Flüchtlinge im brandenburgischen Rathenow beklagten sich öffentlich über
Neonazis unter dem Wachpersonal ihres Wohnheims. Nun stehen sie wegen übler
Nachrede vor Gericht. Der Verfassungsschutz allerdings bestätigt ihren
Vorwurf.
Flüchtlinge, die Kritik an ihrer Unterbringung geäußert haben, müssen sich
im brandenburgischen Rathenow vor Gericht verantworten. Heute verhandelt das
Amtsgericht Rathenow gegen den 28-jährigen Mohamed Abdel Amine aus Togo und
den 34-jährigen Palästinenser Mohamad Mahmoud. Ihnen wird üble Nachrede
vorgeworfen.
Beide hatten sich im Sommer 2002 gemeinsam mit sechzig anderen Bewohnern des
Asylbewerberheims Rathenow mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt.
Darin prangerten die Flüchtlinge an, dass die Wachschutzfirma “Zarnikow”,
die zur Sicherung der Unterkunft eingesetzt wurde, Neonazis beschäftige.
Außerdem beschuldigten sie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die das Wohnheim
betreibt, private Briefe geöffnet zu haben. Zudem seien AWO-Mitarbeiter
unberechtigt in die Zimmer der Bewohner eingedrungen. “Nach unseren
Beschwerden erklärte die Heimleitung, dazu sei sie durch Bestimmungen zur
Rasterfahndung verpflichtet”, heißt es in dem Schreiben.
Sowohl die Wachschutzfirma als auch die AWO zeigten die Verfasser wegen
übler Nachrede an. Doch inzwischen hat sich der wichtigste Vorwurf der
Asylbewerber bestätigt. Der Brandenburger Verfassungsschutz schrieb im
August 2002 in einem internen Bericht, dass die Wachleute der Firma Zarnikow
zum Teil “dem Kern der rechtsextremistisch orientierten Szene Rathenow
angehören und der einschlägigen Gruppierung Kameradschaft Hauptvolk
zugerechnet werden müssen”. Der Bericht liegt der taz vor. Im Januar 2003
wurde die Wachschutzfirma auf eigenen Wunsch von ihren Aufgaben entbunden.
Trotz dieser Enthüllungen ermittelte die Staatsanwaltschaft Potsdam weiter
gegen zwei der Unterzeichner des offenen Briefes. “Es ist auffällig, dass
die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft so ein starkes Interesse an
der Verfolgung dieses Falles entwickelt hat”, sagte Ulrich von Klinggräff,
der Anwalt von Abel Amine, der taz. Er spricht sogar von einem
“Strafverfolgungswahn” der Ermittler: “Meiner Meinung nach geht es darum,
politisch denkende Flüchtlinge mundtot zu machen.”
Die AWO verteidigte dagegen den Gang vor Gericht. Es sei “wohl kaum
hinnehmbar, sich solcherart ungerechtfertigt öffentlich beschimpfen zu
lassen”, erklärte Ralf Schröder, Geschäftsführer des AWO-Kreisverbandes
Havelland, auf Anfrage der taz. Die Kündigung des Vertrags mit Zarnikow sei
kein Eingeständnis, dass die Vorwürfe der Asylbewerber zuträfen: “Die Firma
hat selbst den Auftrag abgeben wollen.” Auch der Sprecher der
Staatsanwaltschaft, Ralf Roggenbuck, hält die Erhebung der Anklage für
zulässig. “Wenn das Gericht der Meinung gewesen wäre, der Fall wäre eine
Bagatelle, hätte es die Akten an uns zurückgeschickt”, sagte Roggenbuck der
taz.
In einem ähnlichen Verfahren gegen einen anderen Rathenower Asylbewerber vor
zwei Jahren hatte der damals zuständige Richter allerdings deutlich gemacht,
dass er das Verhalten der Staatsanwaltschaft für falsch hielt. Der damalige
Angeklagte, Christopher Nsoh, hatte sich nach einem rechtsradikalen Angriff
über das Verhalten zweier Polizistinnen beklagt. Nachdem sein Begleiter, ein
Journalist aus Hongkong, von einem Rechtsradikalen geschlagen worden sei,
hätten die Beamtinnen den Mann “im Polizeigriff” auf die Wache gebracht. Die
Polizei zeigte Nsoh wegen übler Nachrede an. Im Anschluss an das
eingestellte Verfahren wurde der ermittelnde Staatsanwalt von seiner
vorgesetzten Stelle gerügt, weil er Material, das Nsoh entlastet hätte,
zurückgehalten hatte.
Sowohl Nsoh als auch Abdel Amine und Mohamad Mahmoud sind Mitglieder der
Flüchtlingsinitiative Brandenburg (Fib). Diese setzt sich durchaus
erfolgreich gegen Rassismus in Ämtern und Gesellschaft ein. Nachdem die Fib
vor vier Jahren von den Behörden verlangte, die Flüchtlinge entweder vor
rechtsradikalen Angriffen zu schützen oder sie zu verlegen, geriet das Land
Brandenburg auch international in die Schlagzeilen. Im Anschluss an den
“Aufstand der Anständigen” im Dezember 2000 zeichnete die “Internationale
Liga für Menschenrechte” die Fib für ihr Engagement mit der
Carl-von-Ossietzky-Medaille aus.
Abdel Amine, der wegen seiner Mitgliedschaft in der Oppositionspartei “Union
des Forces du Changement” aus Togo fliehen musste, will diese
antirassistische Arbeit fortführen. Er ist optimistisch, vor Gericht belegen
zu können, dass Mitarbeiter der AWO unberechtigt Briefe öffneten und in
private Zimmer eindrangen. Sollte dies zutreffen, könnte sich die
Strafanzeige der Wohlfahrtsorganisation gegen diese selbst richten: “Wenn
die Institutionen in diesem Land versuchen, uns durch Verleumdungsklagen zum
Schweigen zu bringen, werden wir diese Prozesse als politische Plattform
nutzen”, so Amine zur taz.