(LR, 9.5.) Am russischen Ehrenhain auf dem Südfriedhof ist gestern des Kriegsendes und
der Befreiung vom Nazi-Regime vor 60 Jahren gedacht worden. Die Cottbuser
Oberbürgermeisterin Karin Rätzel (parteilos) erinnerte dabei an die
moralische Verantwortung aller, ein Vergessen der schrecklichen Geschehnisse
nicht zuzulassen. Auch bei einem Gottesdienst in der Oberkirche sowie im
Forster Kreishaus wurde der Tag der Befreiung gewürdigt.
Der älteste Teilnehmer auf dem Südfriedhof war der 90-jährige Kurt Konarkse
aus Cottbus: “Ich habe den ganzen Krieg erlebt, an der Ostfront und in der
Ardennen-Schlacht. Ich bin froh, überlebt zu haben.” Die Schrecken des
Krieges dürften nicht vergessen werden. Er rede darüber oft in der Familie,
um die Erinnerung wach zu halten.
Vor mehr als 200 Teilnehmern erklärte Karin Rätzel, der Ort des Gedenkens
sei bewusst gewählt, “denn die Völker der ehemaligen Sowjetunion haben die
Hauptlast des Krieges getragen” . Die Gräber erinnerten an Menschen, die bei
den Kämpfen um Cottbus im April 1945 ihr Leben verloren, sowohl auf Seiten
der Roten Armee als auch auf Seiten der Cottbuser, “die Panzersperren,
Bunker und Schützengräben anlegen mussten, denen als Rentner oder Kinder
sinnlos der Gebrauch von Panzerfäusten angewiesen wurde” . Am 22. April 1945
war in Cottbus der Krieg zu Ende.
Kein Ende aber dürfe die Erinnerung haben, so Karin Rätzel. “Wir haben die
Pflicht, den heranwachsenden Generationen deutlich zu machen, wohin rechtes
Gedankengut, wohin Intoleranz, Menschenverachtung und Demokratie-Unfähigkeit
führen. Krieg kehrt immer dahin zurück, wo er hergekommen war.”
Cottbus habe das Versprechen eingelöst, die seit 1992 schrittweise
verlassenen Anlagen der Sowjetarmee in der Stadt friedlich zu nutzen. So sei
beispielsweise auf dem Gelände der Panzerkaserne das Südeck mit
Vattenfall-Hauptsitz, dem Behördenzentrum und Gewerbe entstanden, die
Sachsendorfer Kaserne diene heute mit der Fachhochschule der Bildung und in
der Bauhaus-Schule in der August-Bebel-Straße lernen Kinder.
Anatoli Blinow von der russischen Botschaft in Berlin bezifferte die Zahl
der sowjetischen Opfer im Zweiten Weltkrieg auf 27 Millionen Menschen:
“Dieser Tag ist ein Meilenstein in den Beziehungen zwischen Russland und
Deutschland. Er dient dem Erinnern, ist aber auch Voraussetzung für
friedliche Zusammenarbeit und Zusammenleben.”
Mit Ausschnitten aus Mozarts Requiem und Video-Sequenzen wurde im Forster
Kreishaus des Kriegsendes gedacht. Landrat Dieter Friese (SPD) erklärte,
dass mit dem 8. Mai 1945 zwar der Krieg und “unermessliches Leid in Europa
endlich sein Ende” gefunden habe — “das Leiden nicht” . Er erinnerte unter
anderem an die “größte Vertreibungsaktion, die es jemals infolge eines
Krieges in der Geschichte der Menschheit gegeben hatte” . Die
deutsch-polnische Grenze, an der man den Tag begehe, bezeichnete Friese -
dessen Eltern aus Sudeten vertrieben wurden — als “eine heilende Narbe der
Geschichte” . Zusammenleben in einem freien Europa heiße heute, Menschen
dort eine dauerhafte unangefochtene Sicherheit für die Zukunft zu geben, wo
sie das Schicksal nach dem Krieg hingetrieben habe.
Zu den jüngsten Besuchern auf dem Cottbuser Südfriedhof zählte die
17-jährige Tanja Wokujewa aus Moskau, zurzeit Austauschschülerin am
Schmellwitzer Humboldt-Gymnasium: “Ich wollte schauen, wie hier der Tag der
Befreiung begangen wird. Bei uns gibt es Paraden mit Technik und vie len,
vielen Menschen.”
Ihre Cottbuser Altersgefährten fehlten gestern komplett.