Wenn wir an das Jahr 2018 zurückdenken schweifen die Gedanken schnell in die Ferne – Chemnitz und Köthen sind noch immer präsent, in Brandenburg denkt man eher an das ewige Problemkind Cottbus als den Barnim. In Hinblick auf rechte Events fand im Barnim tatsächlich wenig statt, eine Abkehr von rechter Straßenpolitik und Hegemoniebestrebungen ist darin jedoch nicht zu sehen. Menschen die nicht der neonazistischen Ideologie entsprechen oder von rechts bis in die Mitte hinein als Verursacher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Übel ausgemacht werden erleben tagtäglich Beleidigungen, Anfeindungen und Übergriffe. Diese Vorfälle öffentlich zu machen, in den gesellschaftlichen und politischen Kontext einzuordnen ist wichtiger Bestandteil antifaschistischer Arbeit. Nur so kann zwischen Jahren verglichen werden, nur so kann Bewiesen werden, dass wenig (extrem) rechte Strukturen nicht auch wenig Übergriffe bedeutet. Die gleichzeitige Präsenz der rechtskonservativ bis völkischen-nationalen AfD durch „Minievents“ wie Stammtische und Infostände tut ihr übriges.
(Extrem) Rechte Veranstaltungen 2018
Zur Unterscheidung wurden die Veranstaltungen in zwei Kategorien eingeteilt: „Demo/Kundgebungen/Infotische“ und „Stammtische/Bürgerdialoge/Info VA“. Während Erstere öffentliche Veranstaltungen auf der Straße meint, bezieht sich Zweitere auf interne oder halböffentliche Veranstaltungen, welche eher einen internen (Bildungs-)Charakter besitzen.
In der ersten Kategorie fanden insgesamt sieben Veranstaltungen 2018 im Barnim statt. Drei waren Kundgebungen auf dem Bahnhofsvorplatz in Bernau, in allen Fällen organisiert von der AfD Bernau. Es wurde versucht ein möglichst breites Spektrum anzusprechen, was sich insbesondere in der Einbindung bzw. Tolerierung des lokalen Ablegers der NPD Kampagne „Schafft Schutzzonen“ auf den Kundgebungen zeigt. Die „Schutzzone Barnim“ besteht um die bekannte Naziclique um Andreas Rokohl, bei der AfD-Kundgebung im Juli war er offizieller Fotograf, bei der im September machte die „Schutzzone Barnim“ einen Infotisch.
Ebenfalls mit drei Einträgen Vertreten ist Eberswalde, während im Juli ein AfD-Infostand zur Dieselkampagne der Partei mit dem Landtagsabgeordneten Christina Schade und Jan-Ulrich Weiß stattfand, trat im August ein in dieser Region völlig neuer Akteur auf den Plan. Lars Günther von der AfD MOL und dem Compact-Magazin organisierte, unterstützt von Christoph Berndt (Zukunft Heimat e.V. und AfD Cottbus) und Siegfried Däbritz (Pegida Dresden), die erste Kundgebung des Zusammenschlusses „Heimatliebe Brandenburg“ um Günther. Anschließend zog die Kundgebung noch als Demonstration zum Markt und zurück. Die Bühne betreute Jannik Brämers (Identitäre Bewegung Berlin/Brandenburg). Im November folgte dann die zweite Auflage mit einer Kundgebung am Markt und einer anschließenden Demonstration, wieder mit Rednern aus AfD, Zukunft Heimat und von Pegida Dresden.
Darüber hinaus fand im Juni ein Infotisch der AfD Panketal auf der Schlendermeile Schönower Straße in Panketal statt.
In der Kategorie „Stammtische/Bürgerdialoge/Info VA“ liegen insgesamt 30 Einträge vor. Hier tun sich insbesondere die AfD Ortsverbände (OV) Ahrensfelde und Panketal mit jeweils 10 Veranstaltungen hervor. Es handelte sich in der Regel um Stammtische oder Bürgerdialoge, in einigen Fällen mit Prominenz wie Andreas Kalbitz, Jürgen Pohl (MdB), Steffen John, Leyla Bilge, Jörn König (MdB) und Daniel Freiherr von Lützow (stellv. Landesvorsitz). Ebenfalls zählen in diese Kategorie Organisationstreffen wie das Gründungstreffen des OV Ahrensfelde oder die Vorstandswahl des OV Panketal. Bei Letzterer war Jean-Pascal Hohm (ehem. AfD/JA, IB Berlin/Brandenburg) aus Cottbus Versammlungsleiter. Im Mai und Juni wurden die Veranstaltungen in Panketal noch von der Patriotischen Vereinigung Panketal organisiert, welche von dem AfD OV mit beworben wurde. Der im November in Ahrensfelde veranstaltete Bürgerdialog „Brandenburg neu denken“ mit Andreas Kalbitz, wurde laut Aussage der AfD Panketal mit einer „großzügigen Spende“ des AfD OV Eberswalde unterstützt. Während in einigen Fällen durch die OrganisatorInnen von 40 oder sogar 60 Teilnehmenden gesprochen wird, sind auf den dazugehörigen Fotos deutlich weniger Personen zu sehen.
Bei zwei AfD-Veranstaltungen in Werneuchen handelte es sich um Bürgerdialoge unter anderem mit René Springer (MdB). In Eberswalde fand im September ein „Mitglieder-Familienfest“ der AfD-Barnim mit angeblich 60 Teilnehmenden statt. In Bernau fanden insgesamt 5 AfD-Veranstaltungen statt, zwei davon mit René Springer (MdB), eine mit Dennis Hohloch (Vorsitzender JA-Brandenburg/Fraktionsvorsitzender Stadtverordneter für AfD Potsdam). Mindestens die Veranstaltung mit Hohloch wurde durch den OV Panketal organisiert. Im September organisierte die AfD Barnim ein „Seminar für die politischen Entscheider und Akteure der AfD von morgen“ unter der Leitung von Daniel Freiherr von Lützow. Es nahmen ca. 20 Personen teil.
Die NPD Barnim bzw. ihr Kampagne „Schutzzone Barnim“ organisierte drei Veranstaltungen. Zwei davon waren Stammtische, eine Veranstaltung war eine Infoveranstaltung mit Sebastian Schmidke (NPD Berlin/NW Berlin). Schmidkes „Vortrag über Selbstschutz und Krisenvorsorge“ folgten angeblich 25 Personen.
Propaganda
Durch die NPD Barnim bzw. ihre Kampagne „Schutzzone Barnim“ sind 21 bekannte Aktionen der Kategorie „Propaganda“ bekannt. Hierzu wurden Verteilaktionen von Flugblättern und Zeitungen, Plakatieren, „Streife“ laufen und interne Wanderungen gezählt. Allgemeines Ziel solcher Aktionen ist Öffentlichkeitsarbeit bzw. das Zeigen von Präsenz – auch wenn dies nur im Nachhinein auf Bildern welche auf Facebook gestellt werden zu sehen ist. Beispielhaft dafür sind die „Streifen“ der „Schutzzone Barnim“: zumeist fallen diese als eigentliche Aktion nicht auf, es darf sogar bezweifelt werden, dass solche „Streifen“ aus mehr bestehen als ein Foto zu machen. Im Jahr 2018 sind sechs solcher Aktionen bekannt geworden. In sechs bekannten Fällen wurden Flyer von NPD und der „Schafft Schutzzonen“-Kampagne oder die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme verteilt. Es wurden zwei Wanderungen (April und Oktober) durch den Barnim veranstaltet, welche durch ihre mediale Aufarbeitung als Propaganda-Aktionen verstanden werden können. Darüber hinaus sind zwei Plakataktionen der NPD bekannt geworden. Im Januar und Juli wurde je eine Putzaktionen durchgeführt, zwei „Gedenkaktionen“ im April und November, sowie eine Aktion bei der das Deserteurdenkmal in Bernau zum 20. Jahrestag am 12.10.18 verhüllt wurde.
Die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ fiel mit zwei Propagandaaktionen (Flyer-/Plakataktion) auf, beide Male in Eberswalde.
Mit insgesamt 3 Propagandaaktionen gedachte die AfD Barnim bzw. der OV Bernau den „Opfern des (DDR) Unrechtsstaats“, der „friedlichen Revolution“ 1989 und dem „Volkstrauertag“. Darüber hinaus hängen AktivistInnen der AfD Barnim im Juli nach eigenen Angaben 50 Plakate und verteilen über 2000 Flyer.
Darüber hinaus wurden Propagandadelikte bekannt, welche sich keinen Strukturen zuordnen lassen. Zumeist handelt es sich dabei um Delikte im Bereich (vorübergehende) Sachbeschädigung, wie Sticker verkleben, Schmierereien oder das Zerkratzen von Autos mit verfassungsfeindlichen Symbolen.
Angriffe
Im Jahr 2018 wurden im Barnim 12 körperliche Angriffe von uns registriert. Davon zwei Körperverletzungen in Bernau und eine in Biesenthal, die restlichen in Eberswalde, einschließlich drei gefährlichen Körperverletzungen und einer versuchten Körperverletzung. Hinzu kommen drei Bedrohungen (2 Eberswalde, 1 Wandlitz) und 16 Beleidigungen. Die absolute Mehrzahl der Beleidigungen fand mit 10 Fällen in Eberswalde statt.
Keiner der bekannten Angriffe lassen sich einer (extrem) rechten Veranstaltung zuzuordnen, d.h. während, vor oder nach auf dem Versammlungsbereich oder dem Umfeld (An-/Abreise) passiert.
Die Polizei Brandenburg erfasste für 2018 neun Taten im Bereich „Politisch motivierte Gewaltkriminalität ‑rechts-“, die Opferperspektive e.V. erfasste 13 rechte Gewalttaten. Unterschiede sind, insbesondere im Vergleich mit den Zahlen der Opferperspektive, auf die zur Verfügung stehenden Daten zu finden. Die Opferperspektive wird hier, gemäß ihrer Tätigkeit als Beratungsstelle Betroffener rechter Gewalt, durch den Austausch mit Polizei und direkten Kontakt mit Betroffenen eine genauere Statistik führen können. Gleiches gilt für die Polizei, wobei hier zu beachten ist, dass die Polizei nach „strengeren“ Kriterien einteilt und nicht alle Gewalttaten von Betroffenen angezeigt werden.
Die Opferperspektive registrierte einen leichten Anstieg im Vergleich zum Vorjahr 2017, dort waren 11 rechte Gewalttaten zu verzeichnen. Somit bleibt der leicht steigende Trend der Gewalttaten bestehen, welcher im Jahr 2017 begann. Zuvor waren die Zahlen rechter Gewalttaten seit dem Erfassungsbeginn 2002 der Opferperspektive im einstelligen Bereich zu finden.
Ausblick
Aus den vorliegenden, naturgemäß unvollständigen, Daten lassen sich einige Analysen der Entwicklung und Praxis von (extrem) rechten Strukturen und (Gewalt-) Delikten ableiten.
So hat sich nichts an dem seit Jahren abwickelnden Sinkflug der NPD geändert. Es fanden keine öffentlichen Veranstaltungen statt, stattdessen werden interne Veranstaltungen und Aktionen in der Vor- und Nachbereitung öffentlich ausgeschlachtet. Gerade Veranstaltungen wie Schulungen, welche einen hohen Stellenwert in der Kaderaus- und Strukturbildung haben, wurden nur in einem Fall bekannt – und in diesem Fall vorher öffentlich beworben. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies mehr aus der Perspektive der Pressearbeit, als der Mitgliederrekrutierung getan wurde. Die „Schafft Schutzzonen“-Kampagne der NPD, im Barnim repräsentiert durch die „Schutzzone Barnim“ bestehend aus dem Umfeld der NPD Barnim und der Kameradschaft „Barnimer Freundschaft“, kann als aktuellste Antwort auf Mitgliederschwund und nahezu komplette politische Irrelevanz verstanden werden. Unter dem Vorwand Bürgerwehren aufzubauen und zu bilden, welche die Sicherheit Deutscher gewährleisten sollen, wird die Devise „Öffentlichkeitsarbeit vor Aktion“ umgesetzt. Um dies zu erreichen wird jede noch so kleine Aktion mit einem Foto dokumentiert und auf Facebook beworben. Im Barnim ist die NPD bei Veranstaltungen nahezu nicht mehr wahrzunehmen, wenn doch dann als Teilnehmer und nicht als Organisator. Dafür sind NPD Barnim und die „Barnimer Freundschaft“ regelmäßig landes- und bundesweit zu Neonazievents unterwegs. Mitunter in organisierender Funktion wie dem Festival „Rock gegen Überfremdung III“ in Apolda (Thüringen).
Die AfD tritt im Barnim vor allem durch die Ortsverbände Ahrensfelde und Panketal in Erscheinung, welche hauptsächlich halböffentliche Stammtische organisieren. Das Veranstalten von Stammtischen gehört zu einem grundlegenden Prinzip der Parteiarbeit „vor Ort“. Und lässt dadurch nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl entstehen, welches durchaus legitimierende Wirkung hat, sondern erschafft durch das Einladen und Auftreten von Parteikadern wie René Springer oder Andreas Kalbitz die Illusion der bürgernahen Partei „des kleinen Mannes“. Demonstrationen und Kundgebungen wurden hier nur in wenigen Fällen organisiert. Bei diesen hat der aus MOL stammende und dort in der AfD organisierte Lars Günther die Nase vorn. Mit seinem Bündnis Heimatliebe Brandenburg veranstaltete er innerhalb von weniger als einem halben Jahr zwei Kundgebungen mit anschließender Demonstration in Eberswalde, einer Stadt in der es keine nennenswerte AfD-Struktur gibt. Im Februar 2019 veranstaltete Günther das dritte Event in dieser Reihe. Jedes Mal waren überregional bekannte Kader von AfD, Zukunft Heimat und Pegida Dresden als RednerInnen dabei. Stand Mai 2019 sind keine weiteren Ankündigungen bekannt, es bleibt abzuwarten ob Günther weiter versucht derlei Veranstaltungen in Eberswalde zu etablieren.
Zu den rechten Angriffen lässt sich vor allem sagen, dass diese in keinem Zusammenhang mit bestehenden Strukturen zu stehen scheinen. In der Stadt mit den meisten Vorfällen, Eberswalde, gibt es schlichtweg keine. Vielmehr handelt es sich um Taten aus dem Alltag heraus bzw. im Alltag stattfindend. Mit Blick auf die „Verschiebung des Sagbaren“ und die „Radikalisierung der Mitte“, welche mit dem Aufkommen der AfD immer deutlicher hervortraten, lassen sich diese Angriffe als Auswirkung von gesellschaftlich-politischen Prozessen auf der Straße interpretieren. Wie diese Entwicklung weitergeht lässt sich kaum abschätzen. Mit einem plötzlichen Rückgang kann allerdings nicht gerechnet werden.
Neben eigenen Recherchen wurde auf folgende Publikationen zurückgegriffen:
https://polizei.brandenburg.de/fm/32/Praesentation_PK_%20PMK_2018.pdf