NEURUPPIN An Pöbeleien wegen seiner Hautfarbe ist er gewöhnt, sagte gestern der 19-jährige Manuel G. aus Wittstock. Aber auch für ihn war die Nacht auf den 21. Mai des vergangenen Jahres eine Ausnahme. Damals floh er in Wittstock vor einigen jungen Männern und stürzte dabei drei Stockwerke in die Tiefe.
Seine mutmaßlichen Verfolger stehen seit dem 5. März vor dem Neuruppiner Amtsgericht: Sven K. (23), Dennis E. (23), sein Bruder Daniel (22) und Karsten St. (21). Doch die vier schweigen zu den Vorwürfen. Ihre Kumpel im Gerichtssaal dagegen halten sich weniger zurück. Ihre lautstarken Kommentare wurden mehrfach vom Vorsitzenden Richter gerügt.
Angst haben sowohl Manuel G. wie auch sein Freund Daniel A. seit dem Vorfall. Für ihn Grund genug, umzuziehen. Sie wollten in Daniels Wohnung Nudeln kochen, als sie Lärm im Treppenhaus hörten. Manuel G. befürchtete sofort, dass er verprügelt werden sollte, sagte er gestern dem Gericht. Und bevor die Wohnungstür aufgetreten wurde, war er schon mit einem Bein auf dem Nachbarbalkon. Als sich ein Maskierter über die Brüstung beugte, hangelte er sich runter in den dritten Stock. Doch dann rutschte er ab und fiel in die Tiefe. “Ich hatte mehr Angst, in der Wohnung zu bleiben als zu klettern”, meinte Manuel G. zu dieser Aktion. Vier Tage musste er im Krankenhaus bleiben.
Sein Freund Daniel A. hatte durch den Türspion vier bis fünf Personen gesehen, darunter einen Maskierten. Während der hinter seinem Freund her war, sei er aufs Bett gestoßen und geschlagen worden. Von wem, konnte er allerdings nicht sagen. Der Maskierte war der 18-jährige Dennis St. Er ist bereits zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Gestern wurde er als Zeuge gehört. “Weiß nicht, kann sein”, waren seine häufigsten Worte. Nach seiner Aussage stürmten alle außer Sven K. nach oben. Er selbst habe Daniel A. auch ein- oder zweimal geschlagen: “Aus Wut, weil sie den Schwarzen nicht erwischt hatten.” Und warum er es gerade auf den Farbigen abgesehen hatte, wollte der Richter wissen. “Ich kann Ausländer nicht leiden”, meinte der Kahlrasierte. Eine Tatortskizze mit den Angeklagten will er unter Druck angefertigt haben. Der Polizeibeamte hätte ihm gesagt, dass seine Kumpel alle gegen ihn ausgesagt hätten. Er sei der Einzige, der dran ist. Das verwunderte den Staatsanwalt doch sehr, hatte Dennis St. doch diese Aussage vor dem Ermittlungsrichter bestätigt.
Die Verhandlung wird am kommenden Mittwoch (20.März 02) fortgesetzt.
Macht ohne Ehre
Vor dem Amtsgericht Neuruppin wurde gestern der Prozess gegen vier junge Männer fortgesetzt, die sich wegen gefährlicher Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verantworten müssen.
Alles begann mit einer Feier in einer Wittstocker Plattenwohnung an der Papenbrucher Chaussee am 20. Mai vorigen Jahres. Sechs oder sieben junge Leute sind zusammen, trinken, amüsieren sich, hören Musik. Doch es ist nicht eine x‑beliebige Musik. Woran sich die fröhliche Gesellschaft ergötzt, ist eine indizierte CD mit dem Titel „Herrenrasse“, produziert von einer Band, die sich „Macht und Ehre“ nennt. Solche Musik von solchen Gruppen wird in bestimmten Kreisen. Zum Beispiel von jungen Männern, die sich die Köpfe kahl rasieren und gerne in Bomberjacken und Springerstiefeln ausgehen. Die Angeklagten Sven K., Dennis und Daniel E. sowie Karsten St. gehören zu den Glatzen, Bomberjacken sind ihr Markenzeichen. Auf dem Sweatshirt, das Dennis E. im Gerichtssaal trug, prangte der Schriftzug Germania. Dafür wird freilich niemand bestraft, doch es ist ein Hinweis, welch Geistes Kind jemand ist. Der Zufall wollte es, dass im Aufgang dieses Hauses ein anderer junger Mann wohnte, der mitunter von einem Freund besucht wurde. Und dieser Freund ist ein Deutscher dunkler Hautfarbe. Irgendwann im Laufe des Abends wird in der fröhlichen Gesellschaft die Rede auf dem „Neger“ kommen, der sich hier im Hause aufhalte. Und irgendwann wird auch der Vorschlag gemacht, dem „Neger eins auf die Fresse zu hauen“.
Was dann geschah, schilderte der Zeuge Daniel A. dem Gericht. Gegen 23.30 Uhr habe er im Treppenflur laute Stimmen vernommen, die sich näherten. Als Daniel A. darauf durch den Spion blickte, sah er vier bis fünf Männer, darunter einen Maskierten. Er schloß sofort die Tür ab. Doch es half nichts. Die Wohnungstür wurde eingetreten. Daniels 19-jähriger Freund Manuel flüchtete über den Balkon der im dritten Stock gelegenen Wohnung. Einer der Eindringlinge, der sich eine Ski-Maske über das Gesicht gezogen hatte, stürmte mit dem Ruf „Wo ist der Neger?“, sofort auf den Balkon. Doch das Opfer entkommt ihm. Manuel hangelt sich zu einem Balkon im zweiten Stock weiter. Stürzt dort jedoch ab. Er kann sich aber aufrappeln und flüchten. Später wird er einen Arzt aufsuchen. Der Mediziner diagnostiziert eine Lendenwirbelsäulen-Prellung und Abschürfungen. Manuel muss darauf vier Tage in einem Krankenhaus behandeln lassen.
In seiner Wohnung wird Daniel A. aufs Bett gestoßen und seiner Aussage zufolge von einem der Eindringlinge vier– bis fünfmal mit der Faust geschlagen. Im Gerichtssaal hat der Zeuge gestern Dennis E. als den Schläger identifiziert. (Anm. v. ProzeßbeobachterInnen: Daniel hat Dennis E. als einen der Eindringlinge, nicht aber als den Schläger identifiziert.)
In der Wohnung zerschlugen die Eindringlinge eine Scheibe und eine Schrankwand. Als dann die von Nachbarn alarmierte Polizei erscheint, endet der Spuk. (Anm. v. ProzeßbeobachterInnen: Daniel A. hat die Polizei selbst gerufen)
Für Daniel A. hat die Sache aber noch ein anderes Nachspiel. Der damals 19-Jährige absolvierte in Pritzwalk einen Vorbereitungskurs für eine Malerausbildung. Als dort bekannt wird, dass einer Eindringlinge in einem abgetrennten Verfahren eine Jugendstrafe von drei Jahren und 3 Monaten erhalten hat, wird Daniel A. zum Mobbing-Opfer. Auf RA-Nachfrage berichtet er, dass die Anderen ihm vorgehalten hätten, dass seinetwegen einer ihrer Kumpel im Knast gelandet sei. Auf die Anfrage, ob denn alle Jungen rechts eingestellt gewesen wären, meinte Daniel A.: „Nicht alle, aber die hatten das Übergewicht.“ Als er mit einem Ausbilder sprach, habe dieser die Mobber zwar zur Rede gestellt, doch sei dann alles noch schlimmer geworden. „Die hielten mir vor, dass ich bei anderen Schutz gesucht habe“, berichtete er. „Ich bin dann zum Schluß nicht mehr nach Pritzwalk gefahren und wurde aus der Maßnahme rausgenommen.“ Heute lebt der 20-Jährige von der Sozialhilfe.
Auch Manuel musste im Alltag bereits einige bittere Erfahrungen machen. In der Wohngegend um die Papenbrucher Chaussee seien viele Rechte zu Hause. Er sei auch schon angepöbelt worden. „Neger, verpiss Dich“, habe er schon zu hören bekommen.
Die Vernehmung der Zeugen gestaltete sich gestern schwierig und langwierig. Immer wieder brachte die Verteidigung Anträge vor, die das Gericht zwangen, sich zur Beratung zurück zu ziehen. Hinzu kam, dass Zeugen wie der bereits verurteilte Dennis St. und die 20-jährige Cindy B. erhebliche Erinnerungslücken aufwiesen. Immer wieder mussten ihnen der Staatsanwalt oder Richter Gerhard Pries Passagen aus den polizeilichen Vernehmungsprotokollen bzw. aus einem vorangegangen Prozess vorhalten. Erst, wenn sie mit früheren Aussagen konfrontiert wurden, machten sie Angaben, die zur Aufhellung des Tathe
rgangs beitrugen. Gestern wurde bereits deutlich, dass mit den ursprünglich vorgesehenen Prozesstagen nicht auszukommen ist. Als weitere Prozesstage sind bereits Mittwoch, der 20. März, und Montag, der 25.März, vorgesehen.