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Wo sollen wir denn sonst hin?”

Zossen­er Jugend­klub “Leo” ist von den Sparplä­nen der Lan­desregierung betroffen

(MAZ, Alexan­der Engels) ZOSSEN Clau­dia schreibt. Das Heft hat sie umgeschla­gen. Auf dem Tisch liegen Stiftmap­pen aus bunter Plas­te oder schwarzem Led­er, manche bemalt oder bek­lebt. Sie gehören den anderen Mäd­chen: Susann, Monique, Sab­ri­na. Die 16-jähri­gen Schul­fre­undin­nen sitzen neben Clau­dia auf der Bank, die wie ein Hufeisen um den Tisch greift, und schreiben ver­sunken in ihre umgeschla­ge­nen Hefte. Es ist Hausauf­gaben­zeit im “Leo”, dem Jugend­klub im Zossen­er Ort­steil Nächst Neuendorf. 

“Leo” ist eine Anlauf­stelle, wie sie für viele kleine Orte in Bran­den­burg wichtig ist, wo son­st nur — aus Sicht der Jugendlichen — der Hund begraben ist. Ein Haus mit Sozialar­beit­ern, getra­gen von einem Vere­in, der “die Kinder von der Straße holen” will, mit Zuschüssen von Land, Kreis und Gemeinde. “Ich bin froh, dass wir den Jugend­klub haben”, sagt Zossens Bürg­er­meis­ter Hans-Jür­gen Lüders (partei­los). In die Sanierung des Haus­es habe die Stadt “viel Geld” gesteckt. Jet­zt ste­ht die Jugen­dar­beit auf der Kippe. Spätestens als bekan­nt wurde, dass das Bil­dungsmin­is­teri­um den Jugend­förder­plan des näch­sten Jahres um fast zehn Prozent kürzen will, erwachte der Protest. 

“Wo sollen wir denn son­st hin?” fragt Clau­dia. Im “Leo” trifft sie ihre Fre­undin­nen. Sie kann Spiele und Com­put­er nutzen. Und sie mag die Atmo­sphäre: “Es wird darauf geachtet, dass es keine Ran­dale gibt und kein Alko­hol getrunk­en wird.” “Zu Hause habe ich auch gar keinen Com­put­er”, sagt Susann, die kür­zlich ein Refer­at erst­mals auf einem Rech­n­er ver­fasst hat. 

Beratung auch bei per­sön­lichen Problemen

Die Betreuer ste­hen für Fra­gen bere­it. Fra­gen zu kleinen Din­gen wie Hausauf­gaben oder Bewer­bungss­chreiben und zu per­sön­lichen Prob­le­men wie die Schei­dung der Eltern, Gewalt in der Fam­i­lie, Dro­gen, Essstörun­gen oder Sex­u­al­ität. “Etwa die Hälfte der Jugendlichen, die in den Klub kom­men, und zwei Drit­tel der­er, die unsere Street­work­erin betreut, sind Prob­lem­fälle”, berichtet Rain­er Rei­necke, der zugle­ich Sozialar­beit­er und Vor­sitzen­der des Trägervere­ins “Leo e.V.” ist. “Für sie sind wir die Ansprech­part­ner Num­mer Eins.” 

Das gelte auch für die “Sti­nos”, die “Stink-Nor­malen”. Sie wer­den nicht etwa bemut­tert. “Sie sollen selb­st mitbes­tim­men”, sagt Rei­necke. So seien 37 der 43 Mit­glieder des Trägervere­ins keine 25 Jahre alt. Vier davon gehören dem Vor­stand an — unter anderem der 20-jährige Thorsten Beil­mann als Schatzmeis­ter: “Seit ich 16 war, sind wir immer wieder zum Bürg­er­meis­ter hin und haben nach einem Klub gefragt.” Damals war eine Bushal­testelle der Tre­ff­punkt bei Wind und Wet­ter. Da ist der vor einem Jahr im “Efeu-Haus” am Bah­nüber­gang eröffnete Klub deut­lich attrak­tiv­er. Etwa 30 bis 40 Jugendliche kom­men täglich her. “Ich habe Leute ken­nen­gel­ernt, die ich vorher nie gese­hen habe, obwohl sie im Nach­bar­dorf wohn­ten”, erzählt Thorsten Beil­mann. Der Klub sei nah und leicht zu erre­ichen — ide­al für Jugendliche, die keine Möglichkeit oder kein Geld haben, um weit zu fahren. 

Doch den Jugen­dein­rich­tun­gen bläst der Spar­wind aus Pots­dam ins Gesicht. Kürzun­gen gibt es bei För­der­mit­teln und im 610-Stellen-Pro­gramm (MAZ berichtete). Das Pro­gramm war erst 2002 um drei Jahre ver­längert wor­den, um der Jugen­dar­beit “Pla­nungssicher­heit” zu geben, wie Jugend­min­is­ter Stef­fen Reiche (SPD) damals sagte. Klubs haben darauf gebaut — wie “Leo” in Zossen mit drei Stellen aus dem Pro­gramm. Jet­zt muss der Land­kreis Tel­tow-Fläming sechs sein­er 35 Stellen stre­ichen. “Ein tiefer Ein­schnitt”, find­et Jugend­dez­er­nentin Karin Schreiber, “zu einem denkbar ungün­sti­gen Zeit­punkt”. Stun­den­weise wird sie bei Jugen­dein­rich­tun­gen, Street­work­ern oder Schul­sozialar­beit kürzen. “Im schlimm­sten Fall müssen Stellen wegfallen.” 

Street­work­er weiß nicht, wo er stre­ichen soll

Wie man so etwas im “Leo” auf­fan­gen soll, ist für Sozialar­beit­er Rain­er Rei­necke völ­lig unklar. “Unser Konzept würde zusam­men­fall­en” , sagt er und zeigt auf ein Blatt mit drei sich über­schnei­den­den Kreisen. Ein­er ste­ht für die offene Jugen­dar­beit im Klub, ein­er für die Beratung von Jugendlichen bei ihrem Wech­sel ins Arbeit­sleben und ein drit­ter für die Betreu­ung der Cliquen, die sich auf der Straße herumtreiben. “Was sollen wir stre­ichen?” fragt Reinicke. Alle drei Bere­iche ergänzen sich. Die Jugendlichen im Klub wie auf der Straße brauchen Hil­fe, wenn es um die Suche nach Arbeit oder Woh­nun­gen geht. 

Die frühe Betreu­ung stützt die Jugendlichen beispiel­sweise im Umgang mit der Umwelt, mit Dro­gen oder mit Gewalt. “Wir leis­ten Präven­tion­sar­beit”, sagt Annabelle Schütze, die den zweit­en Klub des Trägervere­ins in Glienick leit­et, “die Jugendlichen sind einge­bun­den in sta­bile Struk­turen, die sie in den Fam­i­lien oder im Fre­un­deskreis oft nicht mehr haben”. 

Statt sich daheim nur mit der Spielekon­sole zu beschäfti­gen, find­en die Klub-Besuch­er Auf­gaben, bei denen sie ernst genom­men wer­den. Eine Gruppe von ihnen hat zum Beispiel den prämierten Inter­ne­tauftritt ihrer Stadt gestal­tet und pflegt ihn (www.zossen.de). Andere haben Lis­ten an die Kork­wand in der Küche gehängt: Wer will beim Rom­mée-Turnier mit­machen? Im Nähkurs sind noch Plätze frei. Die Arbeits­gruppe “Die Brücke” trifft sich. 

Let­ztere ent­stand auf der Zossen­er Zukun­ft­skon­ferenz, die “Leo” im Vor­jahr ini­ti­ierte. 40 Erwach­sene und 40 Jugendliche disku­tierten, wie sie ihre Stadt lebenswert­er gestal­ten kön­nen. “Die Brücke” will zwis­chen den Inter­essen von alter und junger Gen­er­a­tion ver­mit­teln. So wurde aus einem Kinder­spielplatz ein Spiel- und Sport­platz. Eine weit­ere Arbeits­gruppe der Kon­ferenz sam­melt Geld, um eine Skat­er­an­lage zu erricht­en. Noch eine andere hat ein Jugend­par­la­ment auf die Beine gestellt, das jugendliche The­men berat­en soll und Stel­lung­nah­men bei der Stadtverord­neten­ver­samm­lung abgeben darf. Für all diese Arbeits­grup­pen gibt es Ansprech­part­ner — die Betreuer im Jugend­klub “Leo”, die jet­zt um ihre Jobs bangen. 

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