Am 12. und 13. Februar wurde in Guben Farid Guendoul gedacht, der vor 22 Jahren durch Faschisten ermordet wurde. Die Täter brachten damals nicht nur Farid Guendoul um, sondern zogen auch lautstark durch die Stadt, bedrohten weitere Menschen und warfen Fensterscheiben eines asiatischen Restaurants ein. Ein Freund des Ermordeten, Issaka Kaba, konnte sich in ein Bistro retten, wo er nur zögerlich aufgenommen wurde. Die Polizei verhaftete ihn grundlos und die Rassisten folgten Kaba bis zur Wache und versuchten hineinzugelangen. Diese Nacht zeigte, wozu der Deutsche Mob und seine Institutionen fähig sind. Das Errichten eines Gedenksteins für Farid Guendoul war damals ein zäher Kampf und als er stand wurde er mehrfach beschädigt.
Auch heute gibt es in Guben zahlreiche Probleme. Nur wenige kämpfen gegen das Nazi-Problem an, eine Unterstützung für Geflüchtete und/oder Menschen, die Opfer von rassistischen Attacken werden, gibt es vor Ort nicht. Das Netzwerk für Flucht und Migration, welches eine Arbeitsgruppe der Stadt ist, ist derzeit inaktiv mangels Personals und Willen, die Stellen zu besetzen. Eine*n Integrationsbeauftragte*n gibt es schlichtweg derzeit nicht. Vielleicht kein Wunder bei einer Stadtverwaltung, in der die AFD von allen Parteien die meisten Sitze belegt.
Unter anderem deshalb möchten wir die Rede einer Teilnehmerin des Gedenkens an Farid Guendoul hier veröffentlichen, denn sie zeigt die Kontinuitäten des rassistischen Normalzustandes in Guben. Unterstützt die Strukturen vor Ort, die sich dem entgegenstellen — Remembering means fighting!
Redebeitrag einer Teilnehmerin beim Gedenken am 13.2.2021
Warum gedenken wir? Woher kommt das Bedürfnis, an Opfer oder Betroffene von schrecklichen Taten oder Ereignissen zu erinnern? Wir versuchen oft, aus einem Ereignis zu lernen, irgendetwas Sinnvolles daraus zu lernen – aber wir können das in diesem Fall nicht. Es wird oft gesagt: Erinnerung dient der Mahnung – dieser Gedanke liegt uns eigentlich nicht fern. Aber: auch wenn viele von uns zum Tatzeitpunkt noch ziemlich jung waren, ist uns die Tat zu frisch und sind uns die Täter zu politisch aktiv, als dass wir „nur“ mahnen möchten.
Wir wollen nicht aufhören auf die Täter aufmerksam zu machen. Wir wollen nicht nur auf die rassistische Perspektive der von Neonazis zu Hilfe gerufenen Polizisten aufmerksam machen, die fast reflexhaft erst einmal die bedrohten Asylsuchenden festnehmen anstatt die bedrohenden Neonazis. Wir wollen nicht aufhören zu thematisieren, wie glimpflich in guter alter deutscher Gerichtstradition die Täter davon gekommen sind – in einer Tradition von Runterspielen und entpolitisieren rassistischer Attacken. Wir wollen auch immer noch darauf aufmerksam machen, wie Alexander Bode – einer der Haupttäter — auch Jahre nach seiner Tat nicht müde wurde und wird, anderen seinen Rassismus zuzumuten.
Wir wollen aber nicht nur auf die Täter als Personen schauen. Wir wollen auch auf die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufmerksam machen, die eine solche Menschenjagd in den Köpfen der Täter erst möglich werden ließ. Auf welchem Level stehen wir denn heute? Wie viel Rassismus ist für uns und unser Umfeld ertragbar geworden? Der Hass lässt sich leichter schlucken, wenn er gut bürgerlich gekleidet ohne rasierte Glatzköpfe in Form einer Partei dargeboten wird, die sich nur noch entscheiden muss, wie rassistisch, menschenverachtend und faschistisch sie eigentlich noch sein will. Wie viel Rassismus ist für uns ertragbar geworden – für diejenigen von uns, die sich von rassistischen Attacken nie direkt angegriffen fühlen müssen? Meistens können wir selbst entscheiden, ob wir in Konfrontation mit rechtem Gedankengut gehen oder nicht – aber diese Entscheidungsfreiheit haben nicht alle.
Deshalb sagen wir: Unsere Entscheidung muss viel häufiger in Richtung Konfrontation gehen, in Richtung Widerspruch zur Hetze – und sei sie noch so subtil. Kein Mensch soll sich stark oder auch nur wohl dabei fühlen können, wenn er andere Menschen rassistisch oder sexistisch oder anders attackiert – egal, ob verbal oder tätlich. Solch eine Herangehensweise beseitigt jedoch nicht die Gründe für diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Dafür ist sie hierzulande historisch, institutionell und in den Köpfen von vielen Menschen zu tief verwurzelt. Wir können aber hier und jetzt und in jeder zukünftigen Minute unser zukünftiges Handeln steuern.
Bei all dem Gerede über Corona in unserem Landkreis können wir zeigen, dass wir nicht glauben, Corona mache vor Asylunterkünften halt, Corona mache vor überfüllten griechischen Lagern halt. Wir stehen hier und uns ist kalt, aber stellen wir uns mal vor, wir säßen jetzt mit unseren Kindern bei 8°C neben unserem unterspülten Zelt, teilen uns mit hunderten anderen einen Wasserhahn, aus dem nur kaltes Wasser kommt, bekommen eine unzureichende kalte Mahlzeit pro Tag und von sanitären Anlagen oder medizinischer Versorgung brauchen wir erst gar nicht anfangen.
Was wir als Stadt tun können ist folgendes: wir brauchen eine offensive städtische Willkommenspolitik. Symboltaten sind gut und wichtig und anzuerkennen, aber wir brauchen stabile bezahlte Strukturen, die besetzt sind mit fähigen, engagierten Leuten, die in Netzwerke eingebunden sind – also nicht mit Leuten, die einfach aus der Verwaltung abgezogen werden und das Thema einfach nur verwalten. In der Geflüchtetenarbeit ehrenamtlich Aktive sollten keine Befürchtungen haben, dass sie ihre „normalen“ Lohnarbeit nicht mehr schaffen, weil ihnen das Ehrenamt viel mehr abverlangt, als sie eigentlich geben können.
Um mit einem positiven Statement zu schließen: es gibt viel zu tun, viel zu etablieren – packen wir es an!