Die aufgeflogenen VS-Spitzel im Berliner Sozialforum, ebenso wie der jüngst bekannt gewordene Anwerbeversuch in Frankfurt (Oder) zeigen: Die Schlapphüte der Landesämter und des Bundesamtes bereiten sich auch ihrerseits auf den bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligendamm vor. Um die Arbeitsweise des VS bei Informantenanwerbungen genauer kennen zu lernen, ließ man sich zum Schein in der Odergrenzstadt auf das “Spiel” ein. Seit Sommer 2006 versuchte der Verfassungsschutz eine Person aus der linken Szene der Stadt für Informantendienste anzuwerben. Neben Informationen über die lokale Antifa-Szene und deren Verbindungen interessierten den VS vor allem die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Veröffentlicht hat diesen Bericht die Soligruppe Frankfurt (Oder). Sie hat sich im Herbst 2005 gegründet, um aktiv und wirksam auf das Bedrohungsszenario eines möglichen §129-Verfahrens gegen lokale AntifaschistInnen reagieren zu können. Mehr Infos: www.soligruppe-frankfurt.de
Seit Sommer 2006 versuchten Agenten des Verfassungsschutzes (VS) in Frankfurt (Oder) eine Person aus der linken Szene für Informantendienste anzuwerben. Informationen sollten nicht nur über die Autonome Antifa Frankfurt (Oder) und ihre Verbindungen in andere Städte gesammelt werden. Auch das dissent!-Netzwerk sollte ausspioniert werden, das die G8-Gipfelproteste mit vorbereitet. Die Person wurde aufgefordert, an Vorbereitungstreffen des dissent!-Netzwerkes teilzunehmen und sich in Mailverteiler einzuschreiben. Ihr Einsatz sollte sich dabei nicht auf die Region Brandenburg beschränken. Die Teilnahme an Veranstaltungen in anderen Bundesländern war ausdrücklich vorgesehen. Als Gegenleistung winkten bis zu 500 Euro monatlich.
Im Folgenden wird der über knapp sechs Monate laufenden Anwerbeversuch detailliert chronologisch dokumentiert. Damit soll nicht nur der sich anfangs als Journalist ausgebende VS-Beamte, der sich offensichtlich auch in anderen Städten Brandenburgs wie Bernau und Potsdam vorstellte, aus der Anonymität geholt werden, auch soll versucht werden, einen Einblick in die Arbeitsweise des VS bei Informantenanwerbungen zu geben.
Der relativ lange Zeitraum von knapp sechs Monaten, über den der Kontakt zu den VS-Beamten bestand, mag zunächst verwundern, ist es doch empfohlen und ratsam, Anwerbeversuche sofort öffentlich zu machen und damit erfolglos zu beenden. Die Entscheidung, zunächst Interesse an einer Mitarbeit zu bekunden und dadurch einen längeren Kontakt einzugehen, wurde bewusst in Abstimmung mehrerer Personen getroffen und hat seine Ursache in den derzeitigen Repressionen gegen die radikale Linke in Frankfurt (Oder). Vom Tag der ersten Begegnung an bis zum Tag dieser Veröffentlichung war jedes zwischen der Person und dem VS gewechselte Wort transparent. Jedes Treffen wurde intensiv vor- und nachbereitet sowie dokumentiert. Der Kontakt wurde an dem Punkt abgebrochen, an dem das erste Mal Informationen an den VS gelangt wären, über die er bis dato noch nicht verfügt hatte.
23. Juni 2006: Die erste Kontaktaufnahme durch den VS. Der junge Aktivist, der vom VS für eine mögliche Zusammenarbeit ausgewählt wurde, wird an einem Freitagnachmittag auf offener Straße in der Nähe seines Arbeitsplatzes angesprochen. Offenbar haben die Beamten auf seinen Heimweg gewartet. Ein sich als Journalist ausgebender Mann stellt sich als Björn Kloppstock aus Berlin vor. Er wolle mit dem Aktivisten ein Interview machen. Thema soll die ökonomische Globalisierung sein.
Auf die Frage des Aktivisten, woher Kloppstock ihn kenne und warum er gerade mit ihm ein Interview führen wolle, antwortet Kloppstock, ein Bekannter aus Berlin hätte ihm von ihm erzählt. Kloppstock möchte gern die Mobiltelefonnummer oder E‑Mail-Adresse des jungen Aktivisten haben, um mit ihm in Kontakt treten zu können. Er verweigert das allerdings. Stattdessen lässt er sich die E‑Mail-Adresse des vermeintlichen Journalisten geben. Sie lautet der_tempelritter@web.de. Der Aktivist sagt, er würde sich melden, falls seinerseits Interesse an einem Interview bestünde. Die beiden verabschieden sich.
30. August 2006: Das erste Treffen. Nach interner Rücksprache mit Freunden schickt der junge Aktivist eine E‑Mail an Kloppstock. Darin bekundet er sein Interesse an einem Treffen. Bereits einige Tage danach meldet sich Björn Kloppstock per Mail bei dem jungen Aktivisten und schlägt vor, sich zu einem Gespräch am 30. August um 18.30 Uhr zu treffen. Treffpunkt: der Eingang des Kleist-Museums in der Faberstraße 7. Ein innenstadtnaher Ort in Odernähe, der jedoch kaum frequentiert und sehr ruhig gelegen ist.
Kaum frequentierter, ruhig gelegener Treffpunkt
Bereits 20 Minuten vor der vereinbarten Zeit taucht mindestens ein Mann Mitte 30 mit ins Gesicht gezogener Kapuze auf, der nun bis 18.30 Uhr die umliegenden Straßen abläuft und dabei sorgfältig die Umgebung mustert. Als der Aktivist eintrifft, greift er zum Mobiltelefon und telefoniert. Keine fünf Minuten später erscheint Kloppstock zu Fuß. Nach freundlicher Begrüßung fragt er, ob sie sich zu einem griechischen Restaurant begeben wollen, das er gerade gesehen habe. Zu Fuß geht es in das nahe gelegene Restaurant “Olympia” in der Großen Scharrnstraße 60.
Kloppstock erzählt zunächst von einem Urlaub in Island, von Schafsköpfen und Hákarl (Grönlandhai) als regionale Delikatesse und erkundigt sich nach dem Urlaub des Aktivisten. Die Gesprächsatmosphäre ist sehr locker, es wird viel gelacht. Der VS-Mann zeigt sich an dem schulischen Werdegang des Aktivisten interessiert. Auf die Frage des Aktivisten, was er gemacht hätte, erzählt Kloppstock von seinem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg. Er hätte in der DDR die Polytechnische Oberschule besucht, dann kurz eine Lehre gemacht und schließlich auf dem zweiten Bildungsweg Abitur. Danach hätte er Verwaltungswissenschaften studiert, eine Mischung aus Politik, BWL und Jura, wie er meint. Zwischenzeitlich wird bestellt. Kloppstock wählt einen Bauernteller. Dazu ein Wasser mit Sprudel und eine Tasse Kaffee.
Nun wolle er noch mal sein Ansinnen als Journalist erläutern, hob der VS´ler an. Grundsätzlich gehe es ihm in seiner Arbeit, die schwerpunktmäßig auf den Osten konzentriert sei, um geistespolitische Entwicklungen innerhalb der rechten Szene, beispielsweise zum Thema Globalisierung. Harte Fakten wie Mobilisierungspotenziale wären nicht ganz so wichtig, spielten aber auch eine Rolle. Es ginge ihm vielmehr um eine Prognose in Form einer Analyse, um Lagebilder, die authentisch sein sollten. Seine weitere Spezialisierung neben dem Rechtsextremismus wäre der Nahe Osten, wo er sich ganz gut auskenne. Daher würde ihn interessieren, wie sich die radikale Rechte mit dem Thema auseinander setze, welche Ansätze sie verfolgen würde und wie ernsthaft sie seien. Er brauche das für seine Arbeit beim Bundesministerium des Innern. So weit seine Kurzdarstellung. Auf die anschließende Frage, für wen genau er arbeite, das Bundesministerium des Inneren sei ja groß, erklärt er, direkt beim Bundesamt für Verfassungsschutz angesiedelt zu sein.
Pi mal Daumen sind 400 bis 500 Euro drin
Der Aktivist stellt daraufhin die Frage, was Kloppstock konkret von ihm erwarte, was er von ihm wissen wolle. Der entgegnet, er müsse erstmal sehen, ob der Aktivist überhaupt etwas zu sagen habe. Kloppstock erzählt von Demonstrationen der palästinensischen Szene zu den israelischen Militäraktionen im Libanon, die er in Berlin beobachtet hätte. Während dabei Rechtsextremisten ganz klar Position für die PalästinenserInnen beziehen würden, was er aus einer antisemitischen Komponente für nachvollziehbar halte, hätte er auf dem Nebengleis
beobachtet, wie Leute aus der Antifa Probleme hätten sich zu positionieren. Er könne nun nicht verstehen, wie Leute aus der Linken quasi aus Reflex zu der Flagge des Staates Israel greifen. Er wolle dem Aktivisten nicht zu nahe treten und meine es auch nicht persönlich, aber wären die Rechten für Israel, wären die Linken dann für die PalästinenserInnen, nur um nicht zufällig das gleiche Thema zu beackern? Das verstünde er einfach nicht und würde sich über eine Erklärung freuen. Ob das überhaupt eine Rolle spiele oder Thema sei, würde ihn interessieren. Und habe der Aktivist sich in dieser Auseinandersetzung auch selbst positioniert?
Mit den schwammigen Antworten und der fehlenden Zuordnung des Aktivisten offenbar unzufrieden, fragte der VS´ler nach dessen Selbstverständnis. Da der Aktivist sich als libertären Menschen bezeichnet, interessiert Kloppstock nun, ob er sich mit klassischen Themen wie Arbeiterbewegung und Ökonomie befasse. In der Folge kommt es zu einem Gespräch rund um Reichtum und Hartz IV. Kloppstock bringt an, das Thema Hartz IV würde ebenso von links wie von der NPD bearbeitet und ob man da nicht partiell gemeinsam marschiere. Seine Beiträge werden zunehmend provokanter, er versucht aber immer wieder, seine freundliche Absicht hervorzuheben: Für ihn sei das eine persönliche Debatte. Auch Antifas könne er nicht so ganz verstehen. Zwar sei er selbst Antifaschist, aber er sehe hinter jeder Glatzkopffratze auch einen Grundrechtsträger. Und was würden Antifas überhaupt tun, wenn es keine Neonazis mehr gebe? Hätten sie dann überhaupt noch etwas zu tun?
Nachdem ihm die Notwendigkeit von Antifa-Arbeit, auch aus eigenen Erfahrungen mit Angriffen, erklärt wird, zeigt er sich an der Organisierung interessiert. Gebe es eine Opferhilfe und was könne man Angriffen entgegensetzen? Wie sensibilisiert sei die Bevölkerung? Er will auch wissen, ob der Aktivist selbst in irgendeinem Verband organisiert oder eher Einzelgänger sei. Der Aktivist antwortet mit der Frage, was Kloppstock für die Informationen anzubieten habe, ob es Dinge gebe, die das Gespräch mit ihm interessanter machen könnten. Kloppstock antwortet nach kurzem Schweigen mit ja. Auf die Nachfrage, worum es dabei gehen könnte, fordert er den Aktivisten auf, einen Vorschlag zu machen. Der fragt nach Geld. Kloppstock zeigt sich überrascht und spricht nun langsam und konzentriert. Er habe einfach nicht darüber nachgedacht irgendetwas anzubieten, zumal das auch noch nicht die Informationen wären, die ihn interessieren würden. Er wolle mal gleich klarstellen, dass er sich ungern linken lasse, indem er jetzt Stoff biete. Er könne nicht einschätzen, wie ernst es dem Aktivisten sei, dazu kenne er ihn bisher zu wenig. Auf den Einwurf des Aktivisten, sie hätten halt beide ihre Interessen, zeigt sich Kloppstock jedoch zuversichtlich, sie zusammenbringen zu können. Das wäre vielleicht leichter möglich, wenn der Aktivist erläutere, was er so konkret mache und mit welchen Themen er sich beschäftige. Kloppstock selbst kenne sich da halt nicht so aus, da er sich mit Globalisierungsgeschichten nur in Zusammenhang mit Rechts befasst hätte. Sie kommen nun auf die Themen Anarchosyndikalismus, G8 und soziale Gerechtigkeit zu sprechen und diskutieren über die Arbeitsbedingungen in China und die Lebensbedingungen im Kongo.
Ross und Reiter nennen: Gewollt sind harte Facts
Nach der Bestellung eines Ouzo und nach über eineinhalb Stunden Gespräch macht Kloppstock ein konkretes Angebot: Der Aktivist mache einen positiven Eindruck auf ihn, wenngleich er auch noch ein wenig misstrauisch auf Grund der Geldforderung sei. Der Aktivist entgegnet, er sei mit dem Gefühl in das Gespräch gegangen, ein Interview zu geben, und dann habe sich Kloppstock als Mitarbeiter einer Behörde ausgegeben. Eine Hand wasche halt die andere. Kloppstock sichert nun Abklärungsbemühungen zu, was die Finanzen angeht. Der Aktivist müsse es dann aber auch wirklich ernst meinen. Zum nächsten Treffen würde er dann sagen können, was er sich erwarte und was der Aktivist erwarten könne. Bei dem Geld komme es darauf an, wie tief er einsteigen wolle. Pi mal Daumen wären aber 400 bis 500 Euro im Monat drin.
Auf die Frage des Aktivisten, worum es denn dann konkret thematisch gehen würde, da er nicht zu allen Themen etwas sagen könne, weicht Kloppstock aus. Er müsse sich selbst erstmal sein Themenfeld Rechtsextremismus erweitern, was aber kein Problem wäre. Um genaueres zu sagen, müsse er sich noch weiter einlesen und mit Analysen befassen. Mit dem Thema Globalisierung könne man aber sicher etwas anfangen. Allerdings müsse es dann auch um Ross und Reiter gehen. Also auch harte Fakts wie Personenzahlen, Finanzen, Strukturen und Gebäude. Der Aktivist solle authentische Sachen liefern, die man nicht in der Zeitung lesen könne. Seine Aufgabe würde einer journalistischen Recherchearbeit gleichkommen, die bundesweit wäre. Und auch seine eigene Meinung wäre mitunter nicht uninteressant.
Kloppstock hat Angst, immer noch zu allgemein zu sein und bringt ein Beispiel: Interessant wäre es beispielsweise, wenn sich 100 Leute aus Deutschland zu einer Konferenz zusammenfinden. Was würde dort besprochen und welche Ansätze würden verfolgt? Wie ernst schätzte er die Ansätze selbst ein? Auf die Frage, ob er sich eher für die PDS oder autonome Kreise interessiere, spricht Kloppstock von den unorganisierten Kreisen. Die PDS interessiere ihn nicht, obwohl es nicht von Schaden für sie sei, dass sie in den VS-Berichten auftauche. Eines liegt Kloppstock dann noch sehr auf dem Herzen. Mit der Polizei wolle er nicht zusammenarbeiten. Er meide die Polizei wie der Teufel das Weihwasser. Über Kontakte des Aktivisten mit der Polizei, gleich ob negativer oder positiver Art, wolle er alles wissen, da dies entscheidend sei, um die Arbeit abzusichern. Bestehe eine Art Zusammenarbeit, kämen sie nicht ins Geschäft. Der Aktivist solle sich auch keinen Kopf darüber machen, ob er eventuell nicht in der Lage zu dieser Recherchearbeit sei. In die Lage ließe er sich ohne Weiteres versetzen, wenn der Wille da wäre. Ein bisschen dürftig sei es nur, wenn er von seinen Hauereien mit Neonazis erzählen würde. Die interessierten weniger.
Grundsatz der Zusammenarbeit wäre absolute Vertraulichkeit. Die Geschichte gehe nur sie beide etwas an. Weder das politische Umfeld noch Strafverfolgungsbehörden sollen etwas mitbekommen. Der Aktivist solle sich das nun reiflich überlegen, während er bis zum nächsten Treffen inhaltliche und finanzielle Aspekte abkläre. Ansonsten würde er gerne im E‑Mail-Kontakt bleiben. Der Aktivist entgegnet unmissverständlich, sich bereits entschieden zu haben. Die Sache wäre insgesamt nichts für ihn. Er wäre nicht der Richtige. Leute verpfeife er nicht. Kloppstock entgegnet sehr überrascht, der Aktivist habe ihn wohl falsch verstanden, und fragt, ob er ihn doch noch mal bei allgemeinen Fragen per E‑Mail kontaktieren könne. Der Aktivist willigt ein.
Beide verlassen nun den Griechen. Bevor sie sich trennen, erkundigt sich Kloppstock noch im freundlichen Smalltalk über die Arbeit des Aktivisten. Sie verabschieden sich nach zweieinhalb Stunden Gespräch.
Am 25. September 2006 geht um 16.33 Uhr wieder eine E‑Mail von Björn Kloppstock ein. Sie ist kurz. Falls der Aktivist nochmals Zeit und Lust habe, würde er sich gern mit ihm treffen. Es gebe noch einige Themen, zu denen er gern seine Meinung erfahren würde. Er schlägt vor, sich Mittwoch oder Donnerstag der darauf folgenden Woche zu treffen.
Da keine Reaktion erfolgt, meldet sich Kloppstock am 4. Oktober 2006 um 15.25 Uhr noch einmal per E‑Mail. Er bedauert, dass der
Aktivist noch nicht reagiert habe, und erkundigt sich, ob er kein Interesse an einem weiteren Gespräch habe oder nur nicht online gewesen sei.
Am Dienstag, dem 10. Oktober 2006, taucht Kloppstock gegen Mittag unvermittelt auf der Arbeitsstelle des Aktivisten auf. Er bittet um ein sofortiges Gespräch, das der Aktivist allerdings aus Zeitgründen ablehnt. Sie vereinbaren, sich zwei Tage später, am 12. Oktober 2006, um 18 Uhr wiederum am Kleist-Museum zu treffen.
12. Oktober 2006: Das zweite Treffen. Wie besprochen findet sich der Aktivist am Donnerstag um 18 Uhr vor dem Kleist-Museum ein. Noch während des Eintreffens bemerkt er eine männliche Person mittleren Alters, die die Umgebung nach Auffälligkeiten überprüft und dann sinngemäß in ihr Mobiltelefon spricht: “Alles klar hier unten.” Der Mann hat kurzes Haar, trägt einen Rucksack und ist am Ohr verkabelt. Der VS hat wiederum nichts dem Zufall überlassen. Wenig später trifft Kloppstock zu Fuß ein. Auf die Frage des Aktivisten, wo sie sich heute unterhalten wollen, nennt Kloppstock wieder das griechische Restaurant “Olympia” in der Großen Scharrnstraße. Der Aktivist schlägt zur Abwechslung das indische Restaurant “Nirwana” in derselben Straße und ähnlich ruhig gelegen vor. Kloppstock geht darauf aber nicht ein, offenbar weil nur das Restaurant “Olympia” durch den VS in Augenschein genommen wurde.
Uninteressant: Berichte von Hauereien mit Nazis
Auf dem Weg zum Griechen findet Smalltalk zwischen den beiden statt. Der Aktivist erzählt von der Frankfurter Kneipenlandschaft und dem wirtschaftlichen Niedergang der Stadt nach dem Zerfall der Halbleiterindustrie. Kloppstock berichtet im Gegenzug über das Projekt Cargo Lifter in Brand. Nach vier Minuten sind sie im Restaurant angekommen. Kloppstock stellt weiter im Smalltalk Fragen zur Arbeitsstelle des Aktivisten. Die Getränke werden bestellt.
Kloppstock wählt erneut ein Wasser und einen Kaffee. Sie unterhalten sich darüber, ob man auch Leitungswasser trinken könne und welche Qualitätsunterschiede es dabei gibt. Dann erkundigt sich Kloppstock nach den unbeantworteten Mails. Er sei nicht rechtzeitig dazu gekommen, sie zu lesen, da er verreist gewesen sei, so der Aktivist. Nun interessiert Kloppstock, wo er gewesen sei und ob er dort Verwandte oder Freunde habe.
Der Aktivist macht Kloppstock deutlich, dass er ihn nicht mehr auf der Arbeit besuchen solle, da das unangenehm werden könne. Kloppstock zeigt sich äußerst verständnisvoll. Wenn so etwas sei, solle er es ihm immer gleich sagen. Zukünftig würde wieder der diskrete Weg über E‑Mail benützt. Die Getränke werden gebracht. Kloppstock bestellt den Kronos-Teller mit Reis. Es folgt ein Gespräch über Vegetarier und Fleischproduktion. Die Atmosphäre ist sehr locker.
Nach kurzem Schweigen ergreift Kloppstock das Wort. Es geht um die Frage des Aktivisten, wie Kloppstock auf ihn gekommen sei. Der VS´ler meint sehr unscharf, sein Name sei im Zusammenhang mit einer Hausbesetzung in Frankfurt (Oder) im Sommer 2005 aufgetaucht. Dort sei sein Name in irgendeiner Regionalzeitung erwähnt gewesen, der der Aktivist ein Interview gegeben hätte. Als der abstreitet, in diesem Zusammenhang ein Interview gegeben zu haben, meint Kloppstock, es könnte auch eine Pressemitteilung oder ähnliches gewesen sein. Ansonsten könne auch er sich nicht wirklich erinnern, da sein Kollege das immer für ihn heraussuche und ihm dann nur die Angaben weitergebe. Kloppstock wirkt sehr unsicher und macht viele Pausen. Der Aktivist erkundigt sich, wie er ihn auf der Straße beim ersten Ansprechen erkennen konnte. Habe Kloppstock ein Bild von ihm? Woher käme das Bild? Kloppstock wirkt weiter verunsichert. Er meint, vor der Arbeitsstelle des Aktivisten gewartet und beobachtet zu haben, wie der Aktivist abschloss. Da könne es sich nur um ihn gehandelt haben. Sein Name wäre ja auch nicht so weit verbreitet.
Jedes Treffen ist von VSlern abgesichert
Kloppstock fragt anschließend nach der Hausbesetzung im Sommer 2005 und gibt sich vollkommen unwissend. Er will wissen, ob die Besetzung in Frankfurt stattgefunden habe, um welches Objekt es sich überhaupt gehandelt habe und wer eigentlich der Eigentümer gewesen sei. Auch von der Räumung wisse er nichts, bezeichnet es dann als Schwachsinn dazu ein Sondereinsatzkommando (SEK) heranzubeordern. Und er merkt an, dass es wohl auch in Potsdam und in der Berliner Yorkstraße noch besetzte Häuser gebe, das habe er aber nur am Rande mitbekommen.
Nun wechselt Kloppstock das Thema. Er stellt die fast philosophische Frage, wie Linke eigentlich zu Linken werden. Wie sei der Aktivist eigentlich dazu gekommen, sich mit Politik zu befassen? Der Aktivist erzählt vom Geschichtsunterricht zum €päischen Faschismus und Projekten während der Schulzeit, die am Anfang seiner Politisierung gestanden haben. Er stellt die Frage, wie sich Kloppstocks Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gestalte habe. Der erzählt, er hätte die Gefahr des Rechtsextremismus früher noch wesentlich schlimmer empfunden als heute. Er hätte noch miterlebt, wie zu Silvester durch die Hauptstadt marschiert und das Horst-Wessel-Lied gesungen worden sei. Heute würde da wenigstens eingeschritten. Die beiden kommen nun auf die Veränderungen, vor allem in Hinblick auf Kleidungsstil und Auftreten innerhalb der Neonazi-Szene zu sprechen, springen dann zu den frühen Aktivitäten des Neonazi-Kaders und NPD-Funktionärs Jörg Hähnel in Frankfurt (Oder), um schließlich bei unmöglichen Vergleichen zwischen dem Islam und dem NS zu landen. Das Themenhopping geht weiter über den Staatsbesuch Putins in Frankreich und Deutschland, moralische Verwerflichkeiten bei einer Zusammenarbeit mit verbrecherischen Regimes und die Außenpolitik von George W. Bush.
Kloppstock kehrt anschließend zu seinem Anfangs angeschnittenen Thema zurück und will wissen, wie der Aktivist in die Szene gekommen sei. Sei er einfach reingerutscht oder habe er die richtigen Leute kennen gelernt? Der Aktivist erzählt von einer schulischen Postkarten-Verteilaktion und von einem Nazi-Überfall auf ihn und seine Freunde. Da das vielen so erginge, habe sich quasi automatisch eine Art Interessengemeinschaft gebildet, da man auf Partys und in der Freizeit immer wieder Leute getroffen habe, denen es ähnlich ergangen sei. Kloppstock will wissen, ob man sich damals Hilfe von außerhalb geholt habe, sich beispielsweise ausgetauscht habe. Der Aktivist erklärt, der Antrieb sei eher der eigenen Feder entsprungen.
Nach einem kurzen Austausch über die Gründe für Antifa-Demonstrationen in Frankfurt setzt Kloppstock an eine Äußerung des Aktivisten vom Ende des ersten Treffens an. Er stellt auf dessen Aussage ab, er verrate keine Leute. So wäre das auch gar nicht gemeint gewesen. Der VS´ler fühlt sich falsch verstanden. Er fragt, ob der Aktivist an Aktionen gegen Nazidemonstrationen teilnehme und sich vorstellen könne, darüber zu berichten, wer da so reden und was da geredet würde. Und wie er das persönlich finde, wie seine Meinung dazu sei. Auf die Nachfrage, wie das genau aussehen solle, kann Kloppstock nicht antworten. Wie das konkret ablaufen könne, hätte er sich noch nicht überlegt. Als zweites fragt er, ob es möglich sei, linke Globalisierungskritik zum Nachlesen zu bekommen. Vielleicht könne der Aktivist da ja mal was mitnehmen oder besorgen, damit er mal was Konkretes schwarz auf weiß nachlesen könnte. Der Aktivist sichert zu, die Augen offen zu halten, zeigt sich jedoch trotzdem unzufrieden. Kloppstock solle ihm sagen, wie ihm geholfen werden könne und was er sich von weiteren Treffen erwarte. Ihm ginge es erstmal einfach um die Meinung des Aktivisten, so Kloppstock. Eigentlich st&a
uml;nden beide ja auf der gleichen Seite, der Weg wäre nur unterschiedlich gestaltet. Und genau das interessiere ihn. Da Studien auswiesen, die Jugend im Osten bestünde zu 30 Prozent aus NPD-SympathisantInnen, wäre es interessant nach Frankfurt zu gehen und sich das mal anzuschauen.
Die Polizei wird gemieden wie vomTeufel das Weihwasser
Er sehe aber auch, dass man ihm theoretisch und ganz praktisch helfen könne, so der VS´ler. Dazu müsse man sich halt auf einen Stundenlohn einigen. Zehn Euro pro Stunde könne man da durchaus veranlagen, wobei er bei Demonstrationen die An- und Abreise nicht unbedingt in Rechnung stellen würde. Wenn es aber beispielsweise um den Nazi-Aufmarsch in Wunsiedel ginge, könne man wegen der Entfernung sicher über gewisse Sachen reden. Aber das müsse er alles erst abklären. Er sei sich auch noch nicht im klaren darüber, was der Aktivist neben Demoberichten zu leisten im Stande wäre. Kloppstock schlägt vor, ein theoretisches Spiel zu spielen, in dem Gruppennamen und ähnliches frei erfunden seien. Angenommen der Aktivist wäre Mitglied in der Revolutionären Jugendvereinigung Frankfurt (Oder), die sich darauf spezialisiert habe, deutschlandweit etwas auszuspionieren. Interessant wäre nun der Aufbau dieser Truppe, wie sie arbeite, ob einfach nur zum Selbstzweck gearbeitet würde, sicher auch wie sie sich finanziere, wie sie sich z.B. Fotoapparate leisten könne. Letztere Information wäre nun vielleicht schon verhandelbar. Aber solche Informationen wären gut. Der Aktivist solle aber wissen, das Kloppstock mit den gewonnenen Erkenntnissen weder etwas für noch gegen ihn tun könne. Wenn er auf Polizeibeamte Handgranaten werfe, ginge er dafür halt in den Bau. Er wolle klar sagen, dass es ihm nicht um Straftaten ginge. In erster Linie wäre er an einer politischen Analyse interessiert.
Genaue Rechercheanweisungen möchte Kloppstock erstmal nicht geben. Er will, dass der Aktivist in Ruhe darüber nachdenke und sich dazu auch mehr als eine Nacht Zeit nehme. Kloppstock würde sich dann in einer Woche per E‑Mail melden und hören, was er sage. Während dessen würde er Thematisches abklären. Der Aktivist müsse wissen, dass sie — mehr oder weniger — eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung hätten, die einschätze, was bestimmte Sachen Wert seien. Nach einem Blick auf die Uhr merkt Kloppstock an, dass es inzwischen spät geworden sei. Während sie auf die Rechnung warten, beginnt Kloppstock erneut einen Smalltalk über die Arbeit des Aktivisten. Die Rechnung wird auf einem Teller gebracht und auf dem Tisch gelegt. Die Bedienung geht wieder. Der Aktivist weist Kloppstock darauf hin, dass es üblich wäre, das Geld einfach auf den Teller zu legen und zu gehen. Dieser findet, dass sechs Euro Trinkgeld dann doch zu fett seien, und wartet lieber auf das Rückgeld.
Nach der Bezahlung erkundigt sich Kloppstock im Gehen, ob der Aktivist grundsätzlich flexibel sei, also auch reisen könne. Kloppstock verrät noch, dass er passionierter Läufer sei. Nach genau zwei Stunden trennen sich die beiden vor der Tür des Restaurants “Olympia”. Der Aktivist läuft in Richtung Innenstadt und wird dabei von mindestens zwei dunklen Limousinen mit Berliner Kennzeichen verfolgt. Als sie ihn verlieren, fahren sie noch eine längere Zeit die Karl-Marx-Straße und die Schulstraße ab. Eine der Limousinen hat das Kennzeichen B‑J 832.
2. November 2006: Das dritte Treffen. Am Donnerstag treffen sich Kloppstock und der Aktivist wie vereinbart zum dritten Gespräch. Treffpunkt ist erneut das Frankfurter Kleist-Museum. Diesmal sieht der VS´ler kein Problem darin, in das schon beim letzten Treffen vorgeschlagene Restaurant “Nirwana” am Marktplatz zu gehen. Auf den ca. zehn Minuten Fußweg dorthin findet Smalltalk statt. Nachdem sie gewählt haben, kreist das Gespräch zunächst um das Rauchen und den Zigarettenschmuggel aus Polen über die Stadtbrücke in Frankfurt (Oder).
Nachdem die Bestellung aufgenommen wurde, kommt Kloppstock sofort zum Thema. Er wäre mit seinen Abklärungen so weit durch und habe nun noch mehrere kurze Fragen, die ihm sehr wichtig seien. Zuerst erkundigt er sich, wie alt der Aktivist sei. Dann fragt er nach dem Schulabschluss des Aktivisten und danach, was er jobmäßig jetzt mache, ob er als Student eingeschrieben sei oder das vor habe. Dann will Kloppstock wissen, wie die Job-Planungen des Aktivisten aussehen, ob er in Frankfurt (Oder) ansässig sei und vor habe hier zu bleiben. Er will wissen, wie die finanzielle Situation des Aktivisten aussieht, ob er Schulden habe und wie hoch sein Einkommen sei. Letztendlich interessiert ihn auch, ob der Aktivist liiert sei oder Single, ob er Verpflichtungen oder sonstige Bindungen habe.
Nachdem Kloppstock mit den Fragen durch ist, berichtet er von seinen Abklärungen. Eine Recherchearbeit des Aktivisten wäre gewollt und Kloppstock selbst könne sie auch betreuen. Die Arbeit würde sich auf zwei Themenfelder beziehen, wovon das eine Globalisierung sei. Das andere Thema wäre Antifa und deren Kapitalismuskritik. Thematisch wolle er aber noch nicht detaillierter werden, da für ihn noch immer unklar sei, was genau der Aktivist leisten wolle und könne. Für ihn sei immer noch schwer nachzuvollziehen, wo der Aktivist dabei sei und was er da so machen würde. Vom finanziellen Rahmen wäre grundsätzlich alles möglich. 400 Euro wäre so in etwa die Marke, auf die der Aktivist hoffen könne. Nach oben wäre das aber offen. Da könne er Flexibilität versprechen. Wie viel es letztendlich werde, hänge von der Arbeitszeit und dem Wert der Informationen ab. In der Praxis laufe das unbürokratisch. Das Geld würde er cash bekommen. So einmal im Monat, also nicht bei jedem Treffen der beiden.
Der Aktivist erkundigt sich noch einmal nach den Bewertungskriterien für eine Information. Daraufhin erklärt Kloppstock, es wären vor allem Informationen interessant, die nicht in der Zeitung zu finden seien. Er würde im Zweifelsfall immer etwas sauer sein, wenn er feststelle, dass der Aktivist Informationen als eigene verkaufe, die aber nur abgeschrieben seien. Der Aktivist solle davon ausgehen, dass Kloppstock auch andere Sachen bekomme, wodurch er so etwas ganz gut einschätzen könne. Neben dem Kriterium des Informationswertes wären der Zeitaufwand und das Risiko, um an die Information zu gelangen, weitere Bewertungskriterien. Im Großen und Ganzen müsse für 500 Euro im Monat aber schon etwas Butter bei die Fische kommen, meint Kloppstock.
Straftaten interessieren nicht, es geht um politische Analysen
Auf die Frage des Aktivisten, ob politische Einschätzungen nicht auch auf anderem Wege heraus zu bekommen wären, beispielsweise durch die Veröffentlichungen der Gruppen, und der Aktivist stattdessen wirklich Brisantes herausfinden solle, mahnt Kloppstock zur Vorsicht. Ihm ginge es um den rohen Fakt, darum das ganz normale Tagesgeschehen in den Gruppen mehr oder weniger laufend zu erfahren. Das wäre für ihn schon brisant genug.
Der Aktivist unterbricht und fragt, ob sich Kloppstock noch mal bei seinem Kollegen erkundigt habe, wie sie auf seinen Namen gekommen wären. Das wäre beim letzten Mal noch nicht genau geklärt worden. Kloppstock erzählt, sein Kollege hätte ihm gesagt, dass der Aktivist in einer Zeitung oder im Internet namentlich erwähnt worden sei. Dabei sei es um eine Besetzung einer Villa gegangen und er sei namentlich als Pressesprecher oder irgendwas ähnliches in Erscheinung getreten. Kloppstock selbst hätte es aber nicht gelesen. Auf die Bemerkung, Kloppstock hätte dann ja quasi jeden zum Gespräch laden können, stimmt dieser zu, und bemerkt, dass das der Grund wäre, erstmal unverbindlich Gespräc
he zu führen. Es hätte ja auch sein können, dass der Aktivist von Aktivitäten rund um die Hausbesetzung etwas wisse. Es habe ja auch Vorfälle dort gegeben, bei denen vermeintliche Nazis Dresche bekommen hätten. Darüber ist dem Aktivisten nichts bekannt. Das Thema ist beendet.
Nun sei der Punkt gekommen, an dem der Aktivist Kloppstock mal auf den Stand der Dinge in Frankfurt (Oder) bringen solle. Der Aktivist erzählt vom provinziellen Hauch der Stadt und dass beim Thema Globalisierung Frankfurt (Oder) wohl nicht das richtige Forschungsfeld sei. Es gebe zwar Einzelpersonen wie ihn, die zu dem Thema arbeiten würden. Eine Gruppe wäre ihm da aber nicht bekannt. Vielleicht ein paar Kirchenleute wären bei dem Thema ansprechbar. Kloppstock schreckt auf. Kirchenleute würden ihn nun überhaupt nicht interessieren und Gewerkschaft und PDS sei für ihn kein Thema. So was wolle er auch gar nicht wissen. Dies interessiere ihn nicht die Bohne, hätte ihn auch nicht zu interessieren.
Tabu: Kirchenleute, Gewerkschaften und PDS
Klopstock will wissen, wo Globalisierung — grundsätzlich gesehen — besprochen werde, in welchen Gruppen das beredet werde und welche Kontakte der Aktivist zu diesen Leuten habe. Dieser entgegnet, in der Region sehe es eher mau aus. Er selbst habe aber an einem Vorbereitungscamp zum G8-Gipfel teilgenommen und da bekomme man natürlich einiges mit. Kloppstock will wissen, ob er allein gefahren und ob daraus etwas entstanden sei. Dies sei nicht der Fall, so der Aktivist. Und gefahren sei er tatsächlich allein, da er gar nicht von Frankfurt (Oder), sondern von einer Urlaubsreise direkt zum Camp gefahren sei.
Da es, wie der Aktivist meint, nicht so schwer ist, an solchen Treffen teilzunehmen, fragt Kloppstock, ob er sich so etwas vorstellen könnte. Mehr wolle Kloppstock auch gar nicht. Das wäre ihm schon brisant genug. Ihm wäre wichtig, dass der Aktivist Kontakte aufbaue, um bei solchen Treffen dabei sein zu können, sich das mal anzusehen. Ihm ginge es aber nicht darum, nur den äußerlichen Ablauf zu erfahren. Der Aktivist solle auch mal ein Gespräch führen, um einen Eindruck zu gewinnen, was die Teilnehmer umtreiben und wie sie dazu kommen würden. In Bezug auf Heiligendamm sei er einigermaßen auf dem Stand, erklärt Kloppstock. Er fragt den Aktivisten, ob er in Lage wäre, einfach auf ein dissent!-Deutschland-Treffen nach XY zu fahren, ohne dass die ihn komisch angucken würden. Als der Aktivist erklärt, dass dies schon problematisch sein könne, will Kloppstock wissen, ob er an irgendwelche Mailinglisten angeschlossen wäre. Der Aktivist verneint, meint aber, das wäre sicher kein Problem.
Kloppstock interessiert, ob er auf solchen Treffen Einzelpersonen aus Berlin oder anderen Städten kenne. Dies sei ihm noch nicht ganz klar geworden. Man wolle mal bei Berlin bleiben, da das ja das Nähestgelegene wäre. Er fragt, ob der Aktivist denn einen Überblick über die Berliner Struktur habe, was es da für Antifagruppen gebe, wie die aufgestellt seien, was die so machen und wie sie ideologisch einzuorden wären. Er fragt, ob der Aktivist sich da bewegen und das Ganze einschätzen könne. Ob er wisse, dass “Kritik & Praxis” und die AANO so ein bisschen antideutsch orientiert wären und die ALB, dass die mal aus ´ner Spaltung der AAB hervorgegangen sei. Das wäre ihm schon bekannt, entgegnet der Aktivist. Aber konkrete Leute würde er dort nicht kennen. Kloppstock meint, ihn würden die Verflechtungen interessieren, wer dort wen anleite und wer was rumschicke. Man könne ja den Eindruck haben, dass viel Propagandamaterial aus Berlin stamme und in Frankfurt (Oder) nur abgeladen werde. Er könne das zwar schwer einschätzen, aber hier würde das wohl kaum hergestellt. Mobilisierungen zu bestimmten Anlässen, wie z.B. nach Halbe würden doch in Berlin stattfinden. Er will auch wissen, ob so ein Blättchen wie die Interim in Frankfurt (Oder) überhaupt von Bedeutung wäre.
Nun kehrt Kloppstock wieder zu dem Aktivisten zurück. Der springende Punkt wäre für ihn immer noch, wie dessen politische Arbeit aussehe. Was mache man denn so den ganzen langen Tag und in welcher Gruppe sei er überhaupt aktiv. Er wolle halt eine lebhafte Vorstellung bekommen. Das wäre ja dann wahrscheinlich eher auf Antifa bezogen. Der Aktivist entgegnet, es gebe im Moment kein regelmäßiges Treffen. Das werde je nach Sachlage vereinbart. Kloppstock will nun wissen, wie die Gruppe hieße, und erhält als Antwort “Antifa Frankfurt (Oder)”. Über deren Arbeit will er mehr wissen. Er fragt, ob sie sich mehr oder weniger regelmäßig treffen würden, was es im Klartext bedeute “Dinge öffentlich zu machen”, was der Aktivist dort für eine Stellung inne habe, ob es Hierarchien gebe, ob inhaltliche Diskussionen geführt würden oder es eher eine praktische Zusammenarbeit wäre und ob das quasi die Heimatgruppe des Aktivisten sei. Ihm ginge es um das Zusammenspiel in so einer Gruppe, wie so was laufe.
Praktisch: Gemeinsamer Mailaccount incl. Passwort
Nach kurzem Smalltalk über das Essen will Kloppstock nun wissen, wie der Aktivist über die konkrete Gestaltung der Recherche denke. Er selbst habe ja nun seine Vorstellungen geäußert. Er sei eher an dem überregionalen Bezug interessiert. Gleichwohl fände er so eine regionale Gruppe, die sich vor Ort mit dem Thema Antifa beschäftige, als Thema Nummer zwei natürlich gut. Was halte der Aktivist so grundsätzlich davon und was würde er leisten wollen? Wäre es für ihn vorstellbar, mal auf ein dissent!-Plenum zu fahren und sich das anzugucken? Der Aktivist erwidert, er könne sich das vorstellen, wenn er da reinkäme. Kloppstock fragt nach, ob das auch für das gelte, was regional so laufe. Der Aktivist solle davon ausgehen, dass Kloppstock mehr wisse, als dieser vielleicht annehmen würde. Personenprofile wären ihm jetzt nicht so wichtig, ihn würde interessieren, was besprochen wird, wann man sich treffe, wer anwesend sei und eine Einschätzung darüber, wie realistisch das sei, was sie machen. Auch von großen Plena solle er die Informationen in der Form eines Ich-Erlebnisberichtes liefern. Das wäre für ihn am einfachsten, um zu sehen wo es reiche und wo nicht und was der Aktivist aus dem Ärmel schüttele und daher für ihn gar keine Recherche sei.
Nun kommt Kloppstock nochmal auf den Bereich Globalisierung zu sprechen. Finanziell könnte der Rahmen sicher nochmal durch den G8-Bereich ausgeweitet werden. Nicht uninteressant wäre es, das in Konkurrenz zu den Rechten zu sehen. In diese Sache müsse sich der Aktivist dann aber wohl gezielter reinhängen, weil er das ja bislang aus eigenem Antrieb nicht mache. Dazu müssten dann Kontakte aufgebaut und hier und da auch mal hingefahren werden. Ein wenig Flexibilität, was die Region der Treffen dann angehe, müsse der Aktivist schon mitbringen. Die Grenzen der Auslagen für Fahrtkosten und ähnliches wäre nach oben offen. Wenn eine Zugfahrt nach Wien 200 Euro hin und 200 Euro zurück kosten würde, dann sei das eben so. Auch wenn er irgendwo übernachten müsse oder sich verpflege, sei das so. Auch Kosten für ein Mobiltelefon wären Kosten, auf denen er nie sitzen bleiben würde. Natürlich müsse das alles hieb- und stichfest sein. Das lasse sich ja auch überprüfen, was das kosten würde. Kloppstock bestellt noch einen Espresso.
Der Aktivist erkundigt sich, wie die Informationen dann eigentlich verarbeitet würden. Kloppstock meint, er speichere fast 50 Prozent im Kopf und lasse die anderen 50 Prozent in eine Lagebeschreibung, seine normale Arbeit, einfließen. Alles werde anonymisiert. Er würde auch seine eigenen Formulieru
ngen verwenden. Der Aktivist solle davon ausgehen, dass er auch noch ein paar andere Sachen bekomme und alles in eine große Lageanalyse, die dauerhaft fortgeschrieben würde, mit reinsetze. Gelesen würde so was dann im Innenministerium. Für den Jahresbericht arbeite er nicht. Sondern für die aktuelle, die glaubhafte Politik. Es gehe darum, dauerhaft Input zu geben, um die Leute zu informieren und ihnen Hintergründe zu liefern, die natürlich auch Entscheidungen beeinflussen könnten.
Kloppstock kehrt nochmal zur Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Aktivisten zurück. Er müsse sich daran gewöhnen, dass Kloppstock eine gewisse Steuerung vornehme, dass er sage, worauf zu achten sei oder wohin er mal fahren solle. Vom Start habe er schon eine konkrete Vorstellung. Zunächst würden sie mal bei den regionalen Geschichten gucken. Der Aktivist solle einfach mal benennen, wer das hier von A bis Z beeinflusse. Quasi die fünf Ws. Er solle über das nächste Treffen einfach mal einen Erlebnisbericht schreiben. Nach der Information durch den Aktivisten, da müsse er erstmal auf das nächste Treffen warten, springt Kloppstock überraschend an. Er habe noch eine konkrete Aufgabe: Am 10. November 2006 finde in Osnabrück ein dissent!-Treffen statt. Mehr wisse er auch nicht. Vielleicht wäre es auf Grund der Kurzfristigkeit auch nicht möglich daran teilzunehmen. Aber er fragt, ob es zukünftig leistbar wäre, da auch mal nach Osnabrück zu fahren. Dafür wäre dann wegen der hohen Kosten auch eine Vorfinanzierung möglich. Er solle sich einfach mal im Internet informieren, ob dieses Treffen für ihn etwas wäre. Ob er da hin könne und wie er dahin komme. Er solle sich ein bisschen auf den aktuellen Stand bringen, so weit das erforderlich wäre. Kloppstock empfiehlt dem Aktivisten, sich innerhalb seiner regionalen Gruppe als Spezialist für Globalisierung zu etablieren, um so Zugang zu bekommen. Er fragt, ob es ihm möglich wäre, einen Erlebnisbericht schriftlich zu verfassen und sicher zu verwahren. Der Aktivist schlägt vor, dafür seinen PC zu nutzen, worauf Kloppstock fragt, ob er den PC als Einziger nutzen würde. Kloppstock will nun wissen, wann das nächste Treffen seiner Gruppe sei und wie man sich dazu verabrede. Das wäre erstmal nicht abzusehen, meint der Aktivist. Man telefoniere dann. Kloppstock schlägt dem Aktivisten vor, sich dann erstmal via Internet zum Thema Globalisierung fit zu machen. Er solle dann ruhig mal aufschreiben, wie viel Zeit er im Internet verbringe, um das dann auch zu vergüten.
Nun wolle er noch die Mobilnummer des Aktivisten, um ihn auch kurzfristig kontaktieren zu können. Er würde dem Aktivisten dann auch seine Nummer geben. Unter Umständen würde auch mal ein bisschen mehr anliegen und da wäre telefonische Erreichbarkeit schon wichtig. Kloppstock würde dem Aktivisten dann auch nochmal ganz gezielt einschlägige Termine raussuchen. Der Aktivist macht Kloppstock wenig Hoffnung, schon am Treffen am 10. November 2006 in Osnabrück teilnehmen zu können. Das wäre zu spontan. Kloppstock fragt noch, ob die E‑Mailadresse, über der sie derzeit kommunizieren, die einzige des Aktivisten sei, also ob er sich damit auch bei Mailverteilern einschreibe. Als der Aktivist das bestätigt, meint Kloppstock, das gehe so nicht. Er solle sich für ihre Kommunikation untereinander eine völlig neue E‑Mailadresse zulegen und die alte nur für private Zwecke nutzen. Der Aktivist solle einen unverfänglichen Namen wie “Birkenbaum” oder “Glassplitter” wählen. Hotmail sei erfahrungsgemäß am unsichersten. GMX und WEB.de seien hingegen relativ sicher. Wenn er sich mit der neuen E‑Mailadresse bei einem Verteiler anmelde, solle er das Passwort dann einfach an ihn weitergeben. Mitte der kommenden Woche werde sich Kloppstock dann mal per E‑Mail melden. Bis dahin solle der Aktivist seine neue Mailadresse mit Passwort an ihn schicken. Zum Ende fragt Kloppstock nun nochmal, ob so weit alles machbar wäre oder ob es kritische Anmerkungen des Aktivisten gebe.
Nachdem Kloppstock gezahlt hat, verlassen sie nach 1 Stunde und 50 Minuten das Restaurant “Nirwana” und gehen getrennte Wege. Der Aktivist wird jedoch auch nach diesem Treffen beschattet. Eine etwa 40-jährige Frau läuft ihm hinterher. Erst als sich der Aktivist nach langer Zeit umdreht und direkt auf sie zugeht, macht auch sie sofort kehrt und verschwindet.
Der Kontakt wird abgebrochen. Am 8. November 2006 um 16.06 Uhr meldet sich der Aktivist per E‑Mail bei Kloppstock und teilt die absprachegemäß eingerichtete neue Mailadresse mit. Er werde sich wieder melden, wenn er etwas zu berichten habe. Schon wenige Minuten später um 17.13 Uhr antwortet Kloppstock und hält den Aktivisten an, sich bis dahin zum Thema Globalisierung im Netz schlau zu machen. Am 17. November 2006 meldet sich Kloppstock erneut per E‑Mail bei dem Aktivisten. Er hätte lange nichts mehr von ihm gehört und fragt, ob denn nichts los gewesen sei. Es fällt auf, dass Kloppstock diese E‑Mail mit dem Namen “Jörn” unterschreibt.
Anfang Dezember will Kloppstock nun einen Termin für ein nächstes Treffen vereinbaren. Hierfür benutzt er im E‑Mail-Verkehr die Namen “Björn” und “Jörn”. Diesmal will sich Kloppstock jedoch nicht in Frankfurt (Oder) treffen. Offenbar scheint ihm das zu unsicher. Er schlägt als Treffpunkt für das nächste Treffen den Bahnhof im ca. 30 km südlich von Frankfurt (Oder) gelegenen Eisenhüttenstadt vor und lässt sich hiervon auch nicht abbringen. Man vereinbart schließlich, sich am 13. Dezember 2006 um 15.30 Uhr am Haupteingang des Bahnhofs in Eisenhüttenstadt zu treffen. Dieser Ort ist abermals mit Bedacht vom VS ausgewählt, handelt es sich doch um einen sehr kleinen Bahnhof mit einem sehr überschaubaren Vorplatz.
Zum vereinbarten Termin schickt Kloppstock wieder deutlich vor der Zeit mindestens drei Personen vor, um den Ort abzusichern. Ein Mitdreißiger mit auffallend sportlicher Figur wartet im Inneren des Bahnhofs über eine Stunde lang vergebens auf den Aktivisten. Der etwa 1,80 Meter große und mit einer dunklen Jacke bekleidete VS´ler hat die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Ein zweiter, deutlich älterer und etwas dicklich wirkender Mann mit brauner Daunenjacke hält sich direkt vor dem Bahnhof auf. Eine dritte Person observiert den Bahnhofsvorplatz mit etwas Abstand zum Bahnhofsgebäude. Er bewegt sich großräumig vor dem gesamten Bahnhof. Während Kloppstock mit seinen Kollegen auch noch nach 16 Uhr am Bahnhof auf den Aktivisten wartet, teilt dieser ihm per E‑Mail mit, dass er an einer Zusammenarbeit nicht interessiert sei und von Kloppstock nicht mehr kontaktiert werden möchte.
Am nächsten Vormittag meldet sich Kloppstock dann ein letztes Mal per E‑Mail. Da die erst kürzlich eingerichtete E‑Mail-Adresse bereits wieder abgemeldet ist, benutzt er die alte Mailadresse des Aktivisten. Er sei einigermaßen überrascht ob des Ansinnens des Aktivisten. Natürlich akzeptiere er die Entscheidung. Ihn würden aber nichtsdestotrotz die Hintergründe für die ablehnende Haltung des Aktivisten interessieren. Kloppstock verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, nochmals von dem Aktivisten zu hören. Vielleicht liege ja nur ein Missverständnis vor.
Dieser Text stammt aus der in Hamburg erscheinenden Analyse und Kritik — Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nummer 513 vom 19.1.2007.