An diesem Wochenende veranstaltet Ihr im Freiland einen Kongress zu feministischer antifaschistischer Politik. Seit langem wird damit aus Antifa-Kreisen mal wieder eine große inhaltliche Veranstaltung in Potsdam durchgeführt.
Ein solcher inhaltlicher Input ist, gerade nach der starken aktivistischen Mobilisierung des letzten Jahres, die viele jüngere Leute zum ersten Mal in Kontakt mit Antifa gebracht hat, grundsätzlich begrüßenswert und dringend nötig. Und tatsächlich habt Ihr es geschafft, es wird intensiv an den WG- und Kneipentischen dieser Stadt, in den Hausprojekten und auf den Plena der politischen Gruppen über den Kongress diskutiert.
Auch wir haben diese Diskussionen geführt und stellten dabei fest, dass wir einige Ansätze auf der Konferenz für hochgradig problematisch und kritikwürdig halten.
Wir möchten Euch die Kritik daran hiermit zugänglich machen, wissend, dass es besser gewesen wäre, dies früher zu tun und dass Ihr jetzt keine Möglichkeit mehr habt, das Programm zu modifizieren. Wir denken aber, dass die Probleme, die wir ansprechen über den Tag hinaus Bedeutung haben und die Diskussion darum auch nicht an diesem Wochenende aufhören wird.
Wir machen diese Kritik öffentlich, weil wir hoffen, dass aus den Debatten an den WG-Tischen eine gemeinsame politische Diskussion entsteht, die zu theoretischen und praktischen Klärungen führt, auf die eine progressive antifaschistische Politik in dieser Weltgegend aufbauen kann.
Kritikpunkt 1): Jüd_innen, Israel – und Antisemitismus?
Ein Schwerpunkt Eurer Veranstaltung ist die Auseinandersetzung mit dem Judentum, es gibt eine Veranstaltung zu jüdischen Partisaninnen („Kampf bis zum letzten Schuss – Von jüdischen Stadtpartisaninnen und Sprengstoffschmugglerinnen“) einen „Safer/Braver Space für Menschen mit jüdischer Geschichte“, einen Lesekreis zu Antisemitismus und Antifeminismus im Deutschen Kaiserreich und einen Workshop zum Thema „F_antifaschistische Perspektiven jüdischen Lebens ausserhalb der Shoa und israelischer Staatspolitik“, der ganz klar als antizionistischer Workshop, gehalten aus einer linksradikalen israelischen Perspektive, angekündigt wird.
Hieran stoßen uns mehrere Sachen auf. Dass Themen mit Bezug zum Judentum auf einer antifaschistischen Konferenz in Deutschland so eine prominente Stellung einnehmen hat ja nur einen Grund: die im deutschen Massenmord an den JüdInnen Europas gipfelnde antisemitische Geschichte dieses Landes. Aus antifaschistischer Perspektive gäbe es auch aktuell viele Gründe, sich mit dem Thema Antisemitismus zu beschäftigen. Antisemitismus ist das falsche Verständnis vom Kapitalismus, die regressive Verarbeitung der Erfahrung der Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Vergesellschaftung. Als solcher erlebt er aktuell eine Renaissance wenn auf finstere Mächte geschimpft wird, die Politik und Gesellschaft manipulieren würden. Immer öfter werden sie auch benannt: DIE antisemitische Chiffre des 19. und 20. Jahrhunderts, „die Rothschilds“ feiert fröhlich Urständ.
Aber es scheint, dass Antisemitismus für Euch nur Geschichte ist. Es findet sich kein Workshop zu aktuellem Antisemitismus. Und dass in einer Stadt, in der in den 90er Jahren mit der „Nationalen Bewegung“ eine der antisemitischsten militanten Nazigruppen der Nachwendezeit operierte. Die Mitglieder dieser Gruppe wurden Dank der Protektion durch den Verfassungsschutz nie gefasst. Die Landesregierung Brandenburgs versucht aktuell die Aufklärung dieses Geschehens durch den Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss zu torpedieren. Das ist auf Eurer Konferenz kein Thema, ebensowenig, dass in Potsdam der Vorsitzende der antisemitischen Partei Deutsche Mitte aktiv ist oder dass vom Glockenspiel der Garnisonkirche täglich eine antisemitischer Choral in die Gegend schallt.
Stattdessen aber ein Workshop zur Israelkritik. Nun kann und soll die israelische radikale Linke ja den Staat Israel so radikal wie möglich kritisieren. Aber Euch, die Ihr Euch viele Gedanken um Sprechorte, Positionierungen und darum welcher Workshop für welche Menschen offen ist macht, dürfte aufallen, dass das im deutschen Kontext evt. etwas anders aussehen könnte.
Es mutet auch deswegen seltsam an, da es soweit ersichtlich, die einzige Veranstaltung ist, auf der explizit nicht nur die Politik eines anderen Staates, sondern gerade die die Existenz dieses Staates legitimierende Ideologie kritisiert werden soll. Das verwundert uns angesichts des Faktes, dass in unserem unmittelbaren Nachbarland Polen gerade eine zutiefst reaktionäre Regierung die Existenz des Staates mit einer neuen alten Ideologie zu untermauern versucht, zu deren grundlegenden Bestandteilen der Antifeminismus gehört. Zu der Entwicklung in Polen (und Ungarn,….), zum Zusammenhang von nationalistischer Mobilisierung und Antifeminismus, zu den feministischen Kämpfen dagegen (die Demonstrationen in Polen gegen die Verschärfung des Abtreibungsverbotes gehörten zu den größten feministischen Protesten in Europa in den letzten Jahren) keine Veranstaltung. Aber zur Kritik am Zionismus. Das sieht für uns nach doppelten Standards aus und bringt eine Schwerpunktsetzung rüber, die wir für grundlegend falsch halten.
Kritikpunkt 2): Farben, Kritiken, Kulturen
Ein zweites theoretisches Standbein Eurer Konferenz ist offensichtlich ein Ansatz der in den letzten Jahren unter dem Namen „Critical Whiteness“ bekanntgeworden ist. Dabei handelt es sich um ein Bündel von Theorien und Methoden, dass hochgradig umstritten ist. Ihr wollt offensichtlich nicht die Auseinandersetzung über dieses Konzept führen, sondern orientiert Euch bei der Konferenzplanung daran. Wir können hier nicht die Debatte um „Critical Whiteness“ in aller Länge und Breite führen, das würde den Rahmen dieses Briefes sprengen. Wir möchten im Folgenden nur anhand Eurer Programmankündigung auf einige problematische Punkte am Konzept der „Critical Whiteness“ hinweisen.
a) „Weiß“ vs. POC als zentraler Antagonismus
Das Konzept der „Critical Whiteness“ beruht auf der Auseinandersetzung mit dem Fortwirken des auf Kolonialismus und Sklaverei rückführbaren Rassismus in den USA. Zentral dafür ist nachvollziehbarer Weise das Verhältnis von Weißen zu POC (People Of Colour). Die Übernahme dieses Ansatzes in den deutschen Sprachraum geschieht jedoch in der Regel unter Außerachtlassen der spezifischen historischen Voraussetzungen in diesem Teil der Welt.
Der Workshop „Anti-faschismus und Anti-rassismus“ Eurer Konferenz wird z.B. folgendermaßen angekündigt: „Dieser Anti-rassismus/Anti-faschismus Workshop verflechtet die historischen Kontexte von Rassismus mit Faschismus und legt offen, wie diese zwei Systeme der Unterdrückung Hand in Hand gearbeitet haben, um systematische Unterdrückung nicht-weißer Menschen zu fördern und zu erhalten. Durch diesen Workshop, welcher speziell für weiße und als weiß identifizierte Leute designed wurde, werden wir die vielen Wiederholungen dieser Mittel ansprechen und Wege, Rassismus sozial, politisch und zwischenmenschlich zu bekämpfen, bieten und brainstormen.“
Die Dichotomie zwischen Weißen/FaschistInnen auf der einen und POC/Opfern des Faschismus auf der anderen Seite, die hier aufgemacht wird, ist jedoch historisch nicht korrekt, insbesondere dann nicht, wenn wir über den deutschen Faschismus, den Nationalsozialismus reden.
Zum einen war die ganz überwiegende Mehrzahl der Opfer des Nationalsozialismus „weiß“ (selbst wenn man, wie es einige Vertreter_innen der „Critical Whiteness“ tun, Jüd_innen als POC betrachtet, bleibt die Mehrheit der Opfer des Nationalsozialismus „weiß“). Mit dem Generalplan Ost existierte ein rassistisches Programm der Unterdrückung, Kolonisierung und Ausrottung „weißer“ Menschen, der SlawInnen Osteuropas. Der antislawische Rassismus, der für die Geschichte des Rassismus in Deutschland durchaus grundlegend ist, wird von den Vertreter_innen der „Critical Whiteness“ zumeist negiert.
Zum anderen haben verschiedene antikoloniale Bewegungen von POC in Afrika und Asien das Bündnis mit den deutschen NationalsozialistInnen gesucht und manchmal auch gefunden. In Deutschland, das gegen die damaligen Kolonial- und Weltmächte Frankreich und England Krieg führte sahen sie einen Bündnispartner im Kampf gegen eben diese Kolonialmächte. Die Versuche von Mitgliedern dieser Bewegungen mit dem 3. Reich ein Bündnis zu schließen scheiterten in einigen Fällen, führten in einigen Fällen zu eher theoretischer als praktischer Kollaboration, hatten aber auch die unmittelbare Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen zur Folge.
b) „Kulturelle Aneignung“
In letzter Zeit sorgt das Konzept der „Cultural Appropriation“/“Kultureller Aneignung“ für Aufregung in linken und linksalternativen Kreisen. Auch hier habt Euch entschieden, der Propagierung dieses Konzeptes Raum einzuräumen. (Workshop „Kulturelle Aneignung“).
„Kulturelle Aneignung“ an sich beschreibt einen im kapitalistischen Kontext zwangsläufigen Prozess: wo alles Ware und damit handel- und austauschbar wird, werden es auch sakrale und sakralisierte Praxen, die gemeinhin als „Kultur“ verstanden werden. Z.B. hatte ein christliches Kreuz als Anhänger um den Hals getragen einst eine ausschließlich religiöse Bedeutung. Heutzutage kann es sich dabei einfach um Modeschmuck handeln. Im Zuge des „Globalisierung“ genannten Prozesses geschieht dies nun auch mit „Kulturen“ außerhalb Europas. Deren sakrale/sakralisierte Zeichen werden genauso auf den internationalen Markt der Popkultur geworfen, wie es auch dem christlichen Kreuz geschah.(Und auch anderen politisch-kulturellen Symbolen. Wenn aus dem italienischen Partisanenlied Bella Ciao, das an die Toten im Kampf gegen die deutschen Invasoren erinnert ein Partykracher wird, ist das nix anderes.)
Es handelt sich letztlich um einen kulturellen Ausdruck dessen, was Marx und Engels 1848 im Kommunistischen Manifest so beschrieben: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ›bare Zahlung‹. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.“
Die Vertreter_innen des Konzeptes der „Kulturellen Aneignung“ behaupten stattdessen, dies wäre Ausdruck einer fortdauernden kolonialen Ausbeutung/Unterdrückung und glauben, diese Entwicklung ließe sich voluntaristisch verhindern. Mittels moralischer Verbote versuchen sie diesen Prozess aufzuhalten und Insignien wie Dreads, Bindis, traditionelle Kleidungen etc. exklusiv für Menschen aus deren vermeintlichen Ursprungsgesellschaften zu reservieren und deren sakralen Charakter dadurch zu retten. Sie wollen also so gesprochen zurück zu den heiligen Schauern der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut.
Nun könnte man sagen, ok, da wird halt ein gesellschaftliches Phänomen nicht richtig verstanden und falsch kritisiert, was ist jetzt das Problem? Das Problem aus unserer Sicht liegt ganz einfach darin, dass die Verehrung „urspünglicher Kulturen“ und der Kampf gegen ihre Vermischung wunderbar mit dem rechten Konzept des Ethnopluralismus vereinbar sind. Und außerdem haben wir immer gedacht, es gehe beim Feminismus gerade auch darum, traditionelle Kulturen und die ihnen immanenten Herrschaftsmechanismen aufzusprengen.
c) was wir vergessen haben
Im Zusammenhang mit dem zuvor genannten Punkt steht unser letzter Kritikpunkt. Ihr entschuldigt Euch in Eurer Programmankündigung wortreich dafür, dass Ihr den antimuslimischen Rassismus nicht zum Thema Eurer Konferenz gemacht habt und schreibt „Das Ausgrenzen von muslim*ischen Menschen in linken Räumen und aus dem F_antifaschistischen Diskurs haben wir durch unsere Vergesslichkeit in unserem Programm fortgesetzt. Dieses Silencing/“Stumm machen“ von muslimischen F_antifaschisti*innen ist blöd von uns. Wir werden versuchen, das bei zukünftigen Projekten besser zu machen.“
Damit legt Ihr Menschen, die von RassistInnen als (vermeintliche) Muslime diskriminiert und angegriffen werden, auf eine muslimische Identität fest. Ihr ignoriert, dass gerade auch Linke mit einem familiären muslimischen Background evt. von dieser Geschichte lösen wollen und eben keine Muslime mehr sein wollen.
Zum anderen gibt es aus unserer Sicht ja durchaus auch gute Gründe, warum man Menschen, die eine bestimmte Form von muslimischen Glauben praktizieren nicht in linken Räumen haben will. Genauso wie man sich ja auch nicht darum bemüht, Leute, die bestimmte Formen von Christentum praktizieren in linke Räume zu bekommen – im Gegenteil.
Die progressive Antwort auf die rassistische Diskriminierung die (vermeintliche) Muslime hierzulande erfahren, kann aus unserer Ansicht nicht im Abstellen von Religionskritik und dem tiefen Respekt gegenüber religiösen Praxen bestehen, sondern nur im gemeinsamen Kampf für Verhältnisse, in denen die Freiheit der einzelnen Person die Bedingung für die Freiheit aller ist.
Soweit in aller Kürze unsere Kritik. Wir wünschen Euch einen Kongress voller spannender Debatten und freuen uns auf Eure Antwort.
Brigade Poldi Cool
organisiert im Bündnis Madstop
3 Antworten auf „Offener Brief an die Organisator_innen des F_ANTIFA-Kongresses in Potsdam“
toller text! meine gedanken zu diesem kongress werden sehr treffend zusammengefasst. danke!
Blöd nur, dass die Schreiber_innen des Briefes keine Ahnung haben vom Inhalt der Workshops aber zuerst mehr wild rumprollen und sich in elitärer Bildungssprache verlieren. Und so war s wirklich, jenseits von simplifzierten Stereotypen und anderen zu kurzgefassten Denksmustern, insbesonders beim jüdischen Workshops gibt es eine krasse Differenz zwischen dem was oben kritisiert wurde und was dan wirklich passiert ist. https://www.neues-deutschland.de/artikel/1051155.f‑antifaschistische-harmonie.html
naja, der offene brief ist ja vor dem kongress verschickt, da konnten sich die schreibenden ja auch nur auf die programmankündigung und noch nicht auf das geschehen im workshop stützen. aber mich würde mal interessieren, wo du hier ein wildes rumgeprolle und ein sich verlieren in elitärer bildungssprache siehst. kannst du das bitte mal an textbeispielen klarmachen?