Werder — Auch in der Baubranche wird auf Völkerverständigung gesetzt: Durch das Europäische Ausbildungs- und Austauschprogramm Leonardo, welches seit den 90er Jahren EU-weit läuft, erhalten Auszubildende in handwerklichen Berufen die Möglichkeit, Praktika in anderen Ländern zu absolvieren. Vor kurzem waren fünf Lehrlinge vom Überbetrieblichen Ausbildungszentrum (ÜAZ) Werder für drei Wochen im Polnischen Zgierz, um mit einheimischen Kollegen ein Denkmal zu restaurieren.
Dabei handelt es sich um das Mahnmahl „100 Ermordete“. Im Zweiten Weltkrieg hatten festgenommene polnische Widerständler hier zwei SS-Männer überwältigt und getötet. Dafür wurden von der SS 100 Polnische Zivilisten hingerichtet. Entsprechend groß ist der symbolische Wert dieser Aktion. „Der Hintergrund war uns durchaus bewusst“, berichtet der angehende Stahl- und Betonbauer Ferry Leibnitz. Von polnischer Seite wurde das Projekt sehr aufmerksam beobachtet. Die Stadt Zgierz war von der Arbeit der Deutschen letztendlich so begeistert, dass der Stadtpräsident sie zu Ehrenbürgern gemacht hat. Denn eigentlich sollten die Lehrlinge ihre polnischen Kollegen lediglich unterstützen. „Wir haben uns aber voll eingebracht“, erzählen sie. Putz abschlagen, säubern, grundieren und streichen. Man sei von ihren Fertigkeiten positiv überrascht gewesen, so Leibnitz, der das so begründet: „Bei polnischen Auszubildenden sieht das wohl anders aus, da fehlt es manchmal noch an der Praxis.“ Die sprachlichen Barrieren habe man mit gebrochnem Englisch sowie „Händen und Füßen“ überbrücken können. Ein Dolmetscher sei nicht durchgehend dabei gewesen.
Neben der Arbeit haben die Lehrlinge auch das Land kennen gelernt, unter anderem standen Exkursionen nach Warschau und Lodz auf dem Programm. Leibnitz und seine vier Kollegen Christian Bölke, David Fietzke, David Hoffmann und Marcel Urban waren ihrerseits fasziniert vom Nachbarland. Im September wollen sie noch einmal nach Zgierz fahren.
Parallel zu ihrem Projekt beleuchtete eine 12. Klasse von einem Berliner Gymnasium den historischen Hintergrund der „100 Ermordeten“. Bei der Präsentation sollen die fünf Werderaner dabei sein. So werden gleich zwei „Brücken“ gebaut: Zum einen zwischen den Handwerkern, zum anderen zu den Abiturienten.
Die Lehrlinge haben mit ihrem Praktikum jetzt auch einen Pluspunkt im Lebenslauf, denn so gefragt wie im Ausland seien sie in Deutschland längst nicht mehr, berichten sie. Schottland und die Schweiz seien die Ziele der fünf, wenn die Lehre abgeschlossen ist. Im ÜAZ-Werder werden die angehenden Handwerker durch Praktika und Bildungskooperationen auch auf eine Zukunft außerhalb Deutschlands vorbereitet. „Projekte im Ausland sind eine echte Chance für die Jugendlichen, und auch für uns als Ausbilder“, so ÜAZ-Leiter Matthias Gedicke. Regelmäßig reisen Lehrlinge aus Werder zum Beispiel ins italienische Mantova, um dort beim Aufbau eines Klosters zu helfen. Kontakte bestehen auch nach Norwegen, wo die Azubis zwei Monate auf verschiedenen Baustellen verbringen. Betreut werden solche Projekte vom Bildungsverein Bautechnik. Geschäftsführerin Angelika Thormann: „Viele wollen gleich da bleiben, oft müssen wir sie überreden, wenigstens zur Gesellenprüfung noch einmal zurück zu kommen.“ Von den elf Lehrlingen, die in diesem Jahr ihr Praktikum dort absolviert haben, hätten sieben gleich eine Anstellung gefunden. TL