Vizebürgermeisterin Marion Grigoleit zum Urteil gegen Rechtsradikale, die in
Nauen Imbissstände anzündeten
Das Urteil des Oberlandesgerichts gegen eine Gruppe Jugendlicher, die Nauen
im vergangenen Jahr mittels Brandanschläge auf Imbissstände ausländerfrei
werden lassen wollten, hat die Stadt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit
gerückt. Es gibt Menschen, die Nauen plötzlich als einen Hort rechter Gewalt
sehen. Mit Vize-Bürgermeisterin Marion Grigoleit sprach MAZ-Redakteur
Wolfgang Gerth.
Wie schätzen Sie die Situation in Nauen ein?
Marion Grigoleit: Das Zusammenleben in unserer Stadt ist leider auch durch
Intoleranz in ihren verschiedenen Ausprägungen gekennzeichnet. Die
rassistisch motivierten Brandanschläge auf Imbisse ausländischer Betreiber
und die Hintergründe der Jugendlichen zeigten die Ausmaße der
Fremdenfeindlichkeit und des Rechtsextremismus sehr deutlich und
alarmierend. Wir streben aber nach Toleranz, Solidarität und Weltoffenheit.
Deshalb darf ein von Vorurteilen, Fremdenfeindlichkeit und ausgrenzendem
Verhalten geprägtes Klima nicht hingenommen werden. Erst recht ist Gewalt in
jeder Form abzulehnen.
Wie bewertet die Stadtverwaltung das Urteil?
Marion Grigoleit: Das Urteil des Oberlandesgerichts gegen jugendliche
Rechtsradikale unserer Region ist ein Zeichen. Erstmals wurden Neonazis als
Mitglieder einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Ich würdige das
Urteil ausdrücklich als klare Aussage gegen Rechtsradikalismus und halte das
Lenken unseres Augenmerks auf die Beseitigung der Wurzeln
rechtsextremistischen Verhaltens für besonders wichtig.
Worin sehen Sie die Ursachen für die rechtsradikalen Übergriffe?
Marion Grigoleit: Diese Frage ist nicht mit drei Worten zu beantworten. Oft
wird gesagt, Arbeitslosigkeit und Ausbildungsplatznot bewirken solche
Einstellungen. Aber so einfach würde ich das nicht darstellen, gibt es doch
genug Beispiele für rechtsextreme Ideologen, die nicht arbeitslos sind. Ich
denke, die Basis für den Rechtsextremismus ist vielschichtiger. Es sind auch
Zukunfts‑, aber auch Überforderungsängste und Verunsicherungen, die mit der
rasanten ökonomischen, technologischen und sozialen Entwicklung einhergehen.
Wir werden quasi erschlagen von Neuerungen und Umbrüchen. Viele Menschen
sehnen sich nach Vereinfachungen. Und nicht selten bieten gerade
Rechtsextreme solche Vereinfachungen an. Aber es ist auch Berührungsangst im
Umgang mit Fremden. Bei Jugendlichen kommt Orientierungslosigkeit hinzu und
leider auch die Unsicherheit in der individuellen Lebensperspektive.
Was tut nun die Stadt Nauen aufgrund dieser Lage?
Marion Grigoleit: Es ist eine existenzielle Frage für unsere Stadt, dass wir
jeder Form von Gewalt eine klare und eindeutige Absage erteilen. Gewalt,
Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit müssen zurückgedrängt werden. Die
Stadtverwaltung, alle politischen Mandatsträger, Vereine, Verbände,
Unternehmen, Kirchen und jeder einzelne Bürger müssen daran arbeiten. Dazu
wird es am 16. März in der Stadtverordnetenversammlung aufgrund der jüngsten
Ereignisse, aber auch anlässlich der internationalen Woche gegen Rassismus
vom 15. bis 21. März einen entsprechenden Aufruf geben.
Womit Sie sich konkrete Maßnahmen auferlegt haben?
Marion Grigoleit: Wir haben eine Studie der FU Berlin eine Studie zum
Freizeit- und rechtsgerichtetem Verhalten von Jugendlichen vorliegen und
wollen den wissenschaftlichen Betrachtungen nun Fakten folgen lassen. Die
Thematisierung mit Hilfe des Mobilen Beratungsteams Brandenburg soll ein
erster Weg sein, durch Erläuterungen, Moderation und Information in Schulen
und Jugendklubs die Entwicklung und Abwehr von rechtsextremen und
rassistischen Entwicklungen und Übergriffen zu diskutieren. Möglicherweise
ist das auch eine Hilfe für Lehrer und Erzieher. Begonnen werden soll damit
im kommenden Monat im Nauener Haus der Begegnung. Zugleich wollen wir auf
die in Nauen lebenden Zuwanderer zugehen. Das sind derzeit etwa 230 Männer,
Frauen und Kinder. Ein sich Beschäftigen mit deren Problemen ist meines
Erachtens die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integrati on. Wir
müssen also geeignete örtliche Strukturen aufbauen. Deshalb haben wir
interessierte Bürger zur Bildung eines Ausländerbeirates aufgerufen, der uns
allen die Probleme der oftmals Noch-Fremden näher bringt. Die
Arbeitsgemeinschaft für die Ausländerbeiräte im Land Brandenburg hat uns
dafür umgehend ihre Unterstützung zugesagt.
Können Sie die Aufgaben eines solchen Ausländerbeirates näher benennen?
Marion Grigoleit: Da möchte ich nicht der Entscheidung der politischen
Gremien vorgreifen, will also zunächst nur meine eigenen Vorstellungen
darlegen. Ich denke, dessen Ziel muss es sein, die Interessen aller
Ausländer und Aussiedler gegenüber der Verwaltung und der Politik der Stadt
sowie und anderer, Nicht-Nauener Einrichtungen für Ausländerfragen zu
vertreten. Der Beirat sollte zu einem Forum für die Anliegen von Zuwanderern
werden und damit auch Bindeglied in der Diskussion zwischen Bürgern und
Stadtverordneten sein. Er muss sich zu einem Anlaufpunkt für alle
Ausländerfragen entwickeln und zur Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen.
Als Themen sind in erster Linie Einwanderungs- und Integrationspolitik sowie
die Belange von in Nauen lebenden Menschen nichtdeutscher Herkunft
angedacht.