stellen wie etwa die Lan­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung“, sagt der Anwalt.

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