(Inforiot) Am Freitag ist eine neue Ausgabe der Angermünder Alternativ-Zeitschrift “Cult” erschienen. Die inzwischen zwölfte Nummer trägt den Titel: “Welt. Wahn Sinn. Die Uckermark im Zeitalter der Globalisierung.” Auf 40 Seiten in gewohnt schönem Layout geht es — wie im Titel angedeutet — um die Themen Globalisierung, Krieg und die konkreten Folgen
in der Uckermark.
Einzelhefte können für 50 Cent über Pfeffer und Salz (Postfach 1119, 16278 Angermünde) bestellt werden, Infoläden und Jugendklubs können sich größere Stückzahlen zuschicken lassen.
Zum Anlesen dokumentieren wir im folgenden das Editorial des aktuellen Heftes.
„Wer will, dass die Welt so bleibt wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt!“
(Cult) Warum nimmt sich eine Redaktionsgruppe aus einer winzigen Stadt in der Uckermark vor, über Globalisierung zu schreiben? Was hat denn Globalisierung mit der Uckermark zu tun?
Die Antwort darauf ist schnell gefunden, das Wesen der Globalisierung liegt unter anderem darin, das sie nicht vor der eigenen Haustür Halt macht und somit direkte oder indirekte Auswirkungen auf unser aller Leben hat. Deshalb müssen und wollen wir darüber schreiben, denn es geht eben auch uns etwas an.
Letztes Wochenende hat eine Bekannte angerufen und um Rat gebeten: Ihre Mutter war entlassen worden. Fristlos. Mit einem erzwungenen Rechtsmittelverzicht.
Der Vater einer anderen Freundin ist nun schon seit über einem Jahr arbeitslos. Vor zwei Monaten kam Hoffnung auf, denn das Arbeitsamt vermittelte ihn an eine Baufirma in Eberswalde, auf Probe und vom Arbeitsamt bezahlt. In der Probezeit wurde ihm ein fester Arbeitsplatz versprochen, als diese vorüber war, durfte er dann wieder gehen. Vor der Tür wartete schon der Nächste.
Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung, Unternehmerwillkür — nur Uckermärker Probleme?
Gleichzeitig werden rassistische Vorurteile geschürt. Schuld an der Misere sind angeblich nicht Konzerne und politische Eliten, sondern der polnische Saisonarbeiter, der afrikanische Asylbewerber oder der indische Computerspezialist.
„Friede den Palästen, Krieg den Hütten“, so skandieren rechtsextreme Gewalttäter in perverser Umkehrung des Mottos der Französischen Revolution. Und die Zahl der Hütten wächst. 826 Millionen Menschen hungern, an einem Tag sterben fast 40.000 Kinder an Hunger, 22.000 an vermeidbaren Krankheiten, 7000 an verseuchtem Wasser. In Rio, Kalkutta oder Lagos leben Millionen Menschen in eben solchen Hütten, ohne Wasser, Abwasser und Strom vom und im Müll der Millionenstädte.
Diese Opfer kapitalistischer Globalisierung interessieren sich weder für Grenzen, Gesetze oder Umweltschutz. Sie wollen nur überleben.
Während „Überleben“ für viele Jugendliche hierzulande bedeutet, die neusten Markenklamotten zu besitzen, einmal Shakira oder Brosis live gesehen zu haben und für die nächste Klassenarbeit zu lernen. Für die, die den Stress nicht durchhalten, bleiben Depressionen und Süchte. Die Selbstmordrate bei Jugendlichen der „zivilisierten Welt“ ist dreimal so hoch wie bei denen, die täglich ums Überleben kämpfen müssen.
Im Gegenzug dazu sind natürlich Jugendliche, die sich anders verhalten und den Erwartungen nicht entsprechen, ein Greuel. Sprayer sind Schmierfinken, Antifaschisten Extremisten und überhaupt selbstbestimmtes Engagement nicht ernst zu nehmen. Klar, ein System, dass bedingungslosen Konsum, kritiklose Anpassung und manipulierbare Gehirne zur eigenen Existenz benötigt, kann Widerstand nicht gebrauchen.
Weder in Indien oder Argentinien, noch in Genua oder Florenz, oder in Angermünde und Schwedt.
So gesehen war der 11. September 2001 ein Signal, ein schlimmes Signal. Er hat ein Zeitalter eingeläutet, in dem es angeblich um den „alten Kampf zwischen Gut und Böse“ gehen soll. Gut ist Krieg, böse Terrorismus, gut ist kapitalistischer Fundamentalismus, böse islamischer, gut sind die Menschenrechtsverletzungen in Rußland oder Kolumbien, böse die im Irak oder Nordkorea, gut ist die Autobahn durch den Thüringer Wald, böse die durch den Regenwald in Brasilien, gut ist der Leistungswille der Arbeiter von Bayer in Indonesien (bei 1,00 ? Lohn), böse die fehlende Zustimmung der Arbeiter in Deutschland zum Lohnverzicht. Und dazwischen soll es nichts mehr geben. Keine Fragen, kein Protest, keinen Widerstand, keine eigenen Lebensentwürfe oder Ausdrucksformen. Willkommen in der Uckermark und anderswo.
Die Redaktion