Die Angeklagten im Nauen-Prozess versuchen, sich als größtenteils unpolitisch darzustellen. Dabei handelt es sich um organisierte Neonazis, einer von ihnen ist sogar ein vorbestrafter Rechtsterrorist.
Nur aus dem Suff heraus, aus Frust, ohne große Ideen dahinter und bestimmt nicht aus Rassismus – wortreich versuchen die Neonazis aus Nauen und Umgebung, ihre Taten kleinzureden. Fast alle der sechs Männer, die zurzeit vor dem Landgericht Potsdam unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt sind, bemühen sich, ihr Handeln zu bagatellisieren. Hauptanklagepunkt neben etlichen kleineren Taten ist der Brandanschlag auf eine Turnhalle im August 2015 in Nauen, die als Unterkunft für Geflüchtete genutzt werden sollte. Die rassistische Dimension dieser Tat spielt jedoch im Prozess bisher kaum eine Rolle. Staatsanwaltschaft und Richter haken nicht nach, arbeiten Ideologie und Motive der Terrortaten nicht heraus. So droht unpolitisch und als Verfehlung zu wirken, was real hochpolitisch ist.
Alle der sechs Angeklagten beteiligten sich vor und parallel zu ihrer Anschlagsserie im Laufe des Jahres 2015 an den Protesten gegen Flüchtlinge. So liegt es nahe, dass sie ihre Taten als militanten Beitrag zu diesen rassistischen Protesten verstanden. Der NPD-Kader und Hauptangeklagte Maik Schneider mag der Anführer der Gruppe gewesen sein – aktiv und getrieben vom Rassismus waren sie alle.
Im Havelland gibt es eine regelrechte Kontinuität des Terrors. Schon 1992 zündeten zwei Rechte ein Flüchtlingsheim in Ketzin an, 44 dort untergebrachte Menschen befanden sich in Lebensgefahr. Am Ende des späteren Prozesses gegen die Täter erschien dieser Brandanschlag vor allem als eine unpolitische Handlung. Der Richter stellte in seiner Urteilsbegründung nicht etwa den Rassismus als zentrales Tatmotiv heraus, sondern die „unbefriedigte Lebenshaltung“ der Angeklagten.
Einer der Angeklagten im derzeitigen Nauen-Prozess ist Thomas E., geboren 1986. Bei seiner Einlassung vor Gericht unterstrich E., dass er kein sonderlich politisch denkender Mensch sei. An einer Mitgliedschaft in der NPD habe er beispielsweise nie Interesse gehabt. Vor allem sei er ein langjähriger und loyaler Freund des Hauptangeklagten Maik Schneider. Allenfalls habe er mal Flyer verteilt und nahm an einigen Vorbereitungstreffen für Demonstrationen teil. Seinen Farbbeutelwurf auf ein Büro der Linkspartei erklärte er so: Im Anschluss an einen Kneipenbesuch und mit geschätzten acht Halblitern Bier und ein paar Schnäpsen im Blut habe er „die Idee mit den Farbbeuteln“ ganz einfach „lustig“ gefunden. In diesem Zustand, so E., sei „politische Einstellung nicht relevant“ gewesen.
Thomas E. ist bei weitem nicht die Randfigur, als die er sich darstellt. Er ist ein verurteilter Rechtsterrorist, der bei „Freikorps Havelland“ aktiv war. Zwischen 2003 und 2004 überzog die Gruppe die Region mit einer Welle rassistischer Brandanschläge, um das Havelland „von Ausländern zu säubern“. Insgesamt zehn Anschläge auf Imbisse gingen auf ihr Konto. Zu den elf ermittelten Tätern gehörte auch Thomas E. Über mindestens neun Monate war er Mitglied des „Freikorps Havelland“, an zwei Taten war er direkt beteiligt. Wegen Gründung und Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung wurde er 2005 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten zur Bewährung verurteilt.
Auch damals inszenierte sich Thomas E. als unpolitische Randfigur. Nur wegen seiner Freundschaft zum „Freikorps“-Anführer Christopher H. habe er sich an den Anschlägen beteiligt – von der Gründung der Gruppe habe er eigentlich nichts mitbekommen. Er habe seine „Freunde“ nicht verlieren wollen, deren „rechtes Gesabbel“ aber nicht geteilt. Vor Gericht schenkte man ihm weithin Glauben. E. sei „keiner festen rechtsextremen oder ausländerfeindlichen Gesinnung verhaftet“, hieß es in der damaligen Urteilsbegründung.
Seit dem Freikorps-Prozess sind über zehn Jahre vergangen. In der Zwischenzeit hat E. sich auch weiterhin in der Neonaziszene herumgetrieben, die ihn auch zu internationalen Zusammenkünften von Neonazis führte. Unter anderem nahm er 2014 an einem Gedenkmarsch für deutsche und ungarische Soldaten des zweiten Weltkrieges in Budapest teil, zur Ehrung jener, die sich „heldenmütig gegen die bolschewistische Rote Armee“ eingesetzt hätten.
Individuelle Lebens‑, Alkohol- und Drogenprobleme sind keine ausreichenden Erklärungen für die Taten der Neonazi-Gruppe – sie alle eint ein rassistisches Weltbild. Abzuwarten bleibt, ob Richter und Staatsanwaltschaft im laufenden Nauen-Prozess nach den Beweggründen und politischen Werdegängen der Angeklagten fragen. Die Ideologie und damit das Motiv der Gruppentaten gehören offen gelegt.