Nach zwei Jahren theoretischer Auseinandersetzung und Vorbereitung fand vom 3. bis 11. August in Cottbus das Crossover-Summercamp statt. Vom strömungsübergreifenden Ansatz her sicher das am weitesten gehende der
unzähligen Politcamps dieses Sommers. Schließlich ist der Leitsatz der Crossover-Bewegung, dass „all die verschiedenen gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse untrennbar miteinander verknüpft sind und sich wechselseitig durchdringen und oft stabilisieren.“ So stand es im Aufruf für das Camp in Cottbus, so stand es im Aufruf für die vorbereitende crossover-conference in Bremen (Januar 2002) und so war
und ist es auf Flyern, in Texten … immer wieder zu lesen. Als Ziel wird dabei formuliert, „zum Aufbau einer neuen Konstellation politischer Strömungen beizutragen.“ Und das meint vor allem, dass neben den in den drei etablierten Hauptströmungen Antirassismus, Antifaschismus und
Antikapitalismus auch antisexistische Positionen einen höheren Stellenwert in linker Debatte und Praxis bekommen sollen, und zwar nicht nur als Lippenbekenntnis. Denn: „Wir wollen ein Ende der Dominanz der heterosexuellen Kultur in der radikalen Linken.“ Soweit der Anspruch. Und was brachten die Tage in Cottbus? Der größte Erfolg ist wohl
banalerweise, dass das Camp überhaupt stattgefunden hat. Das ist verglichen mit dem formulierten Eigenanspruch des Camps nicht viel, doch in Zeiten, in denen Machismo und Mackergehabe in der Linken weiterhin unreflektiert und unkritisiert durchgehen, ist das Stattfinden immerhin
mit „Immerhin“ zu bewerten.
Aber da sind wir schon bei der Kritik: Nach Cottbus dürfte klar sein, dass das Konzept der vielen Sommercamps, bei dem sich jede/r den Themenschwerpunkt und die Leute seiner/ihrer Wahl aussuchen kann, gescheitert ist. Die Grenzcamps in Jena (250 Leute) und Hamburg ( …)
sowie das Crossover-Camp in Cottbus (150) zeigen, dass es zwar schön ist, mit 150–250 Leuten im Wesentlichen einer Meinung zu sein, der geforderten und dringend nötigen Auseinandersetzung um Standpunkte dabei aber locker aus dem Weg gegangen werden kann. Wurde nach heftiger
Auseinandersetzung auf dem Grenzcamp 2001 in Frankfurt und der crossover-conference in Bremen mit mehr als 500 TeilnehmerInnen noch klar die Fortsetzung der Debatte und Übertragung in eine politische Praxis gefordert, konnte Cottbus diesem Anspruch nicht gerecht werden.
Dementsprechend harmonisch war die Woche in Cottbus. Nicht, dass ich etwas gegen Harmonie hätte, für ein politisches Camp, das sich an der Verknüpfung linker Themen wie z.B. Rassismus messen lassen will, war es dann doch etwas zu ruhig. Und für eine Woche Sommerurlaub hätte sich
sicher ein lauschigeres Plätzchen gefunden. Ganz offensichtlich gab es auf dem Camp keinen Konsens darüber, wie man/ frau gegen den rassistischen Alltag vor Ort, zu dem im Übrigen ein Nazi-Überfall auf einen Kubaner am Tag vor der Camperöffnung zählt, vorgehen kann. Zum
einen dauerte es fünf Tage, ehe sich überhaupt ein paar Leute zusammenfanden, die eine Aktion gegen den Überfall planten. Da sich die Faschos in Cottbus und Umgebung bevorzugt Tankstellen als Treffpunkt suchen und auch der Überfall auf den Kubaner an einer solchen geschah,
war der Aktionsort relativ bald klar. Mit welchen Ansprüchen Leute nach Cottbus gereist waren, zeigte sich dann aber auf einem sieben(!)stündigen Plenum. Da die Mehrheit der TeilnehmerInnen scheinbar in relativ nazi-freien Gegenden wohnt und sich scheinbar auch nicht im
Klaren darüber war, dass linke Präsenz in Cottbus auch heißen muss, sich mit den Menschen zu solidarisieren, die jede Woche in Gegenden wie diesen angegriffen werden, war eine wesentliche Devise, die Nazis auf keinen Fall zu provozieren und sich mit der Bullerei gut zu stellen.
Schließlich sei es wichtiger, einem Angriff auf das Camp zu entkommen.
Wahrscheinlich haben viele erstmals gemerkt, was es heißt, als Migrant/Linker/Homosexueller usw. täglich in sogenannten “National befreiten Zonen” zu leben Ein ziemlich zynisches Verhalten, schließlich haben die Opfer rassistischer Gewalt meist nicht diese Wahl.
Als dann aber doch die wichtigsten Facts der Aktion an der Nazi-Tanke ausgetauscht wurden, sich eine Mehrheit auf dem Plenum dafür begeistern ließ und der Rest zumindest nicht dagegen stimmen wollte, machte ein Veto das Chaos perfekt. Offensichtlich hatte sich niemand auf dem Plenum mit der Konsequenz eines Vetos auseinandergesetzt und die ModeratorInnen nur danach gefragt „weil das halt so üblich ist.“ Obwohl nach immerhin jetzt schon vierstündigem Plenum die Stimmung immer gereizter wurde und viele sauer waren, versicherten sich alle, dass ein Veto ein Veto ist und die Aktion keinesfalls an dem vorgesehenen Tag (an dem auch das
Plenum war) stattfinden darf. Über das offensichtliche Machtinstrument „Veto“ und dem Einfluss einer Person über die Interessen des gesamten Camps wurde nicht diskutiert.
Allerdings zeigte schon derselbe Abend, wie ernst das Camp die auf dem eigenen Plenum verabschiedeten Beschlüsse nahm. Auf eine Anfrage der Antifa aus dem 30 Kilometer entfernten Guben nach einer Tankstellenbesetzung, dem Treffpunkt der örtlichen Nazis, folgten genau die 70 Leute, die sich zuvor auf dem Plenum für eine Tanken-Aktion in Cottbus ausgesprochen hatten. Schließlich hatte es auf dem Plenum ja
nicht explizit ein Veto gegen eine Aktion in Guben gegeben. So schnell kann man/ frau die eigenen Entscheidungsstrukturen umgehen und damit der
Lächerlichkeit preisgeben. Letztlich war die Aktion in Guben aber als Ventil für das Klima auf dem Camp wichtig, zu viel Frust hatte sich zuvor angesammelt und es ist schon erstaunlich, wie schnell sich durch ein halbwegs erfolgreiches gemeinsames Auftreten das Zusammengehörigkeitsgefühl wieder kitten lässt.
Und die Aktion war wichtig für den Umgang mit der Bullerei: Kamen diese bis dato jeden Morgen überfreundlich auf das Camp und wollten sogar mit einem Zivi-Wagen über das Camp fahren, um „den Leuten hier ein Gefühl von Sicherheit zu geben“, waren an dem Tag nach Guben klar, dass sich
auf der Wiese am Rand von Cottbus kein Pfandfinderlager mit Hippies befindet, sondern dass es um die Vermittlung von Inhalten geht, was natürlich eine Kritik an der gesellschaftlichen Exekutive einschließt. Schlimm nur, dass das erst am drittletzten Tag gelang, wie überhaupt zu
konstatieren ist, dass die Mehrheit der CampbesucherInnen erstaunlich unerfahren und ängstlich im Umgang mit der Bullerei war. So reichte die Vermutung, dass sich nach 15 Minuten Aktion in Guben die Cottbusser Bullerei auf die Beine macht, um Hals über Kopf abzuhauen und Gubener
Antifa-Kids zurückzulassen, denen klar war, dass sie noch am selben Abend Prügel zu erwarten hatten. Der Anteil von 75 % weiblich konstruierten Menschen kann dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Vielmehr war der Umgang mit der Bullerei auf dem Camp lange Zeit kein Thema und so wurde auch nicht darüber nachgedacht, wie die Vermittlung
von antirepressivem Verhalten in einem Workshop o.ä. aussehen kann.
Doch das Camp war nicht nur zum Meckern, wie das bisher Geschriebene auch nicht verstanden werden soll. Schließlich ging es ja den VorbereiterInnen um Selbstreflexion und das Aufbrechen von Geschlechterkonstruktionen. Und das bisher Beschriebene zeigt ja nur, dass selbst die dekonstruktivistischen Teile der linken immer wieder in
Rollenverhalten verfallen und sich Strukturen bedienen, die sie eigentlich abschaffen wollen. So könnte auch das Auftreten von so etwas wie „positivem Sexismus“ interpretiert werden. Dieser Begriff ist dem des „positiven Rassismus“ angelehnt, wonach Menschen in bestimmte
Verhaltensmuster gedrängt werden, die angeblich kulturell begründet und für positiv erachtet werden, wie der Döner-Türke oder der gut kochende Chinese. In der Linken führte das vor allem in antirassistischen Kreisen dazu, dass nicht mehr zwischen „Arschloch“ und „Nicht-Arschloch“
unterschieden wurde, sondern die Bewertung von Verhalten mit der Hautfarbe zwischen gut und schlecht variierte. Ich weiß nicht, ob man diese Begrifflichkeit auf Sexismus und sexualisiertes Verhalten übertragen kann, finde aber schon, dass Verhalten nicht-hetero-sexueller Menschen ebenso kritisiert gehört wie das von Heteros oder –as. Und wenn
es auf dem Camp um den Abbau von Dominanzstrukturen gehen soll, muss es auch um diese Strukturen in sexuellen oder sonstigen Beziehungen gehen. Nur gibt es scheinbar den Konsens, gleichgeschlechtliche Paare deswegen nicht zu kritisieren, während ohne Zweifel (und völlig richtig) ein Mann vom Camp fliegt, der sich seiner Freundin gegenüber ähnlich dominant verhält wie es vor allem bei Lesben-Paaren zu beobachten war. Da klaffen Anspruch und Wirklichkeit noch weit auseinander.
Dass solches Verhalten nicht öffentlich diskutiert wurde, lag u.a. auch an der wiederholten Selbstbestätigung, wie harmonisch das Camp doch sei und an einer Art selbstauferlegtem Tabu, die Harmonie nicht zu brechen.
Dabei geht es gar nicht darum, das Definitionsrecht der Frau von sexistischem Verhalten und alle damit verbundenen Rechte zur Überwindung patriarchaler Strukturen in Frage zu stellen. Über die Notwendigkeit dieser Rechte dürfte in emanzipativen Kreisen ohnehin keine Diskussion
bestehen. Nur geht die Umsetzung an der Sache vorbei, wenn dieses Recht in einem Klima der Unsicherheit und Angst durchgesetzt wird. Ein Beispiel: Am vorletzten Camptag wurde ein Mann kurz nach seiner Anreisewegen eines sexistischen Übergriffes aus der Vergangenheit vom Camp
geworfen. Als Gremien, die diesen Rauswurf durchsetzten, hatten sich schon vorher eine Männer- und eine Frauen-Lesben-Gruppe gebildet. Als dieser Vorfall auf dem Abschlussplenum dargestellt wurde, gab es keine
Nachfragen, was eine Moderatorin zu dem Schluss kommen ließ, das Camp komme seinem Anspruch in anti-sexistischem Verhalten sehr nahe, auf anderen Camps wäre so ein Rauswurf schließlich nicht so ohne weitere und möglicherweise verletzende Nachfragen durchgegangen. Nur hatte sie dabei
übersehen, dass es im Plenum schon ein gesteigertes Interesse an den Details gab, was auch die nach Plenumsende beginnende Diskussion in Kleingruppen bewies. Was die Leute am Fragen hinderte war einzig die Angst vor einem Fettnäpfchen und der folgenden Anpisse.
Was bleibt von Cottbus ist also die Einsicht, dass auch die
Crossover-Bewegung nach so hoffnungsvollen letzten zwölf Monaten immer wieder in die eigenen Widersprüche verfällt. Das ist nicht verwunderlich in einer Linken, die am Beispiel Israel deutlich macht, dass es oft vielmehr um eigene Profilierung und Machterhalt geht als um die Analyse
und Überwindung von Machtverhältnissen. Zuversichtlich stimmt, dass es in Cottbus tatsächlich Ansätze einer strömungsübergreifenden und dekonstruktivistischen Praxis gibt, was die letztlich dann doch durchgeführte Tanken-Besetzung in Cottbus beweist oder eine Aktion zum
Thema Geschlechternormierung, Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexismus und Schönheitsideal, bei der in den Modekaufhäusern „Kleidungsstücke jeweils von der einen in die andere Abteilung getragen wurden, um auf die
Normierung von Menschen durch geschlechtspezifische Kleidung aufmerksam zu machen. Desweiteren haben sich die AktivistInnen entgegen der herrschenden Geschlechts- und Kleiderordnung in den Geschäften umgezogen und für einige Verwirrung gesorgt,“ wie es in der Pressemitteilung vom
Camp heißt.
Ob es eine Zukunft für Crossover gibt und wie diese aussieht, ist zurzeit schwer zu sagen. Das Interesse vor allem von jungen Leuten hat die conference in Bremen und mit Abstrichen auch das Camp gezeigt, dass viele „politikerfahrene“ Alt-Linke das Thema noch immer als Kinderkram abtun, allerdings auch.
do.di
(Inforiot) Dieser Text wurde von einigen TeilnehmerInnen des Crossover Summercamps aus Leipzig geschrieben. Es ist der zweite auswertende Text der uns vorliegt, hier kannst Du den ersten nachlesen. Des weiteren gibt es noch ganz frisch Audio-Dateien, die Aktionen und das Camp an sich dokumentieren sowie den Aufruf, Material und eine ganze Menge Berichte vom Camp.