Abschiebung der Familie Filiz ist nach wie vor eine menschliche Katastrophe, die durch strukturellen und systeminternen Rassismus möglich gemacht wurde.
Der Antrag des Landrates Elbe-Elster auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes für die Anprangerung von strukturellem und systeminternem Rassismus im Land Brandenburg wurde vom Amtsgericht Potsdam zurückgewiesen!
Seit 1997 verleiht der Flüchtlingsrat Brandenburg jedes Jahr einen „Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus“ zum „Internationalen Tag zur Überwindung von Rassismus“ der Vereinten Nationen. Dass dem Flüchtlingsrat Brandenburg die Verleihung des Denkzettels und damit die Meinungsäußerung zu asylpolitischen Geschehnissen gerichtlich versagt werden soll, ist allerdings noch nie vorgekommen.
Dieses Jahr sollen Herr Haase und Herr Rambow (der Dezernent für Recht, Ordnung und Sicherheit und der Mitarbeiter der Ausländerbehörde Elbe-Elster) den Denkzettel bekommen, stattdessen erhielt der Flüchtlingsrat eine einstweilige Verfügung. Die Aussagen des Denkzettels Dritten gegenüber zu erwähnen oder in irgendeiner Weise an die Öffentlichkeit zu geben wurde untersagt. Der Flüchtlingsrat dürfe die oben genannten Herren nicht „direkt oder indirekt als Rassisten, rücksichtslos, unmenschlich oder ähnlich beleidigend oder verleumderisch“ bezeichnen. Bei Zuwiderhandlung wurde ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 ? oder gar Ordnungshaft angedroht! Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen gab es allerdings weder von Seiten des Gerichts, noch wurden diese vom Landkreis Elbe-Elster geleugnet.
Damit die Kritik dieser Form von Rassismus auch weiterhin möglich ist, sah sich der Flüchtlingsrat gezwungen Widerspruch einzulegen, denn die Äußerungen sind durch das Recht auf freie Meinung (Art. 5 GG) geschützt. Am 2. Juni 2004 erging durch das Amtsgericht Potsdam das Urteil. Die einstweilige Verfügung ist aufgehoben. Laut Urteilsbegründung arbeiten Hr. Haase und Hr. Rambow in einem die Öffentlichkeit interessierenden Bereich und müssen deshalb akzeptieren, dass ihre Arbeit von der Öffentlichkeit kritisiert und missbilligt wird.
Damit darf der Flüchtlingsrat Brandenburg denn Denkzettel für eine der unmenschlichsten Abschiebungen dieses Jahres veröffentlichen. Er soll eine Mahnung an all diejenigen sein, die die Möglichkeiten besitzen „Ausreisepflichtigen“ zu helfen, die aber diese Möglichkeiten nicht nur ungenutzt lassen, sondern alles daran setzen hilflose Flüchtlinge abzuschieben. Alle diese Menschen werden auch in Zukunft vom Flüchtlingsrat mit der Verleihung des Denkzettels öffentlich benannt und zur Verantwortung gezogen.
Flüchtlingsrat Brandenburg
Dokumentation: Der Denkzettel:
Hiermit wird der DENKZETTEL des Brandenburger Flüchtlingsrats an Herrn Haase und Herrn Rambow
Dezernent für Recht, Ordnung und Sicherheit und Mitarbeiter der Ausländerbehörde Elbe-Elster verliehen.
Begründung:
Abschiebung um jeden Preis — eine menschliche Katastrophe
Am 20. Januar 2004 wurde die kurdisch-türkische Familie Filiz mit ihren 3 kleinen Kindern aus Hohenleipisch mit einer Chartermaschine aus Bremen in die Türkei abgeschoben. Die Familie war zu Beginn des letzten Jahres bereits für gut acht Wochen im Kirchenasyl (Tröbitz), das unter der Amtsmithilfe des Jugendamtes gebrochen wurde.
Entgegen aller Absprachen mit dem betreuenden Pfarrer und der Rechtsanwältin wurden diese nicht über den Zeitpunkt der Abschiebung informiert. Zufälllig erfuhren sie von der wohl bis ins Detail und geheim geplanten Abschiebung. Ohne jegliche Vorinformation wurde die Familie nachmittags abgeholt und getrennt. „Wir mussten nach den Äußerungen von Gazi Filiz befürchten, dass der Vater sich und Familie etwas antut und haben um Amtshilfe bei der Polizei gebeten“, so Herr Haase. Diese Befürchtung genügte jedoch nicht, von der Abschiebung abzusehen, im Gegenteil. Medizinisches Personal flog in der für ca. 55.000 Euro gecharterten Maschine mit.
Eine Entscheidung des Gerichtes, welches von der Rechtsanwältin noch eiligst angerufen wurde, lag am Vorabend vor, doch man informierte die Anwältin erst spät in der Nacht von der Ablehnung, so dass sie keinen Kontakt mehr zu ihren Klienten aufnehmen konnte.
Der auf 13 Uhr angesetzte Flug aus Bremen wurde ohne jegliches Wissen des Rechtsbeistandes und des Pfarrers auf 10:40 Uhr vorverlegt. Aus finanziellen Gründen lehnt das OVG ab, die Maschine zurückzubeordern.
Familie Filiz war seit 1997 in Hohenleipisch. Alle 3 Kinder sind Deutschland geboren und gingen hier in den Kindergarten. Die Eheleute Filiz hatten in ihrer Heimat gegen den Willen der Familien geheiratet, was in ihrem Herkunftsgebiet schon zu Repressalien bis hin zu Steinigungen geführt hat. Zudem war Herr Filiz Dorfschützer, sie mussten fliehen.
Familie Filiz wurde durch eine Ärztin begutachtet, die ihnen — vor allem Herrn Filiz — Suizidgefahr bestätigte. Auch „eine enorme psychische Belastung“ der Familie war kein Grund, die Abschiebung auszusetzen. Nach dem unerhörten Bruch des Kirchenasyls im Jahre 2003 haben sich die Verantwortlichen nun auch noch dazu entschieden, diese Familie unter allen Umständen loszuwerden. Für diesen Akt der Unmenschlichkeit wurden keinerlei Kosten gescheut. Das verdient nach Ansicht des Flüchtlingsrats Brandenburg einen DENKZETTEL für systeminternen und strukturellen Rassismus.