(ULRICH WANGEMANN, MAZ) Ein leichtes Zischen vernahm Günter Henschels Frau, als sie am Abend des 30. April das Schlafzimmerfenster schließen wollte. Sie alarmierte ihren Mann, doch als der die Treppe herunter geeilt kam, waren die Verursacher des seltsamen Geräuschs schon davongerannt. Günter Henschel war fassungslos, als er in den Hof trat. Sein Anbau war auf einer Länge von 15 Metern — das entspricht 30 Quadratmetern — mit Farbe besprüht. Schwarz-silber, hässlich, riesig.
Vielleicht hätte der 67-Jährige den Ärger in sich hinein gefressen, wäre er vor einer Woche nicht auf das MAZ-Interview mit zwei Sprayern gestoßen. Darin äußerten die jungen Männer, sie würden nur Mietshäuser beschmieren, keine Eigenheime. “Es hat mich maßlos geärgert, weil es nicht stimmt”, sagt Henschel.
In der Tat. Das Haus hat der ehemalige Mechaniker vor 46 Jahren gekauft — unter großen Anstrengungen. Die bepinselten Anbauten hat er mit eigener Hand errichtet, Stein für Stein. Seit fast einem halben Jahrhundert wohnt er mit seiner Familie darin.
Er ist nun wirklich kein typischer anonymer Vermieter, der in Hamburg wohnt. Henschel ist keine zehn Kilometer von seinem Wohnort entfernt geboren — in Mötzow.
Die Mauer des Anbaus hat er erst im vergangenen Jahr mit weißen Platten verkleidet und teilweise neu gestrichen. “DDR-Spritzputz — das ist so eingezogen, das bekomme ich nie wieder weg”, ist sich Henschel sicher. Die Kunststoffvert äfelung nebenan kann er nicht einfach überstreichen. Mit Lösungsmittel wird er jeden gekrakelten Schriftzug abreiben müssen. Zwei Wochen Arbeit wird dem Rentner die Sprüh-Attacke kosten — Zeit, die er sicher gern im Garten oder mit einem guten Buch verbracht hätte. Ganz zu schweigen von den Gängen zur Polizei. 500 Euro wird ihn der Schaden kosten, den die Täter leichterhand in wenigen Minuten verursacht haben.
Henschels Ärger und Besorgnis teilen hunderte Hausbesitzer in der Stadt. Hilflos sehen sie zu, wie sich die bunte Plage bis in die friedlichen Vororte ausbreitet. “Solche Schmierereien haben wir in der Mötzower Vorstadt ewig nicht gehabt”, sagt Graffiti-Opfer Henschel.
Aber der Farb-Anschlag hat nicht nur einen materiellen Schaden verursacht. Günter Henschel hadert immer noch mit der menschlichen Seite der wahllosen Verschandelungswut. Er kann es einfach nicht fassen. “Ich wüsste gern, was diese jungen Menschen für eine Ausbildung gemacht haben oder machen wollen.” Henschel würde ihnen einfach gern in die Augen blicken, um zu verstehen, was in ihren Köpfen vorgeht. Fast klingt, es, als täten sie ihm leid. Weil sie es nötig haben, seinen Anbau zu verschandeln.