Potsdam — Beobachter des rechtsextremen Spektrums sind sich mit Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm einig: “Eine fest durchorganisierte militante Struktur rechter Terroristen gibt es nicht”, sagt Jürgen Lorenz vom Mobilen
Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Brandenburg. Doch Lorenz weiß, dass diese Tatsache “noch nichts über die Gefährlichkeit Einzelner oder kleiner Splittergruppen, die autark vorgehen, sagt”. Denn die sind dem Zugriff
seiner Einrichtung und auch dem Verfassungsschutz weitestgehend entzogen.
Das beweist das Beispiel der “Nationalen Bewegung”, die 2001 einen Brandanschlag auf die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs in Potsdam verübte. Die Hintermänner sind bis heute nicht gefasst worden. Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin brachte die These von “verwirrten Einzeltätern und kleinen, militanten Gruppierungen” ins Spiel, die ihm
sichtlich Unbehagen bereitete: “Die Beobachtung wird dadurch nicht leichter.” Und er erkannte bei der “Nationalen Bewegung” eine neue Qualität
rechtsextremer Gewalt.
Dies scheint sich jetzt am Beispiel der Gruppe um Neonazi Martin Wiese zu bestätigen, der als Drahtzieher des geplanten Attentats auf den Neubau des Jüdischen Kulturzentrums in München gilt. Die drei Tatverdächtigen aus der Uckermark, gegen die Generalbundesanwalt Kay Nehm in diesem Zusammenhang wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, sind bislang nicht als Mitglieder der rechten Szene in Erscheinung getreten.
“Die waren weder bei Staatsschutz noch beim Verfassungsschutz bekannt”, sagte Wolfgang Brandt, Sprecher des Brandenburger Innenministeriums. Nur einer von ihnen ist NPD-Mitglied, aber diese Partei distanziert sich -
jedenfalls offiziell — vom bewaffneten Kampf.
Offenbar hatten die Männer aus der Uckermark schon lange Kontakt zu Martin Wiese, der aus Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) stammt. Andreas J. (37) aus Menkin (Uckermark) und Wiese sollen sich 1997 kennen gelernt haben. Am 20.
April feierten sie mit rund 100 Skinheads den Geburtstag Hitlers in Menkin. Für Experten Lorenz keine Überraschung: “Im Nordosten Brandenburgs existiert
eine Schnittstelle zwischen gewaltbereiten Neonazis aus
Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.”
Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen vier Personengruppen, die das rechtsextreme Spektrum in Brandenburg abdecken: Gewaltbereite, rechtsextreme
Jugendcliquen, Neonazis, Mitglieder rechter Parteien und rechte Propagandisten, die den geistigen Überbau liefern.
Sorgen bereiten den Sicherheitsexperten im Innenministerium die neonazistischen Kameradschaften, denn sie zeigen zumindest Ansätze von Organisationsstruktur: “Die agieren sehr gezielt, verfügen über einen festen Kern und sind verhältnismäßig straff organisiert”, wie Lorenz beobachtet
hat.
Laut Verfassungsschutzbericht ist eine zunehmende Radikalisierung zu beobachten. Flugblätter und Szenepublikationen sprechen eine deutlich
antisemitische Sprache. So die Propaganda-Blätter der Kameradschaft “Märkischer Heimatschutz”, die im November 2001 von Neonazi Gordon Reinholz in Kerkow (Uckermark) gegründet wurde.
Verfassungsschützer und Kenner der Szene wie Lorenz sind sich längst einig, dass die Zersplitterung der rechten Szene und damit ihre Unberechenbarkeit noch zunehmen wird.