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Zwischen Kapitulation und Widerstand

Wie ist es um das Erbe des Wider­stands deutsch­er Gew­erkschafter von 1933 bis 1945 gegen die Nazis bestellt? Wird dieser Wider­stand hin­re­ichend gewürdigt? Hat der Deutsche Gew­erkschafts­bund (DGB) dieses Erbe ange­treten? Fra­gen dieser Art inspiri­erten einen Stipen­di­atenkreis der gew­erkschaft­sna­hen Hans-Böck­ler-Stiftung, am ver­gan­genen Woch­enende ein Sem­i­nar zum The­ma “Gew­erkschaften zwis­chen 1933 und 1945” abzuhal­ten. Das ehe­ma­lige Konzen­tra­tionslager Sach­sen­hausen nördlich von Berlin bot sich als Tagung­sort an. Hier wur­den hun­derte Gew­erkschafter eingek­erk­ert, gequält und auch ermordet.

An der Tagung beteiligten sich neben den Stipen­di­at­en, die vier Porträts in Sach­sen­hausen inhaftiert­er Gew­erkschafter vorstell­ten, zahlre­iche namhafte His­torik­er sowie eine nicht allzu große Zahl aktiv­er Gew­erkschafter. Als Zeitzeuge, eigentlich aber als stre­itlustiger Feuerkopf, fig­uri­erte der 91-jährige Theodor Bergmann, lebenslanger undog­ma­tis­ch­er Kommunist.

Die Ver­anstal­tung geri­et keineswegs zu einem Repeti­to­ri­um über Fak­ten und Zusam­men­hänge. Es gab Stre­it. Der entzün­dete sich an der Frage, was gew­erkschaftlich­er Wider­stand war und welche Bedeu­tung ihm zukommt. Die Antwort darauf hängt von ein­er Vor­frage ab: Wie soll man das Ver­hal­ten der Gew­erkschaften vor dem 2.Mai 1933, dem Datum der gewalt­samen Auflö­sung des A (=All­ge­meinen) DGB, beurteilen?

Der His­torik­er Karl Lauschke wies in seinem Refer­at auf die Schwächung der Gew­erkschaften schon am Ende der Zwanziger­jahre hin, den Rück­gang der Mit­gliederzahl, die Nieder­la­gen in den Streikkämpfen, die Masse­nar­beit­slosigkeit seit 1929. Er umriss die Offen­sive der Unternehmer­seite. “Die krankhaften staatssozial­is­tis­chen Hal­tun­gen”, so hieß es dort, “müssen zurückge­drängt werden.”

Ohne diese Fak­ten zu rel­a­tivieren, ent­warf der His­torik­er Peter Jahn ein düsteres Bild von der Poli­tik der Führung des ADGB nach der nazis­tis­chen Machtüber­nahme. Das Denken dieser Führung war nicht nur bes­timmt von linken Irrtümern wie dem, dass die Naz­i­herrschaft nur von kurz­er Dauer sei, Hugen­berg als Wirtschafts­dik­ta­tor der eigentliche Feind sei etc. In der Logik dieser Argu­mente kam es darauf an, diszi­plin­iert auszuhar­ren, die Organ­i­sa­tion zu ret­ten. Tat­säch­lich aber ging die Gew­erkschafts­führung über diese Defen­sivlin­ie weit hin­aus. Sie suchte einen Platz im neuen Staat. Gew­erkschafts­führer sprachen davon, dass Nation und Arbeit stets aufeinan­der bezo­gen seien. Man ver­han­delte, wen­ngle­ich ergeb­nis­los, mit den nazis­tis­chen Gew­erkschaftern des NSBO. Um schließlich zur Teil­nahme an der nazis­tis­chen 1.-Mai-Demonstration aufzurufen.

Erst als die Nazis die Avan­cen des ADGB zurück­wiesen und — wie zum Hohn — am 2. Mai die Gew­erkschaft­shäuser beset­zten, schloss sich eine größere Zahl von Gew­erkschafts­führern dem Wider­stand an. Löscht diese Wider­stand­stätigkeit die Ver­ant­wor­tung gew­erkschaftlich­er Führer aus, soll man von den nation­al­is­tisch-reak­tionär einge­färbten Zie­len manch­er der inhaftierten Gew­erkschafts­führer abse­hen? Die Mehrzahl der Tagungsmit­glieder bejahte dies.

Der His­torik­er Willy Buschak betonte, wie wichtig die inter­na­tionalen Beruf­ssekre­tari­ate, die Trans­portar­beit­ergew­erkschaft, die Seeleute für die Organ­i­sa­tion des Wider­standes waren. Er ent­warf ein nüchternes Bild von den Wider­stand­sak­tio­nen deutsch­er Gew­erkschafter. Meist habe es sich um kleine Zirkel “im Warte­s­tand” gehan­delt, die der Aufrechter­hal­tung der Kon­tak­te dien­ten. Dezi­dierten, kon­spir­a­tiv­en gew­erkschaftlichen Wider­stand hät­ten nur wenige Grup­pen geleis­tet. Demge­genüber wies der Poli­tologe Siegfried Mielke darauf hin, dass neue Quellen einen größeren Umfang gew­erkschaftlich­er Wider­stand­sar­beit zeigten als bis­lang angenom­men. Es reiche nicht aus, die Gestapo-Akten als einzige Quelle zu nehmen.

Der Beitrag des Sozial­his­torik­ers Josef Moosler führte in den Prob­lemk­ern des Ver­hält­niss­es der Nazis zur Arbeit­erk­lasse. Ein­er­seits kann keine Rede sein von ein­er “Bestechung” der Arbei­t­erIn­nen durch den NS-Staat. Götz Alys The­sen von “Hitlers Volksstaat” hiel­ten kein­er Nach­prü­fung stand. Zwar wurde die Masse­nar­beit­slosigkeit beseit­igt, aber die Sozialleis­tun­gen wur­den gekürzt und indi­vid­u­al­isiert. Lohn­er­höhun­gen stand die Ver­längerung des Arbeit­stags gegenüber. Ander­er­seits war aber die Nazi-Pro­pa­gan­da nicht leer, sie weck­te Vorstel­lun­gen von einem zukün­fti­gen “guten Leben”. Viele Arbei­t­erIn­nen waren zudem nicht immun, wenn sie von der Nazi-Führung ide­ol­o­gisch umwor­ben wurden.

Es war auch Moosler, der die Frage aufwarf, wie die Linken und speziell die Gew­erkschafter das his­torische Scheit­ern in eine Reflex­ion ein­beziehen kön­nten, die nicht in Erschöp­fung und Rat­losigkeit versinkt. Kann bei den Gew­erkschaftern heute his­torisches Inter­esse erweckt wer­den, das Kraft schöpft aus den hero­is­chen wie dun­klen Seit­en der Gew­erkschafts­be­we­gung. Hart­mut Simon, Archivar bei Ver.di, bezweifelte die Exis­tenz eines solchen Inter­ess­es. Ver.di habe genug damit zu tun, seine gegen­wär­tige Iden­tität zu find­en. Für his­torische Wurzel­suche bleibe da keine Zeit. Hinzu komme, so der His­torik­er Klaus Ten­felde, dass sich eine Geschichte des Auf­stiegs leichter zu Zweck­en der Iden­titäts­bil­dung ver­wen­den ließe als eine Geschichte des Abstiegs, wie im Fall der Gewerkschaftsbewegung.

Zum Schluss hielt Gün­ther Morsch, Leit­er der Gedenkstätte Sach­sen­hausen, ein feuriges Plä­doy­er dafür, in den laufend­en Deu­tungskämpfen um die Geschichte der NS-Zeit Flagge zu zeigen. Ger­ade die Neolib­eralen ver­sucht­en, in ihrem Kampf gegen den Sozial­staat die Gew­erkschaften auch his­torisch zu mar­gin­al­isieren. Antifaschist sei nach neolib­eraler Ver­sion, wer den auf Hitler zurück­ge­hen­den Sozial­staat bekämpfe. Weshalb die Ehrung antifaschis­tis­ch­er Gew­erkschafter auch eine aktuelle poli­tis­che Bedeu­tung erhält.

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