Während SPD und Union weiter um den Umgang mit der NPD streiten,
dokumentieren Antifaschisten seit Jahren ausführlich die Strukturen der
Rechtsradikalen. Dabei leisten sie oft Arbeit, die eigentlich von
staatlicher Seite zu erwarten wäre.
»Die fühlen sich beobachtet«, sagt Thomas Ernst vom »Antifaschistischen
Autorenkollektiv«. Er hat im Januar den Jahresrückblick
»Rechtsextremismus
im Havelland« 2004 herausgegeben. Ernst meint die Mitglieder des
»Hauptvolks« und der »Nationalen Bewegung Rathenow«, den beiden wohl
bedeutendsten Neonazi-Vereinigungen im brandenburgischen Landkreis
Westhavelland.
Die dürften allen Grund haben, sich beobachtet zu fühlen: rund 100
werden in
dem Rückblick namentlich aufgeführt, die Verstrickungen der
verschiedenen
Kameradschaften und Gruppierungen schematisch dargestellt.
Rechtsradikale
werden auf Fotos abgebildet, ihre Treffpunkte gezeigt und
nachvollzogen, wie
die Rechten in den heimischen Fußballklubs vertreten sind oder als Fans
in
die Stadien ziehen. Auch ihre Versuche, sich an den
Montagsdemonstrationen
in Rathenow oder in Brandenburg zu beteiligen, werden dokumentiert.
Einschlägige Internetseiten und ‑foren werden vorgestellt und kurz
analysiert.
»Am Samstag, dem 8. Mai 2004, wurden 166 Aufkleber der ›Mecklenburger
Aktionsfront‹ mit dem Motiv ›8.Mai 1945 – Befreiung?‹ in Rathenow
entfernt.«
Seitenlang wird im Anhang des Berichts akribisch aufgezählt, an welchem
Ort
neonazistische Aufkleber entfernt wurden. Oder wo im brandenburgischen
Landtagswahlkampf Wahlplakate der DVU oder NPD hingen, in welchen
Straßen
Postwurfsendungen der Rechten zu finden waren. Die Pedanterie, mit der
die
rechten Aktivitäten im Alltag und in Wahlkampfzeiten dokumentiert
werden,
ist erstaunlich.
Seit 1997 gibt das Autorenkollektiv den Jahresrückblick heraus. Der
erste
hatte gerade einmal drei Seiten. Der aktuelle umfasst 77 Seiten und
findet
sich ausschließlich im Internet; so kann er in Farbe mit vielen Fotos,
Bildern und Infografiken erscheinen, ohne auf Druckkosten achten zu
müssen.
Rund 15 Leuten arbeiten am Sammeln der Materialen mit; es ist ihnen
mittlerweile zur Routine geworden, Buch zu führen über abgerissene
Aufkleber
und erfolgreich zerstörte Plakate.
»Eigentlich erledigen wir die Arbeit des Verfassungsschutzes«, meint
Ernst,
»aber wir machen das nicht für die Bullen, sondern für alle.« Niemand
solle
sagen können, er hätte von nichts gewusst. Doch sei es ein
Armutszeugnis für
die Polizei, dass sie, die Antifas, so etwas machen müssten. Aber in
Rathenow hüllten sich die Offiziellen über rechte Aktivität meist in
Schweigen und die Polizei bagatellisiert Übergriffe von Neonazis,
erklärt
Ernst. Deswegen sei ihre Berichterstattung unerlässlich.
Überregionales Aufsehen erregte der Fall der Security Firma Zarnikow,
die
unter anderem das Rathenower Flüchtlingsheim bewachte. In
Zusammenarbeit mit
Bewohnern des Heims berichtete das Autorenkollektiv seit 1999 darüber,
dass
die Firma Rechtsradikale beschäftigte. Erst Ende 2002, als das
Nachrichtenmagazin »Focus« den Fall publizierte, wurde der Vertrag mit
der
Firma gekündigt. Dabei wurde auch bekannt, dass der Verfassungsschutz
des
Landes Brandenburg schon länger über die rechten Security-Mitarbeiter
informiert war. Zuvor hatten die Arbeiterwohlfahrt, als Betreiber des
Heims,
und die zuständigen Behörden jahrelang die Vorwürfe des
Autorenkollektivs
abgestritten.
Die Verfassungsschützer stufen das Autorenkollektiv als »extremistisch«
ein.
In der Logik der »Mitte« werden Linke wie Rechte unter demselben Label
geführt; eine Unterscheidung zwischen emanzipatorischer Politik und
Faschismus findet nicht statt. Dass dieser Ansatz in eine Sackgasse
führt,
belegt die derzeitige Hektik im Vorfeld des 60. Jahrestages der
Befreiung
über den Umgang mit der NPD. Hilflos erscheint die neuerliche Debatte
über
eine Neuauflage des Parteiverbots oder die Einschränkung des
Demonstrationsrechts.
Immerhin zollt der Verfassungsschutz dem Jahresrückblick Respekt.
»Derzeit
hat die zahlenmäßig starke rechtsextremistische Szene der Region«,
schrieb
er 2003, »der örtlichen Antifa publizistisch nichts entgegenzusetzen.«