Roman von Manja Präkels (Verbrecher Verlag 2017)
…oder wie es sich in einer brandenburgischen Kleinstadt aufwachsen lässt, umgeben von der plötzlichen Perspektivlosigkeit nach dem Mauerfall und der zunehmenden Faschisierung der Freund*innen der Kindheit.
Mimis Freund Oliver, mit dem sie sich früher mit Schnapskirschen der Eltern betrank, wird Anfang der 1990er Jahre zum Anführer einer rechten Schlägergruppe. Von den Glatzen und Seitenscheitel tragenden Jungs als „Zecken“ beschimpft und bedroht, versuchen Mimi und ihre Freund*innen sich durchzuschlagen. Eine Menge Alkohol und gemeinsam verbrachte Nächte in den Jugendzimmern scheinen hier und da die Auseinandersetzung mit sich und den eigenen nächsten Schritten zu verdrängen. Und als ihr Freund „Krischi“ 1992 bei einem Discothekbesuch getötet wird, scheinen die einzigen Optionen der Wegzug nach Berlin zu sein oder den Kampf gegen die Neonazis weiter zu führen, der scheinbar nicht gewonnen werden kann.
Ungeschminkt und mit autobiografischen Anteilen schafft es Manja Präkels in ihrem Roman der Leser*innenschaft nahe zu bringen, was es bedeutet, in einer Kleinstadt mit „No-Go-Areas“ zu leben, Freund*innen durch Neonazigewalt zu verlieren und mit der ständigen Angst vor dem nächsten Angriff aus dem Haus zu gehen.
Gerade einer ursprünglich aus Westdeutschland kommenden Leser*innenschaft, wird durch das Buch das Entstehen des politischen Machtvakuums nach der Wende sowie das Besetzen dieses durch rechte Strukturen verdeutlicht. So nah die Geschichte und Charaktere einem als Person, die heute ebenfalls in einer brandenburgischen Kleinstadt lebt, im Laufe des Buches werden, leben wir dennoch in einer anderen Zeit. Antifaschistische und zivilgesellschaftliche Gruppen organisieren sich und gehen auf die Straße, um gegen RassistInnen und NationalistInnen zu demonstrieren.
Das Buch von Manja Präkels ergänzt bereits existierende wissenschaftliche Artikel, Interviews und Tagungsbände, zur Aufarbeitung der Faschisierung in den 90er Jahren in Ostdeutschland, um eine emotionale Ebene. Staat und Polizei haben über Jahre weggeschaut und die sich radikalisierende rechte Szene als randalierende Jugendliche abgetan. So laufen auch heute noch ungestraft neonazistische TäterInnen von damals herum. Das Buch schafft es, die Betroffenen der Gewalt in den Fokus zu rücken und ihre Geschichte sichtbar zu machen.
Wie auch in dem Fall von „Krischi“. Bei „Krischi“ handelt es sich um Ingo Ludwig, dem das Buch gewidmet ist und dessen Tod Präkels als Zeugin in dem Roman beschreibt. Ingo Ludwig ist eines der vielen Todesopfer rechter Gewalt, die keine Erwähnung finden in der offziellen Zählung der Bundesregierung zu Opfern rechter Gewalt nach 1990. Als das Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam im Auftrag des Brandenburger Innenministeriums von 2013 bis 2015 rund zwei Dutzend Verdachtsfälle rechter Gewalt mit Todesfolge näher untersuchte, zählte der Fall von Ingo Ludwig nicht dazu. So sei eine Untersuchung nicht mehr möglich gewesen, weil die Ermittlungsakten aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zwischenzeitlich vernichtet worden waren. Für das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) war laut einer Bundestagsanfrage von 1994 der Tod von Ludwig auf einen Treppensturz zurückzuführen. Noch bizarrer wird die Geschichte, als der LfV behauptete, Neonazis wären Ludwig zur Hilfe geeilt und hätten ihn erst dann verprügelt, als er sie beschimpfte. In der Wochenzeitung Jungle World übt Manja Präkels an der Darstellung des LfV scharfe Kritik: „Wenn man die drei flachen Stufen der Dorfkneipe vor Augen hat und die Pogromstimmung jener Jahre in den Knochen, zerfällt die Geschichte von der hilfsbereiten Horde Skins.” (https://jungle.world/artikel/2013/45/48759.html)
Während Präkels ein authentisches Bild der Ereignisse in der Retropespektive zeichnet, eckt sie bewusst an die aktuelle Literatur an, die eher ein beschönigendes Bild der, durch die Vergangenheit gezeichneten, Gegenwart in Ostdeutschland zeichnen will. Mit dem Buch und der darauf folgenden Berichterstattung löste Präkels einen regelrechten Autor*innenstreit zwischen ihr und Moritz von Uslar aus. Von Uslar brachte 2010 den Reportage-Roman „Deutschboden“ heraus, der später verfilmt wurde. In dem Roman begibt sich von Uslar nach Zehdenick, und versucht literarisch einen Einblick in eine abgehängte ostdeursche Provinzstadt zu geben und porträtiert jene Personen heute, die Präkels in in den 1990er Jahren das Leben schwer gemacht haben. In einem ausführlichen Spiegel-Artikel wirft Präkels von Uslar verklärende Kumpelhaftigkeit vor, mit denen er die gewalttätigen Neonazis von damals als geläuterte Männer darstellt, die heute einfach nur zu „kernige Prolls“ geworden sind. http://www.spiegel.de/spiegel/moritz-von-uslars-roman-deutschboden-und-die-wirklichkeit-a-1182454.html
Was in „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ deutlich wird: Dies ist nur eine von vielen Geschichten aus einer oft ungehörten Perspektive. Lasst uns ihnen Gehör verschaffen, die Geschichte verarbeiten und daraus lernen.
Am Donnerstag, den 10. Mai ab 20:00 Uhr liest Manja Präkels in der Schreinerstraße 47 beim Brandenburg-Abend in Berlin aus ihrem Buch „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ vor.
Eine weitere Veranstaltung findet außerdem am 22. Mai ab 19:30 in Eberswalde im Café des Bürgerbildungszentrums Amadeu Antonio, Puschkinstraße 13 statt.
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