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Zwangsarbeit im Flick-Stahlwerk

In Berlin wurde am Dien­stag die umstrit­tene “Flick Collection”
zeit­genös­sis­ch­er Kun­st eröffnet. Der Groß­vater des Samm­lers Friedrich
Chris­t­ian Flick, Friedrich Flick (1883 bis 1972), stand 1947 vor dem
Nürn­berg­er Kriegsver­brecher­tri­bunal. Er wurde u. a. wegen der Ausbeutung
aus­ländis­ch­er Zwangsar­beit­er in seinen Rüs­tungs­be­trieben zu sieben
Jahren Haft verurteilt, aber schon 1950 vorzeit­ig ent­lassen. Das Privat-
und Fir­men­ver­mö­gen blieben unange­tastet. Die 1947 beschlossene
Zer­schla­gung des Rüs­tungskonz­erns wurde in den westlichen
Besatzungszo­nen nur inkon­se­quent ver­fol­gt. Friedrich Flick wurde zu
einem der ein­flussre­ich­sten Indus­triellen der Nachkriegs­geschichte in
der BRD, die ihn mit hohen Ausze­ich­nun­gen ehrte. Nach dem Tode seines
Groß­vaters erbten Friedrich Chris­t­ian Flick und dessen Geschwis­ter 310
Mil­lio­nen Mark. Der Vizepräsi­dent des Zen­tral­rats der Juden in
Deutsch­land, Salomon Korn, sprach von “Blut­geld”. Mitte der 80er-Jahre
kaufte Friedrich Chris­t­ian Flick von dem geerbten Geld ein modernes
Kunst­werk, eine Zeich­nung von Sieg­mar Polke, und begrün­dete seine
Samm­lung, die heute auf min­destens 300 Mil­lio­nen Euro geschätzt wird. 

1931 wurde die Mit­teldeutsche Stahl- und Walzw­erk AG geschaf­fen. An der
Spitze stand Friedrich Flick. Werke in Bran­den­burg, Hennigsdorf,
Kirch­mös­er und Span­dau sowie in Riesa, Gröditz, Lauchhammer,
Unter­wellen­born und Fre­ital gehörten in den fol­gen­den Jahren zum
Flick-Konz­ern mit Sitz in Düsseldorf. 

Die Pro­duk­tion der 1937 als “Mit­teldeutsche Stahlw­erke Friedrich Flick
KG” zusam­menge­fassten Stahl-und Walzw­erke Bran­den­burg und Hennigsdorf
war über­wiegend von der Rüs­tung bes­timmt. In Hen­nigs­dorf wurden
Infan­teriegeschosse, Patro­nen­hülsen und Artilleriekar­tuschen sowie Minen
und Tor­pe­dos pro­duziert. Als eines der ersten Pri­vatun­ternehmen im
Reichs­ge­bi­et hat das Flick-Stahlw­erk schon am 28. Mai 1940 den Einsatz
von KZ-Häftlin­gen des Lagers Sach­sen­hausen in Hen­nigs­dorf vereinbart.
Die Anzahl der Zwangsar­beit­er stieg ständig. Im Sep­tem­ber 1944 betrug
der Anteil der Zwangsar­beit­er 52 Prozent — von 2820
“Gefol­gschaftsmit­gliedern”, wie es in der Sta­tis­tik heißt, waren 1487
Aus­län­der. 1947 stellte das Gericht in Nürn­berg fest, dass Flick in
bes­timmten Fällen “bewusst und ohne staatlichen Zwang Zwangsar­beit­er zur
Steigerung der Rüs­tung­spro­duk­tion einge­set­zt” habe. 

Im Pren­zlauer Berg Muse­um wurde am vorigen Son­ntag die Ausstellung
“Zwangsar­beit in Berlin 1938 — 1945 und das Beispiel Flick” eröffnet.
Ein Kapi­tel befasst sich auch mit der “Zwangsar­beit bei Mit­tel­stahl in
Hennigsdorf”. 

Die Ausstel­lung in der Pren­zlauer Allee 227 ist bis 4. November
dien­stags bis don­ner­stags 12 bis 18 Uhr und son­ntags 10 bis 18 Uhr geöffnet. 

MAZ, 23.9.04
Wildau: 64 Stun­den schuften. Ex-Zwangsar­beit­er bericht­en über ihre
Aus­beu­tung in deutschen Fabriken 

Hen­drik van Uitert reckt den recht­en Arm in die Höhe und deutet über
seine Zuhör­er hin­weg: “Oben auf dem Berg habe ich gewohnt, zwei Jahre
lang”, sagt der 80-jährige Nieder­län­der. Die 120 Realschüler vor ihm im
Wildauer Volk­shaus ver­s­tum­men. “Oben auf dem Berg” — gemeint ist ein
Zwangsar­beit­er­lager der Nazis. 

“Es war ein großes Lager”, erin­nert sich van Uitert, der gemein­sam mit
acht pol­nis­chen Zwangsar­beit­ern für zehn Tage in der Region ist. “Viele
rus­sis­che, pol­nis­che und franzö­sis­che Kriegs­ge­fan­gene waren da, zudem
viele Arbeit­er aus Ost€pa.” Und ein paar Nieder­län­der. In jedem Raum
seien bis zu 18 Arbeit­er unterge­bracht gewe­sen. Im Win­ter schoben sie
die Bet­ten aneinan­der, damit ihnen wärmer wurde — Brennstoff gab es nicht. 

Van Uitert wurde 1943 deportiert, im Alter von 20 Jahren. In Wildau
musste der junge Mann bis zum Kriegsende beim Rüstungslieferanten
Berlin­er Maschi­nen­bau AG arbeit­en. Er schuftete in der Kesselschmiede,
64 Stun­den die Woche. Nur der Son­ntag war frei. Der Lärm habe ihn fast
taub gemacht, sagt der Rent­ner: “Ganz gut ist es bis heute nicht geworden.” 

Van Uitert erhielt einen Stun­den­lohn von 80 Reich­spfen­nig, von dem er
die Unterkun­ft und Essen bezahlen musste. Es gab zwei Stullen Brot am
Tag und einen Liter dünne Suppe. “Das war Wass­er”, sagt er. Ein wenig
Geld sei den­noch übrig geblieben. So habe er ab und zu in Berlin ins
Kino gehen kön­nen — obwohl die Aus­flüge ver­boten waren. 

Ob es Strafen gab im Lager, will ein Schüler wis­sen. Ja, für Diebstahl
oder wenn ein­er nicht arbeit­en wollte, antwortet van Uitert. “Aber viel
ist nicht passiert”, sagt er — zumin­d­est bei den Arbeit­ern aus dem
West­en: “Im Ver­gle­ich zu Russen und Polen hat­ten wir es gut.” Was mit
Schwan­geren passiert sei, fragt ein ander­er. Sie soll­ten abtreiben,
berichtet van Uitert — Klei­dung, Windeln oder Extra­por­tio­nen Essen für
Kinder gab es nicht. In einem Schöne­felder Lager seien 20 Babys zur Welt
gekom­men, ergänzt Irm­traud Carl vom Vere­in Kul­tur­land­schaft. Keines habe
überlebt. 

Wie sich die Deutschen ver­hal­ten hät­ten, ist eine weit­ere Frage. Sein
erster Chef sei ein “guter Men­sch” gewe­sen, sagt van Uitert. “Doch dann
kam ein Parteigenosse — er has­ste Aus­län­der.” Viele Kol­le­gen waren
“kor­rek­te Leute”, so die Zwangsar­bei­t­erin Jan­i­na Doman­s­ka aus Polen.
Eine Deutsche habe sie nach Hause ein­ge­laden, dort habe sie sich zum
ersten Mal sauber machen kön­nen — im Lager gab es keinen Waschraum. 

Oft jedoch wur­den den Arbeit­ern selb­st kle­in­ste Lebens­freuden genommen.
In der Wei­h­nacht­szeit hät­ten sie in ihrer Baracke einen Christbaum
aufgestellt und mit Met­all­spä­nen geschmückt, berichtete Sabi­na Bojarska,
die in den Schöne­felder Hentschel-Flugzeug­w­erken arbeit­en musste. Doch
bald seien Wach­leute angerückt, hät­ten den Baum mitgenom­men und verbrannt.

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