(MAZ, 15.05., Frank Schauka, Igor Göldner) POTSDAM — Der Fund einer scharfen Waffe in der Haftanstalt Brandenburg/Havel hat Wirbel ausgelöst. Nach dem Gefängnis-Skandal um Justizbeamte, die Gefangenen ärztliche Hilfe verweigert haben, sind damit erneut die
Haftanstalt und Justizministerin Barbara Richstein (CDU) in die Kritik geraten. Richstein hatte kürzlich wegen unterlassener Hilfeleistung fünf Bedienstete der JVA suspendiert.
Nach dem MAZ-Bericht über den Waffenfund, der erhebliche Sicherheitsmängel in der JVA offenbart, räumte die Ministerin gestern ein, den Vorfall seit März zu kennen. Sie habe den Rechtsausschuss aber wegen der laufenden
Ermittlungen nicht informiert.
Richstein und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) erklärten den Bericht zum “Skandal” — obgleich die Justiz den Fall unlängst der Presse bestätigt hatte. Schönbohm erregte sich gestern heftig über Lecks im Polizei- und Justizapparat. Dabei machte er allein die Staatsanwaltschaft für die
Herausgabe der Informationen verantwortlich. “Es gibt in keinem Land eine solche Summe an Indiskretionen aus der Staatsanwaltschaft wie in Brandenburg”, tobte er.
Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg wies die Vorwürfe als “nicht nachvollziehbar und nicht belegbar” zurück. Schon Mitte April habe die Potsdamer Staatsanwaltschaft eine offizielle Presseauskunft zur Entdeckung der Waffe und zu Verfahren gegen Häftlinge erteilt. Darüber sei das
Justizministerium informiert worden, sagte Rautenberg gestern der MAZ. Es würde eine Vielzahl von Personen in Betracht kommen, die von diesem Fall wussten, sagte er.
Dennoch zeigte sich Richstein über die Veröffentlichung verärgert. Durch den Bericht könnten Ermittlungen gefährdet werden, sagte sie.
Die PDS kritisierte das Vorgehen der Ministerin als “Vertuschungstaktik”. Der rechtspolitische Sprecher Stefan Sarrach warf Richstein vor, “in diesem sensiblen Bereich des Strafvollzugs ihre Informationspflicht gegenüber dem
Parlament grob vernachlässigt zu haben”.
Auf Distanz zu der CDU-Ministerin ging auch der Koalitionspartner. Die SPD-Fraktion hielt ihr mangelndes Fingerspitzengefühl vor, “ein so gravierendes Vorkommnis wie einen Waffenfund” dem Rechtsausschuss nicht mitgeteilt zu haben. Es sei “unglücklich, dass wir von wesentlichen
Vorgängen in der JVA Brandenburg immer zuerst durch die Presse informiert werden”, sagte Sprecher Ingo Decker.
Die Qualität der Ermittlungen zum Waffenfund wird unterschiedlich bewertet. “Wie man den vermeintlichen Drahtziehern in der JVA auf die Spur kommen wollte, ist fast idiotisch”, sagte Rechtsanwalt Karsten Beckmann, der den
Hauptverdächtigen vertritt, Hintze-Entführer Wjatscheslaw Orlow. “Die Berichterstattung hatte auf das Ermittlungsergebnis überhaupt keinen Einfluss, im Prinzip hätte man die Ermittlungen vorher schon einstellen
können.”
Im Detail muss man sich die Ermittlung so vorstellen: Nachdem ein Häftling Anstaltsleitung und Ministerium auf eine scharfe Waffe in der Toilette neben dem Gottesdienstraum hingewiesen hatte, wurde der Schießkugelschreiber durch eine Attrappe ausgetauscht und von der Polizei mit einem fluoreszierenden Leuchtstoff besprüht. Am Samstag, 20. März, kamen dann aus allen Hafthäusern Gefangene zum Gottesdienst zusammen. Kein Bediensteter und keine Kamera registrierte, welche Häftlinge die Toilette aufsuchten. Im Anschluss an die Feier mussten alle 40 Teilnehmer ihre Hände einer speziellen Prüfung
unterziehen lassen. Reste der Leuchtsubstanz fanden sich bei 35 Personen — auch bei einem Anstaltsseelsorger. Kein Wunder: Die Gottesdienstbesucher begrüßten und verabschiedeten sich, wie üblich, mit Handschlag.
Gefängnis-Krankenhaus ohne Ärzte
In der JVA arbeitet nur noch eine Medizinerin von ursprünglich Fünf
(MAZ, 15.5., Ulrich Wangemann) Die medizinische Abteilung der Justizvollzugsanstalt leidet offenbar unter akutem Ärztemangel. Von ursprünglich mindestens fünf Ärzten ist nur noch eine Kollegin im Dienst. Die nach einem Brand vor zwei Jahren für mehr als 10 Millionen Euro neu errichtete, mit modernen Behandlungsräumen ausgestattete Krankenstation wird daher kaum genutzt. “Man kann sich an fünf Fingern abzählen, wie es dort zugeht mit nur einer Ärztin”, sagt der
kommissarische Leiter der Haftanstalt, Dietmar Kenter.
Wie dünn die Personaldecke ist, belegt ein Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) an die niedergelassenen Ärzte der Stadt vom 31. März. Darin heißt es: “Aus organisatorischen Gründen besteht für alle Kollegen im
Notfalldienst ab dem 1. April die Pflicht, jetzt auch Einsätze in der Krankenabteilung der JVA durchzuführen.” Bei den Medizinern aus der Stadt ist der zwangsverordnete Einsatz hinter Gittern unbeliebt, weil die
Sicherheitskontrollen viel Zeit in Anspruch nehmen und die Vergütung unattraktiv ist.
Wie berichtet, wechselt der derzeitige Leiter des Krankenhauses, Michael Böhme, in die Landesklinik. Er befindet sich derzeit im Urlaub. Ein anderer Arzt wurde suspendiert, weil gegen ihn im Zusammenhang mit dem zu spät
erkannten Herzinfarkt eines Gefangenen am 13. Januar Ermittlungen laufen. Eine weitere Kollegin ist seit dem Arzneimittel-Skandal vom Juli 2003 vom Dienst befreit. Sie soll sich im Medizinschrank der Abteilung bedient haben.
Ein älterer Arzt ging im vergangenen Jahr vorzeitig in den Ruhestand.
Dem Vernehmen nach laufen Ausschreibungen, aber angesichts des derzeitigen Ärztemangels rechnet man in der Ärzteschaft nicht mit einer zügigen Besetzung. “Es ist kein Land in Sicht”, sagt auch Anstaltsleiter Dietmar Kenter.
Wie die Gefängnisleitung auf Anfrage bestätigte, müsse im Notfall auf externe Hilfe zurückgegriffen werden — den regulären Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigung. Das heißt: Der Arzt von außen muss erst die Sicherheitskontrollen durchlaufen, bevor er zum Patienten vorgelassen wird. “Da kommt eine Schleuse, dann noch eine Schleuse, und manchmal ist der Patient dann noch auf der Zelle”, berichtet ein niedergelassener Arzt, der
zwei Einsätze in der Haftanstalt hinter sich hat.
Das Justizministerium sieht keinen Grund, Alarm zu schlagen. “Die medizinische Versorgung in der Anstalt ist gesichert”, sagt Sprecherin Dorothee Stacke. Das Ministerium habe aber “noch weitere Pläne im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung”, kündigte Stacke gestern an.
Die Bauarbeiten an dem Krankenhauskomplex sind nach Angaben von JVA-Mitarbeitern noch nicht abgeschlossen. Die Abteilung ist für die Versorgung der rund 750 Häftlinge zuständig. Das Gefängnis beschäftigt insgesamt 460 Mitarbeiter.