Hilfe von der “Opferperspektive”
VEREIN BETREUT AUCH DIE BETROFFENEN NACH DEM VORFALL IN ALT DABER
WITTSTOCK/POTSDAM Die Ermittlungen wegen des brutalen Überfalls auf Russlanddeutsche am Wochenende in Wittstock dauern an. Mit schwersten inneren Verletzungen schwebt eines der Opfer, ein 24-jähriger Mann, weiter in Lebensgefahr. Sein Freund, ein 21-Jähriger, liegt ebenfalls noch im Krankenhaus.
Inzwischen hat sich die Potsdamer Initiative “Opferperspektive” eingeschaltet und die beiden Opfer im Krankenhaus besucht. “Durchaus ist zu vermuten, dass hinter dem Übergriff ein rassistisches Motiv steht”, sagt Judith Porath vom Potsdamer Verein Opferperspektive. Seit rund einem Jahr arbeitet die Initiative zur Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt in Wittstock, so Porath, “Ein rassistischer Hintergrund würde nach unseren bisherigen Erfahrungen vor Ort unbedingt ins Bild passen.” Im Amtsbereich Wittstock beobachtete die Opferperspektive in letzter Zeit “eine Serie von Angriffen und Anfeindungen gegenüber Aussiedlern.”
Wie schon der Polizei, berichtete das 21-jährige Opfer gegenüber der Opferperspektive, dass er und sein Freund unvermittelt von hinten angegriffen worden seien. “Viele Details konnte er uns nicht nennen”, so Porath. Schnell sei er bewusstlos geworden und habe nur noch eine verschwommene Erinnerung an weitere Schläge und Tritte.
Dem zweiten Opfer wurde laut Staatsanwaltschaft ein etwa 30 mal 40 mal 30 Zentimeter großer Feldstein “mit voller Wucht” auf die Brust geworfen. Weiterhin sei, so die Neuruppiner Staatsanwältin Lolita Lodenkämper, sein Zustand kritisch.
Der inhaftierte Verdächtige sei jedoch bisher nicht als Anhänger der rechten Szene bekannt und auch nicht vorbestraft.
Die Opferperspektive — 1998 gegründet — ist seit 2000 ein selbstständiger Verein. Er betreut Menschen, die Opfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt wurden. Der Name ist Programm. In einer Selbstdarstellung heißt es: “Wir wollen in der öffentlichen Diskussion die Perspektive der Opfer stärker in den Vordergrund rücken.” Das praktische Angebot für Betroffene beinhaltet unter anderem Hilfe in rechtlichen Fragestellungen, Unterstützung bei Behördengängen, Vermittlung von psychotherapeutischer Hilfe und die Begleitung bei Gerichtsverfahren. Zudem bemühen sich die fünf hauptamtlichen Mitarbeiter, lokale Initiativen gegen Rechts zu unterstützen und zu vernetzen. Die Arbeit des Vereins wurde 2000 mit der “Carl-von-Ossietzky-Medaille” geehrt.
Schon einmal war die Opferperspektive in Wittstock aktiv: Vor einem Jahr drangen Rechte in eine Wohnung ein, in der sich der Inhaber und sein dunkelhäutiger Freund aufhielten. Dieser hatte daraufhin versucht, sich über den Balkon zu retten, stürzte jedoch aus dem dritten Stock ab und verletzte sich. Der Wohungsinhaber wurde geschlagen, die Einrichtung demoliert. Die Opferperspektive betreute die beiden Opfer des rechten Angriffs und begleitete die Prozesse gegen die Haupttäter vor dem Neuruppiner Amtsgericht.
“Schon seit Jahren ist Wittstock ein Schwerpunkt-Gebiet für die rechte Szene in Brandenburg”, weiß Porath. Die Neonazi-Szene sei sehr aktiv und sollte nicht unterschätzt werden. Wittstock habe Züge einer so genannten “No Go Area”, in der Andersaussehende und Andersdenkende ständig gefährdet seien.
Die Gründung des “Bündnis für ein Wittstock ohne Gewalt” im November vergangenen Jahres ist nach Einschätzung Poraths ein wichtiger Schritt gewesen. “Es gibt Städte, in denen derartige Bündnisse es geschafft haben, das Klima positiv zu beeinflussen.”
Aufmärsche und Gewalt
20. April 2002: Nach einem Konzert “Rock gegen Rechts” gröhlen Rechte “Sieg Heil”. Die Polizei nimmt sechs der Provokateure fest.
7. März 2002: In den Hongkong-Imbiss in der Wittstocker Poststraße wird eingebrochen. Die Täter stehlen Getränke und Geld und entleeren dann einen Feuerlöscher im Laden.
15. Februar 2002: In den Abendstunden marschieren 50 Rechte mit Fackeln “im Gedenken an den alliierten Bombenterror” durch Wittstock.
29. Oktober 2001: Rund 30 Rechtsradikale demonstrieren in Wittstock. Wegen eines Transparentes “Arbeit durch nationalen Sozialismus” kommt es zu Festnahmen.
15. Oktober 2001: Die Polizei versucht eine Feier im Jugendklub “Havanna” aufzulösen, bei der rechtsradikale Musik gespielt wird. Die Rechten verbarrikadieren sich und bewerfen die Beamten mit Flaschen, Tischen und Stühlen.
19. August 2001: 70 NPD-Anhänger demonstrieren in Wittstock, nachdem das zeitweilige Verbot des Aufmarsches durch die Polizei gerichtlich aufgehoben wurde. Mehrere Demonstranten werden unter anderem wegen Zeigens verfassungswidriger Zeichen festgenommen.
1. Juni 2001: Ein 14-Jähriger schlägt einen doppelt so alten Russlanddeutschen ins Gesicht und wirft mit einer Flasche nach ihm. Ein 16-jähriges Mädchen, das dabei steht, ruft: “Deutschland den Deutschen, Russen raus”.
20. Mai 2001: Ein dunkelhäutiger Junge stürzt aus dem dritten Stock ab, als er sich vor Rechten in Sicherheit bringen will.
15. April 2001: Eine amerikanische Reisegruppe wird in der Wittstocker McDonalds-Filiale angegriffen. Einem der Touristen mit dunklerer Hautfarbe wird das Nasenbein gebrochen.