Einige Monate war es ruhig, nun schlagen sie wieder zu: Linksextremistische Kernkraftgegner hängten in den Morgenstunden des 26. Oktober bei Werder, auf der Strecke Berlin — Brandenburg an der Havel, Hakenkrallen in Oberleitungen der Bahn ein. Dabei wurden die Lok einer Regionalbahn und die Oberleitungen schwer beschädigt.
Erst am 23. Oktober hatten militante Autonome vier Anschläge ähnlicher Art auf Bahnstrecken in Berlin verübt. Dabei erlitt nach ersten Meldungen ein Lokführer schwere Augenverletzungen.
Weitere Anschläge wurden während der letzten Wochen in Niedersachsen bekannt. Sie alle stehen offenkundig in einem Zusammenhang mit dem kurz bevorstehenden Beginn eines CASTOR-Transports von La Hague nach Gorleben.
Bei dem jüngsten Anschlag in Brandenburg wurde niemand verletzt. Aber das ist nur ein glücklicher Zufall. Denn die Täter nehmen durchaus in Kauf, dass ihre Aktionen Menschenleben gefährden. Wie jetzt in Berlin, so war auch schon im Oktober 1996 ein Lokführer in Niedersachsen durch Glassplitter eines durchschlagenen Zugfensters verletzt worden. Wenn die militanten Kernkraftgegner behaupten, ihre Gewalt richte sich nur gegen Sachen, nicht gegen Menschen, vernebeln sie also bewusst die kriminelle Energie, die bei den Hakenkrallen-Anschlägen zu Tage tritt.
Die Berliner Anschläge — die offenbar zur gleichen Aktionswelle gehören wie die Tat vom 26. Oktober — waren denn auch von besonderer Brutalität. Die Täter oder Täterinnen blockierten die Oberleitungen mit Eisenketten und Schraubzwingen.
Zu den Taten in Berlin hatten sich in einem Schreiben an verschiedene Berliner Tageszeitungen und die Nachrichtenagentur AFP “autonome Gruppen” bekannt. Unter der Überschrift “Kampf dem Castor heisst Kampf dem System” rechtfertigen sie die Anschläge als “Fortführung der Kampagne gegen die Atomindustrie und die involvierten Konzerne”. Zugleich rufen sie andere autonome Gruppen auf, sich am Widerstand gegen den nächsten Castor-Transport zu beteiligen. Damit solle “die sofortige und weltweite Stilllegung aller Atomanlagen” erreicht werden. In ihrer Selbstbezichtigung schlagen sie auch einen Bogen zu den “Aktionen gegen die EU- bzw. G8-Gipfel in Göteborg und Genua” und “die diversen antirassistischen Grenzcamps”. Alle diese Unternehmungen seien “ermutigende Kristallisationspunkte für linksradikalen Widerstand”. Schließlich begründen sie ihr Vorgehen gegen den “patriarchal-kapitalistischen Normalzustand” auch mit den neuesten sicherheitspolitischen Schritten der Bundesregierung und den militärischen Aktionen der USA gegen die Taliban in Afghanistan. Dabei fällt auf, dass Männer allein als Täter, Frauen allein als Opfer gesehen werden. Dies mag ein Hinweis auf die Zusammensetzung der Gruppe sein, die für die Anschläge verantwortlich ist.
Seit der — wenn auch langfristige — Ausstieg aus der Atomenergiewirtschaft in Deutschland beschlossene Sache ist, fürchten die militanten Kernkraftgegner, dass ihre Anschläge nicht mehr genügend Resonanz finden. Auch deshalb konstruieren sie, wie im zitierten Bekennerschreiben, weitgespannte Begründungszusammenhänge. Doch auch diese Auslassungen täuschen nicht darüber hinweg, dass die Behauptung, “linksradikale Militanz” sei “genau und differenziert”, nur der Selbstbeweihräucherung dient, aber nichts mit den unabsehbaren Folgen der Anschläge zu tun hat.
Gewalttätigen Widerstand gegen den Transport abgebrannter Brennelemente gibt es schon seit Jahren. An ihm haben sich auch immer wieder Linksextremisten in Brandenburg beteiligt. Zuletzt gab es hier zwei Hakenkrallen-Anschläge am 9. März 2001, die zeitgleich mit ähnlichen Aktionen in Hessen und Niedersachsen stattfanden.
Sobald ein CASTOR-Transport bevorsteht, häufen sich erfahrungsgemäß derlei kriminelle Aktivitäten. Da in wenigen Tagen der Transport wiederaufbereiteter atomarer Brennelemente aus dem französischen La Hague nach Gorleben beginnt, muss auch jetzt mit weiteren Anschlägen gerechnet werden. Bundesgrenzschützer kontrollieren verstärkt Brandenburger Bahnlinien.