Gedenken reicht nicht — Rassismus tötet immer noch
Zum 20. Jahrestag der rassistischen Pogrome von Cottbus
In den Nächten vom 29. bis zum 31. August 1992 versuchten mehrere hundert Nazis die Wohnblöcke des Sachsendorfer Asylbewerberheims mit Molotow-Cocktails in Brand zu setzen und ihre etwa 1000 Bewohner in den Feuertod zu treiben. Um Überlebende zu massakrieren, hatten sie sich mit Messern, Baseballschlägern und Steinen bewaffnet. Nur der Einsatz von Feuerwehr und 300 Polizeibeamten konnte schließlich ein Blutbad verhindern und die Angreifer zum langsamen Rückzug zwingen.
Bewegten diese Ereignisse damals noch kurzzeitig die lokale Öffentlichkeit, so sind sie bis heute fast in Vergessenheit geraten. Und sowohl Stadt als auch Presse haben ein Interesse am Totschweigen der größten Cottbuser Schande seit 1945. Da der Fokus der bundesdeutschen Medien auf die schweren Gewaltexzesse von Rostock-Lichtenhagen wenige Tage zuvor konzentriert war, konnte die Stadt ihre Probleme mit rechten Ausschreitungen erfolgreich aussitzen bis das Thema niemanden mehr interessierte als die Betroffenen selbst. Auch die Lausitzer Rundschau hat zu jener Zeit keine rühmliche Rolle gespielt, da Zitate Cottbuser Bürger über angebliche Bedrohungen durch die Asylsuchenden zumindest unfreiwillig die ohnehin aufgeheizte Stimmung gegen Ausländer weiter zuspitzten und dem faschistischen Mob Rechtfertigung für seine Übergriffe gaben.
Dabei waren die Bewohner zumeist Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen in Afrika oder auf dem Balkan, die sich nach nichts mehr sehnten, als ohne Hunger und in Frieden ihre Kinder großzuziehen. Was sie dann in Deutschland erwartete, war jedoch beinahe das Gegenteil all dessen: Zusammengepfercht in abseits gelegenen Plattenbauten, ohne finanzielle Mittel und nur mit Essensmarken ausgestattet überließen staatliche Institutionen die Asylsuchenden sich selbst. Wie verlogen sind Politiker, die für diese Bedingungen verantwortlich sind und heute mangelnden Integrationswillen von Migranten beklagen?
Doch damit keineswegs genug. Nach der Auflösung der DDR fanden sich viele Einwohner Ostdeutschlands in einer Situation sozialer Kälte mit Arbeitslosigkeit und Existenzängsten wieder. Dies nutzten rechte Rattenfänger aus, um oftmals junge Leute für ihre egoistischen und menschenfeindlichen Interessen zu instrumentalisieren. In Cottbus tat sich besonders ein gewisser Frank Hübner hevor, der heute für die NPD im Abgeordnetenhaus sitzt und damals Führungskader der Deutschen Alternative (DA) war. Er, der Anfang der Neunziger regelmäßig Naziaufmärsche durch Sachsendorf organisierte, war auch einer der Initiatoren der Pogrome vom August 1992. Sein ursprüngliches Vorhaben, die Übergriffe als spontanes Aufbegehren Deutscher Bürger aussehen zu lassen, misslang weitesgehend, da anders als in Rostock oder ein Jahr zuvor in Hoyerswerda nur wenig allgemeine Zustimmung aus der Bevölkerung kam. Zu brutal, zu primitiv war das Vorgehen seines braunen Schlägertrupps. Dennoch muss klar festgestellt werden: Sowohl in der Cottbuser Einwohnerschaft wie in der Stadtpolitik gab es nur wenige aufrichtige Antifaschisten, die öffentlich in Erscheinung traten und sich mit den Flüchtlingen solidarisierten. Die meisten schwiegen aus Angst selber in das Fadenkreuz zu geraten und einige, wie Wahlergebnisse und Stammtischabende zeigen, auch aus stiller Sympathie für die Nazis. Dieses Schweigen führte letztlich dazu, dass bei den städtischen Beschwichtigungsveranstaltungen Hübner und seine Vasallen nochmal einen großen Auftritt hatten, als sie mit martialischem Auftreten den aufrichtigen Teil der Bevölkerung einschüchterten und sich als Stimme der Unterdrückten profillieren konnten.
Was in der Nachbetrachtung der Pogrome vor 20 Jahren bisher völlig unbeachtet blieb, ist die Rolle der Nachrichtendienste. So waren die Nazis in Cottbus mit Funkgeräten ausgestattet, um forthin mit Infortmationen über die Lage versorgt zu werden und ihre Aktionen koordinieren zu können. Obwohl die Polizei diese Gespräche mithörte, dauerte es zwei Nächte, um zweihundert Randalierer zurückzudrängen. Wenn wir bedenken, dass die Cottbuser Ausschreitungen neben denen von Rostock, Hoyerswerda und anderen dazu führten, dass 1993 das Asylrecht faktisch abgeschafft wurde, muss die Frage aufgeworfen werden, inwiefern die führende Politik der BRD ein Interesse an den Ereignissen hatte.
Wie ist die Lage heute in Cottbus? An den allgemeinen Zuständen hat sich wenig verändert, noch immer werden Antifaschisten und die wenigen Migranten von Nazi-Schlägertrupps verfolgt und attakiert, noch immer erzielt die NPD Wahlerfolge – noch immer ist mit den ökonomischen Verhältnissen der Nährboden vorhanden, aus dem rassistische Umtriebe ständig neu entstehen.
Daher kann es nicht ausreichen, wenn wir dem Tiefpunkt unserer neueren Stadtgeschichte nur still gedenken, um danach wieder die Hände in den Schoß zu legen. Alle überzeugten Antifaschisten egal welcher Colleur sind aufgerufen, sich an der Kundgebung am Ort des Angriffs zu beteiligen! Wir zeigen den Nazis, dass sie keinen Platz in Sachsendorf haben! Diese Stadt ist unsere Stadt!