POTSDAM Wäre es vor einer Woche nicht schon einmal so abgelaufen, wäre der gestrige Vorfall ein Novum gewesen: Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) sieht sich zu einer öffentlichen Klarstellung veranlasst, weil ihn Äußerungen seines Stellvertreters in der Koalition, Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), zum Reizthema Zuwanderung offensichtlich irritiert haben.
Schönbohm hatte gestern mittag kurzfristig die Presse geladen. Es sollte wieder einmal um die Zuwanderungsfrage gehen, aber auch um die Fraktionsvorstandswahl am Vortag. Als es um ein mögliches Abstimmungsverhalten im Bundesrat in der “Z‑Frage” ging, erklärte Schönbohm, dass er die vier Forderungen Brandenburgs im neuen Entwurf als nicht erfüllt ansieht; deshalb sei das Gesetz “nicht zustimmungsfähig”. Schönbohm: “Ich habe für mich eine Entscheidung getroffen, die ist glasklar”.
Ob die Forderungen Brandenburg erfüllt sind, genau diese Frage ist seit Tagen zwischen CDU und SPD strittig. Als Schönbohm vor einer Woche äußerte, “die Landesregierung” könne nicht zustimmen, hatte Stolpe ihn vom Urlaubsort in Tirol aus indirekt gerügt (“vorschnelle Äußerungen”) und auf den Zeitplan verwiesen: keine Entscheidung vor dem 19. März — drei Tage vor der Abstimmung im Bundesrat.
Gestern nun, knapp eine Stunde nach der Schönbohm-Äußerung, drängte es Stolpe zu den Journalisten und an die Mikrofone. Kurz davor ist Stolpe noch ein Satz von Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) zu Ohren gekommen, der in München erklärte, er rechne mit einer Stimmenthaltung Brandenburgs im Bundesrat. Stolpe pochte erneut auf den mit der CDU und Schönbohm vereinbarten Zeitplan und merkte, scheinbar nebenbei, an: “Ob meine vier Forderungen erfüllt sind, das entscheide ich allein und nicht Stoiber oder sonst einer.”
So deutlich hatte er es bisher noch nicht gesagt. Im Klartext: Der Ministerpräsident behält sich als Regierungschef das letzte Wort vor. Auch im Bundesrat? Darauf geht er zwar nicht direkt ein. Aus seiner Umgebung ist aber zu hören, dass dies auch für den Bundesrat gelte. Schließlich stimme — entgegen allen anderen Beteuerungen — der Regierungschef in der Länderkammer ab — und nur der.
Verwunderung, vor allem aber Ratlosigkeit lösten Schönbohms Äußerungen in Stolpes Umfeld auch deshalb aus, weil sich die bundesweite Großwetterlage etwas entspannt hat. Möglicherweise kommt es auf Brandenburg gar nicht mehr an, sollte beispielsweise das SPD/FDP-geführte Rheinland-Pfalz nicht zustimmen.
Nun wird über die Gründe für Schönbohms neuen Vorstoß gerätselt. In der SPD gibt es die Befürchtung, die CDU könnte durch Querelen wie vor 1999 in schweres Fahrwasser geraten, was Folgen für die Koalition hätte. Und schließlich war am Vortag Schönbohms Ziehkind Sven Petke als innenpolitischer Sprecher der Fraktion durchgefallen.
Wie gefährdet die Koalition ist, darauf gaben beide Spitzenleute gestern ausweichend Antwort. Stolpe: “Ich werde nicht derjenige sein, der sie zerbricht.” Schönbohm: “Ich spekuliere nicht über ein Thema, das sich nicht stellt.”