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Chronik rechter Vorfälle in Märkisch-Oderland 2021

Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oder­land (BOrG) hat im Jahr 2021 ins­ge­samt 230 rechte Vor­fälle im Land­kreis aufgenom­men. Diese Vor­fälle sind unter­schiedlich hin­sichtlich ihrer Schwere und reichen von Pro­pa­gan­da über Bedro­hun­gen und Belei­di­gun­gen bis hin zu Angrif­f­en. Auch hin­sichtlich der inhaltlichen Kat­e­gorien, also der Moti­va­tion oder der betrof­fe­nen Gruppe, sind die Vor­fälle unter­schiedlich. Sie eint jedoch, dass sie extrem rechte Ide­olo­gieele­mente bedi­enen. Das bedeutet, dass sie entwed­er Aktiv­itäten der extremen Recht­en darstellen oder Ras­sis­mus, Anti­semitismus, LGBTIQ*-Feindlichkeit, Sozialchau­vin­is­mus (die Abw­er­tung von armen und woh­nungslosen Men­schen oder Men­schen mit Behin­derun­gen und psy­chis­chen Erkrankun­gen) oder Ver­schwörungserzäh­lun­gen ausdrücken.

Die Fal­lzahl hat sich im Ver­gle­ich zu unser­er Auswer­tung von 2021 (107 Fälle) ver­dop­pelt. Wie auch in den ver­gan­genen Jahren hat dies zum einen mit ein­er aktiv­eren Melde­struk­tur und Öffentlichkeit­sar­beit der BOrG zu tun, aber auch damit, dass sich Trends des let­zten Jahres fort­set­zen: Neben ein­er Vielzahl von Ver­anstal­tun­gen der AfD im Land­kreis beobacht­en wir neue extrem rechte Struk­turen, die durch ver­schiedene Aktio­nen aufge­fall­en sind.

Mit neun Angrif­f­en ist die Anzahl gegenüber dem let­zten Jahr um drei Angriffe gestiegen. Hier­für ist maßge­blich eine Angriff­s­rei­he im Küstriner Vor­land ver­ant­wortlich, bei der eine der recht­en Szene zuge­hörige Frau mehrfach Polizist*innen angriff. Dies geht aus mehreren Land­tagsan­fra­gen der Abge­ord­neten Andrea Johlige her­vor. Anson­sten sind es vor allem ras­sis­tisch motivierte Angriffe, die wir in 2021 beobachtet haben. Wie auch in den Jahren zuvor sind Geflüchtete oder ver­meintlich geflüchtete Men­schen und ihre Unterkün­fte ver­gle­ich­sweise häu­fig Ziele von Angriffen.

Art der Vorfälle

 

Rechte Veranstaltungen als häufigste Vorfallsart

Im let­zten Jahr fan­den in Märkisch-Oder­land ins­ge­samt 92 Ver­anstal­tun­gen statt, die von recht­en Akteur*innen organ­isiert wur­den oder einen recht­en Bezug hat­ten. Diese hohe Zahl muss im Kon­text des Bun­destagswahlkampfes und der steti­gen Mobil­isierung gegen die Coro­na-Maß­nah­men gese­hen wer­den. Hier kam es teil­weise zu Über­schnei­dun­gen, wie bei den regelmäßi­gen Kundge­bun­gen der AfD in Wriezen. Seit Dezem­ber 2020 führt die AfD hier jeden Mittwoch eine Kundge­bung auf dem Mark­t­platz durch, die sich gegen die Maß­nah­men zur Eindäm­mung der Pan­demie richtet, aber auch immer wieder aller­lei The­men aus dem Wahl­pro­gramm der AfD behan­delt. Zusät­zlich zu diesen Kundge­bun­gen kamen weit­ere AfD-Ver­anstal­tun­gen im gesamten Land­kreis dazu. Ab Juli stieg die Zahl der AfD-Ver­anstal­tun­gen durch den begin­nen­den Wahlkampf an: Infos­tände, Bus­touren, Kundge­bun­gen und Som­mer­feste; die AfD war an vie­len Orten mit ihren Anhänger*innen präsent und machte diese Orte damit auch immer wieder zu No-Go-Areas für Men­schen mit Ras­sis­muser­fahrun­gen, Jüd*innen, Men­schen aus der LGBTIQ*-Community oder Per­so­n­en, die als links oder “alter­na­tiv” wahrgenom­men werden.

Vor­fälle im Jahresverlauf

Neben der AfD waren es vor allem die Quer­denken­proteste im ersten Hal­b­jahr, die die Zahl der recht­en Ver­anstal­tun­gen anwach­sen ließ. Die Quer­denken-Kundge­bun­gen fan­den in Straus­berg zu ein­er Zeit statt, zu der schon längst Reichs­fah­nen auf den großen Demos in Berlin gezeigt wur­den und die Debat­ten um eine fehlende Abgren­zung nach Rechts geführt wur­den. Wer sich zu diesem Zeit­punkt bewusst für ein recht­sof­fenes Label wie Quer­denken entschei­det, scheint gut damit leben zu kön­nen, wenn auch rechte Inhalte auf den Kundge­bun­gen präsen­tiert wer­den. Und so kam es auch, dass neben dem extrem recht­en „Com­pact-Mag­a­zin“, welch­es auf den Kundge­bun­gen verteilt wurde, auch immer wieder NS-ver­harm­losende Inhalte präsent waren. Neben der AfD und dem Quer­denken-Spek­trum gab es auch Ver­anstal­tun­gen neon­azis­tis­ch­er Grup­pierun­gen. So fan­den drei Wan­derun­gen von neon­azis­tis­chen und völkischen Grup­pen im Osten von Märkisch-Oder­land statt. Zudem gab es geschicht­sre­vi­sion­is­tis­che Ver­anstal­tun­gen zum “Heldenge­denken” oder der 150-jähri­gen Grün­dung des Deutschen Reiches.

Die zwei­thäu­fig­ste Vor­fall­sart im Jahr 2021 macht­en mit 89 Vor­fällen Pro­pa­gandafälle aus. Darunter fall­en zum Beispiel verklebte Stick­er oder Fly­er, die verteilt wur­den. Hier sind es vor allem Stick­er, die rechte Struk­turen als solche bewer­ben. Dabei spie­len jedoch immer auch andere Dimen­sio­nen des Recht­sex­trem­is­mus eine Rolle, wie Ras­sis­mus, Anti­semitismus oder die Bedro­hung von poli­tis­chen Gegner*innen. Im Jahr 2021 ist vor allem die Präsenz von Stick­ern der neon­azis­tis­chen Kle­in­st­partei „Der III. Weg“ in der gesamten S5-Region enorm angestiegen, was auf einen per­son­ellen Zuwachs der Struk­tur in der Region schließen lässt. Daran anknüpfend gab es auch mehrere Aktio­nen, bei denen Neon­azis vom III. Weg-Fly­er und andere Pro­pa­gan­da verteilt haben.

Hakenkreuzschmierereien und Bedrohungen

Ins­ge­samt kam es im let­zten Jahr zu 18 Sachbeschädi­gun­gen. Darunter find­en sich 11 gesprühte Hak­enkreuze im öffentlichen Raum. Zusät­zlich zu den Hak­enkreuz-Schmier­ereien, sind auch Sachbeschädi­gun­gen durch die neon­azis­tis­che Jugend­clique “Divi­sion MOL” in Fred­er­s­dorf und Peter­sha­gen-Eggers­dorf verübt wor­den. Neben Sprühereien durch die jugendlichen Nazis haben 5 Mit­glieder der Gruppe am 31. Jan­u­ar eine Gedenkstätte für Phan Văn Toản am Bahn­hof Fred­er­s­dorf zer­stört. Zuvor hat­ten Antifaschist*innen dort an Phan Văn Toản gedacht, der 1997 am Bahn­hof aus ras­sis­tis­chen Motiv­en ange­grif­f­en wurde und an den schw­eren Ver­let­zun­gen ver­starb. Die dort gelasse­nen Blu­men, Kerzen und Trans­par­ente wur­den zerstört.

Auch 18 Bedro­hun­gen, Belei­di­gun­gen und Pöbeleien haben wir im let­zten Jahr aufgenom­men. Diese richteten sich vor­rangig gegen poli­tis­che Gegner*innen. Hier dürfte die Dunkelz­if­fer mit ras­sis­tis­chen Motiv­en enorm hoch liegen. All­t­agsras­sis­mus, Belei­di­gun­gen an der Kasse im Super­markt, im Bus oder im Vere­in ste­hen für viele Schwarze Per­so­n­en und Men­schen mit Ras­sis­muser­fahrun­gen lei­der an der Tage­sor­d­nung, wer­den jedoch auf­grund der schieren Häu­figkeit in den sel­tensten Fällen an Polizei oder Beratungsstruk­turen gemeldet. Jede betrof­fene Per­son kön­nte wahrschein­lich von hun­derten Sit­u­a­tio­nen der Aus­gren­zung, Diskri­m­inierung und Stig­ma­tisierung erzählen.

Keine sicheren Rück­zugsräume Märkisch-Oderland

Die räum­liche Verteilung der Vor­fälle zeigt, dass es vor allem die größeren Städte wie Bad Freien­walde, Wriezen, Müncheberg und Straus­berg sind, die mit hohen Fal­lzahlen her­vorstechen. Aber auch der Berlin­er Speck­gür­tel und damit die S5-Region ist ein Hotspot für rechte Aktiv­itäten. Wie auch in der Ver­gan­gen­heit ist mit 68 Vor­fällen Straus­berg der Ort mit den meis­ten Vor­fällen. Dies ist zum einen auf eine hier aktive rechte Szene zurück­zuführen, aber auch auf die lokale Ver­ankerung der Beratungsstelle in Straus­berg. Aktive der BOrG und eine hier aktive Zivilge­sellschaft kriegen mehr von dem Geschehen in der Stadt mit, als es in Seelow oder Lebus der Fall ist. Wir kön­nen davon aus­ge­hen, dass die Fal­lzahlen in Straus­berg der Durch­schnitt sind und wir in anderen Teilen des Land­kreis­es eine enorme Dunkelz­if­fer haben. Viele Betrof­fene wis­sen nicht, an wen sie sich bei Diskri­m­inierung oder rechter Gewalt wen­den kön­nen. Ins­beson­dere geflüchtete Per­so­n­en wollen nicht neg­a­tiv auf­fall­en, um ihr Asylver­fahren nicht zu gefährden und ver­mei­den dadurch den Kon­takt zu Beratungsstellen oder der Polizei. Aber auch unsen­si­ble Reak­tio­nen von Poli­tik und Polizei, sowie die Alltäglichkeit von recht­en Vor­fällen im Leben viel­er Men­schen führen zu Ohnmachtsgefühlen.

Räum­liche Verteilung der Vorfälle

Die hohe Anzahl rechter Vor­fälle in der S5-Region ist eine Weit­er­en­twick­lung von Trends und Phänome­nen, die bere­its 2020 aufge­taucht sind. Die rechte Jugend­gruppe „Divi­sion MOL“ ist maßge­blich für diverse Vor­fälle in der Region ver­ant­wortlich. Die weit­er­hin hohe Anzahl an Vor­fällen lässt eine ide­ol­o­gis­che Fes­ti­gung der Jugendlichen ver­muten. Die weite Ver­bre­itung Pro­pa­gan­da des III.Weg ist besorgnis­er­re­gend und lässt auf struk­turelle und per­son­elle Verbindun­gen zur neon­azis­tis­chen Kle­in­st­partei schließen. Neben Straus­berg und der S5-Region war es vor allem auch Bad Freien­walde, wo der III. Weg beson­ders in der ersten Jahreshälfte auffiel.

Antisemitismus und Rassismus als fester Kern rechter gewalttätiger Ideologie

Wie auch in den ver­gan­genen Jahren ist rechte Selb­st­darstel­lung, also das Bewer­ben oder das Auftreten als rechte Struk­tur oder Partei, das dom­i­nante Motiv. Nicht zu vergessen ist aber, dass rechte Struk­turen immer auch eine ras­sis­tis­che, anti­semi­tis­che und men­schen­feindliche Ide­olo­gien vertreten und damit diese Ide­olo­gieele­mente auch immer Teil rechter Selb­st­darstel­lung sind.

Es zeigt sich deut­lich, dass die Vor­fälle mit direk­ten Betrof­fe­nen und jene, auf die direk­te kör­per­liche Unversehrtheit zie­len, durch den ver­nich­t­en­den Kern rechter Ide­olo­gie motiviert sind: Ras­sis­mus, Anti­semitismus und Angriffe auf poli­tis­che Gegner*innen. Das sind bei den Bedro­hun­gen, Angrif­f­en und Sachbeschädi­gun­gen die dominieren­den Motive.

Inhaltliche Zuord­nung nach Art des Vorfalls

 

Die vollständige Chronik gibt es hier zum download.

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