INFORIOT Alicia Garate-Garay fühlt sich ein wenig alt. „Wir haben uns verändert“, sagte sie nach der Vorführung einer Film-Dokumentation über ihr Leben aus dem Jahr 1988, etwas melancholisch. Damals lebte Alicia bereits 15 Jahre im Exil. Sie floh nach dem Militärputsch von Augusto Pinochet gegen die demokratisch gewählte, sozialistische Regierung Salvador Allendes 1973 nach Argentinien und von dort aus weiter in die damalige DDR. Alicia kam schließlich nach Brandenburg an der Havel, das sie heute selbstbewusst als erste Heimat bezeichnet. Ihre Zweite liegt 17.000km weit weg und ist ihr mittlerweile fremd geworden. Nach 20 Jahren Exil hatte Alicia Chile 1993 noch einmal besucht. Vertraut kam ihr aber nichts mehr vor. Dennoch ist sie zumindest über die politischen Ereignisse im Lande im Bilde.
Düstere Erinnerungen
Gestern saß Alicia zusammen mit ihrem Sohn Christian und Ricardo Fonseca, einem in Berlin lebenden Exil-Chilenen, auf dem Podium einer Gesprächsrunde zur Erinnerung an den 11. September 1973. Die Veranstaltung, an der ungefähr 50 Menschen teilnahmen, fand im gelben Salon des Fontaneklubs in Brandenburg an der Havel statt. Die Partei DIE.LINKE hatte dazu eingeladen. Einstimmend in die Thematik wurden Gedichte der beiden chilenischen Nobelpreisträger Gabriela Mistral und Pablo Neruda rezitiert sowie Lieder von Victor Jara vorgetragen. Die ebenfalls gezeigten Filmdokumentationen, die den 11. September 1973 noch einmal plastisch vor Augen riefen: die Bombardierung des Präsidentenpalastes, die Folter, die Morde, der Tod Victor Jaras, hinterließen tiefe Eindrücke, auch heute noch.
Glückliches Leben in Brandenburg
Auch bei Alicia, die seit nunmehr 39 Jahren in Brandenburg an der Havel lebt. Es hat viel Kraft gekostet, hier neu anzufangen, sagt sie. Ihr Mut machte das gute soziale Klima. Ihr Mann fand eine angesehene Stelle im Stahlwerk, für ihre Kinder standen Kindergärten und Schulen offen. Auch die Chancen studieren zu können waren hier viel besser, als in der alten Heimat. Die Kinder von Alicia nahmen dieses Geschenk dankend an, ging es doch darum, sich irgendwann in Chile mit Hilfe des deutschem Studiums eine bessere Zukunft aufbauen zu können.
In der fernen Heimat im Südosten Lateinamerikas war und ist studieren nämlich nur sehr wenigen Menschen vorbehalten, berichtet Ricardo Fonseca. Er kam 1973 aus Chile in die DDR, lebte zunächst in Eisenhüttenstadt, dann in Leipzig und zog schließlich ins „Allendeviertel“ nach Berlin. Auch ihm ist, wie Alicia, das politische Leben im Andenstaat nur geografisch fern. Ein Studium, so Ricardo, kostet in Chile zwischen 5.000,- und 20.000,- US Dollar. Das dortige Bildungssystem ist im Zuge der Einführung des neoliberalen Wirtschaftssystems unter Pinochet privatisiert worden und damit für die unteren Bevölkerungsschichten de facto tabu.
„Man kann in Chile gut leben“, sagt Alicia, „aber nur wenn man gut verdient“. Die Scherenspanne zwischen armen und reichen Bevölkerungsschichten sei größer geworden. Dennoch gebe es Hoffnung und zwar in ganz Lateinamerika, bekräftigt Christian, Alicia´s Sohn. Er sehe positive Ansätze im Kampf der dortigen sozialen Bewegungen.
Chile quo vadis?
Auch in Chile könnte es, zumindest aus der Sicht Alicias, Christians und Ricardos, positive Veränderungen geben. Denn am 17. November 2013 können die Wähler_innen dort nämlich über ein neues Landesoberhaupt bestimmen. Gute Chancen hat diesmal wieder die bereits zwischen 2006 und 2010 amtierende, ehemalige sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet. Sie hatte während der Diktatur Pinochets ebenfalls im DDR-Exil gelebt und steht heute an der Spitze der sozialen Reformbewegung im Land, die sich heute vor allem gegen die ultrakonservative Politik des amtierenden Präsidenten Pinera richtet. Pinera, der u.a. Haupteigner der chilenischen Fluggesellschaft ist, einen privaten Fernsehsender und eine Fußballclub besitzt, gilt als Chiles „Berlusconi“. “Er führt das Land wie ein Unternehmer“, sagt Alicia, und meint damit das fehlende soziale Engagement. Sie hofft, wie auch Christian und Ricardo, auf einen Wahlsieg Michelle Bachelets.
Linkspartei kündigt weitere Veranstaltung zu Chile an
DIE.LINKE in Brandenburg an der Havel hat inzwischen angekündigt, die Thematik weiter zu verfolgen, und plant eine weitere Veranstaltung zu Chile im November 2013, nach den dortigen Präsidentschaftswahlen.
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