NPD und „Freie Kameradschaften“ sind in Berlin und Brandenburg Vorreiter eines allgemeinen bundesweiten Trends: V‑Männer, erhöhter Repressionsdruck und interne Differenzen lähmen die Mobilisierungsfähigkeit ihrer Strukturen. Und besonders erfreulich: erfolgreiche antifaschistische Initiativen zeigen zunehmend Wirkung.
Das Personal
Die Entwicklung der neonazistischen Szene in Berlin und Brandenburg ist schon seit Jahren vor allem durch die deutliche Zusammenarbeit zwischen dem Spektrum der „Freien Kameradschaften“ und der NPD bzw. JN geprägt. Der Wandel der NPD zur „Bewegungspartei“ kam überhaupt nur durch eine Eintrittswelle junger Aktivisten aus dem Kameradschaftsspektrum zu Stande. Die Strukturen des NPD-Landesverbandes Berlin-Brandenburg – von den Kreis- und Ortsverbänden bis zur Landesführung – sind daher geprägt durch den Nachwuchs und einige bekannte Gesichter aus der Naziszene der 1990er Jahre. In diesen Kreisen wird teilweise unverhohlen von der erfolgreichen Übernahme der NPD schwadroniert.
Ein Blick auf einige NPD-Funktionäre in Berlin und Brandenburg verdeutlicht die Entwicklung. Mit Hans-Jörg Rückert stellte sich 2002 der zeitweilige Schatzmeister der „Berliner Kulturgemeinschaft Preußen“ (BKP) in Berlin zur Wahl. Er befand sich im August 1994 mit über zwanzig anderen Neonazis im Wohnhaus von Arnulf Priem, um es gegen vermutete Angriffe einer antifaschistischen Demonstration zu verteidigen. Adrew Stelter, Mitglied des Landesvorstandes und zuständig für die politische Bildung, war bereits als Aktivist der verbotenen „Nationalistischen Front“ (NF) aufgefallen. Reinhard Golibersuch dagegen, der mit dem Kreisverband Spreewald den größten und aktivsten in Brandenburg leitet, begann seine politische Laufbahn schon 1981 als Anhänger der verbotenen „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands“ (VSBD) und wurde 1983 Berliner Kameradschaftsführer der ebenfalls verbotenen ANS/NA. In der 1990er Jahren hinterließ er vor allem eine Reihe von Geburtsanzeigen für seine Kinder in den Nachrichten der HNG oder im „Wikinger“, der Zeitschrift der – selbstverständlich – verbotenen „Wiking-Jugend“. Der Kreisverband Spreewald thematisierte daher wohl nicht zufällig verstärkt die Familie und veranstaltete so genannte „NPD-Familientreffen“. Dort wurden auch Kinderbücher vermarktet, in denen die saubere „Stadt Entenhausen von einer Horde zugewanderter, finster gezeichneter und großer Schmarotzer-Hühner heimgesucht werden.“
Im gleichen Kreisverband war der langjährige Neonazi und VS-Informant Carsten Szczepanski tätig gewesen. Er mußte sich am 9. Dezember 2002 wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz vor Gericht verantworten. Der zeitweilige Organisationsleiter im NPD-Vorstand hatte dem Sänger der Potsdamer Band „Bloodshed“ (ehemals „Proissenheads“), Uwe Menzel, eine Langwaffe verschafft. Beide wurden zu Geldstrafen verurteilt.
Ein weiteres NPD-Mitglied war kurzfristig in den Verdacht der Informanten-Tätigkeit geraten: Michael Dräger musste sich entsprechender Vorwürfe der eigenen Partei erwehren. Auf der NPD-Homepage war der zeitweilige stellvertretende Landeschef in Berlin denunziert worden. Das gleiche Amt hatte er schon in der verbotenen „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) inne.
Neue nationalistische Jugendbewegung?
Die bisherige Landesvorsitzende Carola Nachtigall hat im vergangenen Jahr ihren Platz für den profillosen Landwirt Mario Schulz aus Wittenberge frei gemacht. Nachtigall, die trotz „mütterlicher Aufgaben“ weiterhin aktiv bleibt, ist inzwischen in der erweiterten NPD-Bundesvorstand aufgerückt und engagiert sich in der „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ (GDF).
Diese NPD-Vorfeldorganisation weist wie die JN in Berlin-Brandenburg einen besonderen Weg inhaltlicher Arbeit auf: die Pfleger völkischen Brauchtums durch Volkstanznachmittage oder die Organisierung des bisher zwei Mal abgehaltenen „Märkischen Kulturtages“. Hier treffen sich diejenigen, die sich mit den dekadenten Auswüchsen selbst einer extrem rechten Jugendkultur nicht anfreunden können. Sie dürfen dann Vorträgen von Gerd Zikeli oder Jörg Hähnel, dem JN-eigenem Liedermacher, lauschen.
Die JN Berlin-Brandenburg wird geführt von dem Teltower Jens Pakleppa, der im November letzten Jahres zu deren Bundesorganisationsleiter aufstieg. Trotz dünner Mitgliederdecke im Flächenland legt die JN hier einen erstaunlichen Aktionismus an den Tag. Ihre Publikation „Jugend wacht“ dokumentiert dieses Engagement sowie die exzessive Beschäftigung mit verschiedenen Facetten des Nationalsozialismus.
Dokumentiert sind aber auch Schnittstellen zur „Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.“ HDJ). So engagierte sich der im Februar 2002 verstorbene HDJ-Bundesführer Alexander Scholz auch bei der Berliner NPD und war deren Kreisvorsitzender im Stadtbezirk Pankow. Scholz wurde Ende 1999 Bundesführer und neben ihm soll mit Alexandra Assmann eine weiter NPD-Funktionärin im HDJ-Bundesvorstand gesessen haben.
Auch die inhaltliche Handschrift der „Berliner Kulturgemeinschaft Preußen“ (BKP) ist unübersehbar. So ist Jan Gallasch als Leiter des „Amtes für Kultur“ in den neuen JN-Bundesvorstand gewählt worden. Sein ideologisches Rüstzeug erhielt er in der NF und im Vorstand der BKP.
Schweigert und der Rest
Es liegt Nahe, dass der Trend zur NPD mit einem Bedeutungsverlust der Kameradschaftsstrukturen einherging. Ihre Aktionsfähigkeit ist stark zurückgegangen. Bescheidende Ansätze, koordinierende landesweite Gremien wie einen „Kameradschaftsbund“ oder ein „Aktionsbüro“ zu schaffen, scheiterten oder stagnieren. Der „Kameradschaftsbund Germania“, an dem sich fünf Berliner Kameradschaften beteiligten, löste sich schon 2001 nach einem halben Jahr aufgrund interner Streitigkeiten auf. Das „Aktionsbüro Mitteldeutschland“, an dem vor allem Alt-Kader Oliver Schweigert bastelt, fasst die wenigen Initiativen in Berlin und Brandenburg zusammen, zu denen sich die Kameraden aufraffen.
Tatsächliche politische Aktivität verbirgt sich hinter dieser Liste von Initiativen (sh.Kasten) aber kaum, obwohl das Personal der Kameradschaftsszene fleißig Ermittlungsverfahren sammelt. Das überregional anerkannte Label „Kameradschaft Germania“ (KSG) benutzt inzwischen niemand mehr, angesagt ist jetzt die Selbstbezeichnung „Autonome Nationalisten Berlin“. Hinter deren Transparent marschieren die Berliner Kameraden auf den verschiedenen überregionalen Aufmärschen umher.
Lutz Giesen, Aktivist im Umfeld der KSG, hat vor einem halben Jahr Berlin Richtung Hamburg verlassen. Angeblich hinterließ er vor allem Schulden, wie Christian Worch zu berichten weiß. Giesen soll sich nun in Hamburg des „Kameradenbetrugs“ schuldig gemacht haben, weswegen er für Worch als Anmelder und Leiter einer Anti-Kriegs-Demonstration „nicht geeignet“ sei.
„Anti-Antifa“
Die „Kameradschaft Tor“ fiel im Jahr 2002 unter anderem durch ihre aufgeregten Reak
tionen auf eine Ausstellung im Berliner Stadtteil Lichtenberg-Hohenschönhausen auf. Die Dokumentation „Motiv.Rechts“ tourte durch dortige Jugendclubs und Bibliotheken und vermittelte anschaulich örtliche Strukturen und Aktivitäten der Neonazis. Die Kameradschaft wurde im Juli 2000 gegründet und organisiert junge Neonazis aus Friedrichshain und Lichtenberg-Hohenschönhausen. Neben der Teilnahme an Aufmärschen und wenigen Plakataktionen versuchte sich die Kameradschaft – benannt nach ihrem Gründungsort, dem „Frankfurter Tor“ – vor allem an Anti-Antifa-Aktivitäten, deren Ergebnisse sie auch im Internet präsentierte.
Die Mitgliedsverbände des „Nationalen Widerstandes Berlin-Brandenburg“ (NWBB)
Berlin:
Kameradschaft Mitte
Kameradschaft Hellersdorf
Kameradschaft Mahlsdorf
Kameradschaft Prenzlauer Berg
Kameradschaft Tor
Kameradschaft Pankow
Kameradschaft Preußen
Autonome Nationalisten Berlin
Kameradschaft Lichtenberg 44
Brandenburg:
Märkischer Heimatschutz
Kameradschaft Fürstenwalde
Kameradschaft Lausitzer Front
Kameradschaft Potsdam
(lt. Homepage des Nationalen Widerstandes Berlin-Brandenburg)
Überhaupt haben die Angriffe und Drohungen gegen Linke zugenommen. Linke Jugendclubs wurden demoliert, AntifaschistInnen attackiert und eingeschüchtert. Daran beteiligte sich auch die NPD, die dazu aufforderte, eine „Antifaschistische Aktionswoche“ zu verhindern.
Im Nordbrandenburgischen Angermünde wurde der Verein „Pfeffer & Salz“ zur Zielscheibe neonazistischer Hetze. In einer Broschüre wurden Namen, Portraits und Steckbriefe der Mitglieder des alternativen Vereins veröffentlicht, presserechtlich verantwortlich zeichnete sich das Bundesvorstandmitglied Frank Schwerdt. Mitte Dezember 2002 wurden das Büro des Vereins und das Auto eines Mitarbeiters mit antisemitischen Parolen beschmiert. Nicht zu Unrecht interpretierte der Verein die Angriffe „als Ausdruck der Wut über viele erfolgreiche Projekte und Aktivitäten des Vereins in diesem Jahr“.
Darüber ärgert sich auch der „Märkische Heimatschutz“ (MHS) unter Gordon Reinholz. Reinholz, ehemaliger NPD-Kreisvorsitzender, schart etwa 50 Aktivisten um sich, die vor allem den nordbrandenburgischen Raum unsicher machen. Auffällig sind die Medienaktivitäten, an denen sich der MHS beteiligt. Neben dem eigenen „Uckermark-Boten“ unterstützt der MHS die Ende 2001 gegründete „Mitteldeutsche Jugendzeitung“ (MJZ), ein überregionales Projekt diverser Kameradschaften. Während Reinholz Anfang 2002 aus der NPD ausgeschlossen wurde – es war Geld aus der Kasse des von ihm geleiteten Verbandes verschwunden -, hofierte ihn das „Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerk“ Mitte 2002 mit einer gemeinsamen Veranstaltung.
Ausblick
Die letzten Aufmärsche der Szene waren mangels Beteiligung Flops. Die Teilnehmerzahlen pendelten sich in den letzten Monaten auf unter Hundert ein. Die komplette Absage des „Heldengedenkens“ in Halbe, dürftig ersetzt durch lokale Kranzniederlegungen, war eine weitere Niederlage. Vor allem an dem drohenden Irak-Krieg werden sich weiterhin die Aktivitäten der Nazis entzünden. Ein gemeinsames Plakat von NPD und NWBB ist bereits erschienen. Beide dürften versuchen, ihre schwer verdauliche Mischung von nationalistischer und antiimperialistischer Rhetorik, Palästina-Solidarität, Antisemitismus und Antiamerikanismus unter das Volk zu bringen. Sollten sie – wider Erwarten – hier auch nicht punkten können, dürften weitere Kämpfe der Neonazi-Strategen untereinander folgen.