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Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Gelände des Grauens

(Zoé Sona, Jun­gle World) Als die Bag­ger­schaufel mit einem laut­en Krachen die grauen Beton­streben zum Ein­sturz bringt, weht eine Staub­wolke über den Platz. Die Anwe­senden applaudieren. Seine sym­bol­is­che Funk­tion hat der Rück­bau rus­sis­ch­er Mil­itär­barack­en, der am 6.?August auf dem Gelände des ehe­ma­li­gen Konzen­tra­tionslagers Uck­er­mark begonnen hat, erfüllt. Unab­hängig vom offiziellen Akt wurde für die Mit­glieder der »Ini­tia­tive für einen Gedenko­rt ehe­ma­liges KZ Uck­er­mark« damit ein wichtiges Zeichen geset­zt. Sie haben sich gemein­sam mit dem Vere­in »Lagerge­mein­schaft Ravensbrück/Freundeskreis« mehr als zehn Jahre lang dafür einge­set­zt, das Gelände in einen Gedenko­rt zu ver­wan­deln. Erst der Abriss der mar­o­den Mil­itär­barack­en erlaubt es, dort eine Gedenkstätte zu erricht­en und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Während das Land Bran­den­burg und die Stadt Fürsten­berg über Jahre erk­lärten, zunächst die Grundbe­sitzrechte am Gelände klären zu müssen, und damit die Umwand­lung verzögerten, brachte eine Kam­pagne der Ini­tia­tive im Jahr 2009 die entschei­dende Wende. Die Stadt Fürsten­berg wün­schte vor weni­gen Jahren noch, eine Umge­hungsstraße zwis­chen den unmit­tel­bar benach­barten Gedenko­rten Uck­er­mark und Ravens­brück zu bauen. »Das entsprach der Bevölkerungsmei­n­ung«, sagt Robert Philipp, der parteilose Bürg­er­meis­ter von Fürsten­berg, um zu recht­fer­ti­gen, dass trotz Ken­nt­nis von der ehe­ma­li­gen Lager­stätte eine solche Bau­maß­nahme in Erwä­gung gezo­gen wurde. Nun sieht er das ehe­ma­lige Konzen­tra­tionslager, wie auch die Gedenkstätte Ravens­brück als touris­tisch nutzbar an. Das Land Bran­den­burg und der Bund stellen eine Mil­lion Euro bere­it, damit die Lager­hallen der sow­jetis­chen Armee bis Ende des Jahres abgeris­sen wer­den kön­nen. Nach mehreren »Run­den Tis­chen« hat sich zudem eine AG Uck­er­mark gegrün­det, in der sich alle zwei Monate Vertreter aller beteiligten Grup­pen tre­f­fen, um ein Konzept für die kün­ftige Nutzung des Gelän­des zu entwickeln.

Das Jugend­konzen­tra­tionslager wurde 1942 in unmit­tel­bar­er Nähe zum Frauenkonzen­tra­tionslager Ravens­brück errichtet. Über­wiegend waren dort Mäd­chen im Alter von 16 bis 21 Jahren inhaftiert. Sie gal­ten als »asozial«, weil sie sich nicht den Nor­men der nation­al­sozial­is­tis­chen »Volks­ge­mein­schaft« anpassten. Ihnen wurde etwa vorge­wor­fen, sex­uelle Kon­tak­te zu Zwangsar­beit­ern zu haben, ohne fes­ten Wohn­sitz zu sein oder der »Swing-Jugend« anzuge­hören. Auch Alko­ho­lab­hängigkeit der Eltern, Arbeitsver­weigerung sowie poli­tis­ch­er Wider­stand und Ablehnung der soge­nan­nten staatlichen Für­sorge waren Gründe für die Ein­weisung. »Wir gin­gen zu Fuß von Ravens­brück nach Uck­er­mark. Wir wün­scht­en uns, dass es ein so schön­er Ort sei, wie er aus­sah, aber das erwies sich als Illu­sion«, berichtete die Über­lebende Stan­ka Simon­eti über ihre Ankun­ft im KZ Uck­er­mark. Bis 1945 waren über 1?000 Mäd­chen in dem KZ interniert, das die Nationalso­zialisten als »Jugend­schut­zlager« beze­ich­neten. Die Mäd­chen kamen haupt­säch­lich aus Deutsch­land und Öster­re­ich, unter ihnen waren aber auch slowenis­che Par­ti­sanin­nen, die in einem Son­derblock ein­quartiert waren. Offiziell sollte der Aufen­thalt der »Erziehung« der »Zöglinge« dienen. Tat­säch­lich bes­timmten mil­itärisch­er Drill und Schikane den Lager­all­t­ag. Die Mäd­chen lit­ten an Hunger und Kälte, durften nicht miteinan­der reden und mussten unter den widrig­sten Umstän­den Zwangsar­beit in Rüs­tungskonz­er­nen, Klein­be­trieben oder bei Pri­vat­per­so­n­en leis­ten. Ab Jan­u­ar 1945 funk­tion­ierten die Nation­al­sozial­is­ten den Ort in ein Ver­nich­tungslager um. Fast 6?000 Frauen aus dem KZ Ravens­brück wur­den in den let­zten Monat­en vor Kriegsende dor­thin ver­legt und durch Kälte, Hunger oder Gift­spritzen ermordet.

Nach der Befreiung wurde das Lager von den sow­jetis­chen Trup­pen mit Hallen für Trans­port­fahrzeuge bebaut. Für die über­leben­den Häftlinge endete die gesellschaftliche Diskri­m­inierung nicht. Sie trafen in Für­sorgeein­rich­tun­gen oft auf diesel­ben Per­so­n­en, von denen sie zuvor im Lager mis­shan­delt wor­den waren. Während andere Konzen­tra­tionslager zu Gedenkstät­ten umge­wan­delt wur­den, dauerte es in der DDR bis 1970 und in der BRD bis 1972, bis das Lager als KZ und die Häftlinge als Ver­fol­gte anerkan­nt wur­den. 1993 ver­ließen die Trup­pen der GUS, des Bünd­niss­es von Nach­folges­taat­en der UdSSR, das Gelände. Seit­dem lag es brach.

Heute fall­en die vere­inzel­ten Hin­weiss­childer und Markierun­gen, die die Topogra­phie des ehe­ma­li­gen KZ kennze­ich­nen sollen, zwis­chen den Über­resten der grauen Beton­barack­en und wild wuch­ern­den Pflanzen kaum auf. Nur ein Gedenkstein, der durch Spenden von Lagerüber­leben­den und anderen Unter­stützern finanziert wurde, hebt sich deut­lich von der Umge­bung ab: Die Stele aus Basalt ist mit leuch­t­end gel­ben Son­nen­blu­men geschmückt. Ohne die 1997 gegrün­dete Ini­tia­tive zur Errich­tung eines Gedenko­rts wären das KZ und die Ver­fol­gten in Vergessen­heit ger­at­en. Die Mit­glieder sorgten dafür, dass die Fun­da­mente der Barack­en, die alte Lager­straße und der Auf­bau des Lagers ken­ntlich gemacht wur­den. In ehre­namtlich­er Arbeit stell­ten die Teil­nehmerin­nen von fem­i­nis­tis­chen, anti­faschistischen Bau- und Begeg­nungscamps Schilder auf, legten Wege an und errichteten Kunst­installationen auf dem Gelände. Bei Aus­grabun­gen wur­den die Fun­da­mente von mehreren Ba­racken freigelegt und Gegen­stände des Lager­all­t­ags gebor­gen. Bun­desweit trat­en Unter­stützerin­nen für die Erin­nerung an die Geschichte des Ortes ein.

Zu den selb­stor­gan­isierten Bau­camps, die jährlich im Som­mer stat­tfind­en, reisen Men­schen aus der ganzen Welt an. Die Camps dienen nicht nur dem Erhalt der Lager­funde, son­dern auch der Begeg­nung von Über­leben­den und Inter­essierten. Überdies ermöglichen sie Diskus­sio­nen über Möglichkeit­en des Gedenkens und der Öffentlichkeit­sar­beit vor Ort. Sowohl die Camps als auch die Ini­tia­tive ver­ste­hen sich als fem­i­nis­tisch und sind nur für Frauen, Les­ben und Transper­so­n­en offen.

»Viele Mäd­chen wur­den in das Lager eingewiesen, weil sie als sex­uell ver­wahrlost gal­ten. Jun­gen wäre das niemals zur Last gelegt wor­den«, sagt Sabto Schlaut­mann, der der Ini­tia­tive ange­hört. Wichtig sei aber eine Herange­hensweise, die unter­schiedliche Diskri­m­inierungs­for­men nicht hier­ar­chisch begreife. So ist die Auseinan­der­set­zung mit der Stig­ma­tisierung als »asozial« der Ini­tia­tive nicht weniger wichtig. Dieses The­ma find­et sich derzeit auch in der Diskus­sion um »Klas­sis­mus«, die Diskri­m­inierung von Men­schen auf­grund ökonomis­ch­er Unter­schiede und man­gel­nder Reflex­ion von Priv­i­legien wieder. Weil die als »asozial« Ver­fol­gten keine Lob­by haben, hat es lange gedauert, bis das ehe­ma­lige KZ als Gedenko­rt anerkan­nt wurde. »Noch heute trauen sich Über­lebende nicht, über ihre Erfahrun­gen hier zu sprechen, weil sie Angst haben, als soge­nan­nte Asoziale diskri­m­iniert zu wer­den«, berichtet Sylvia Degen, ein weit­eres Mit­glied der Ini­tia­tive. Um über ihre Arbeit zum KZ Uck­er­mark zu informieren, baut die Ini­tia­tive derzeit im Antifaschis­tis­chen Pressearchiv und Bil­dungszen­trum (Apabiz) in Berlin ein Archiv auf, das bere­its für die Öffentlichkeit zugänglich ist.

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