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Potsdam: Gedenkkundgebung am 09. November

Gedenken29. Novem­ber 1938. Über­all in Deutsch­land wer­den jüdis­che Ein­rich­tun­gen ange­grif­f­en. Schaufen­ster wer­den eingeschla­gen, Men­schen ver­prügelt und umge­bracht. An vie­len Orten wie hier in Pots­dam bren­nen damals die Syn­a­gogen. Die Reich­s­pogrom­nacht war nur der Auf­takt für ein noch viel größeres Ver­brechen: den zweit­en Weltkrieg und die geplante Ver­nich­tung von Mil­lio­nen von Men­schen in ganz Europa. Der Tod ist ein Meis­ter aus Deutschland.
9. Novem­ber 2015. 77 Jahre danach. Über­all in Deutsch­land gedenken Men­schen der Ereignisse von damals, viele wollen aus der Geschichte gel­ernt haben, wollen eine Welt in der Auschwitz oder ähn­lich­es nicht wieder geschehen könne. Doch nicht alle haben ver­standen, nicht alle gel­ernt, nicht alle sucht­en die Auseinan­der­set­zung. Wenn heute wieder tausende Men­schen gegen Geflüchtete demon­stri­eren, Heime angreifen, Men­schen durch die Städte het­zen, ist klar, dass der Hass und der Ras­sis­mus nicht weg sind. Mit dem Abschwächen der recht­en Bewe­gun­gen Ende der 90er Jahre und dem Rück­zug von eini­gen von ihnen in den Unter­grund erschien das Prob­lem eine Zeit lang mar­gin­al­isiert. Aufmärsche wur­den rei­hen­weise gestoppt, eine faschis­tis­che Hege­monie kon­nte dank entsch­ieden­er Inter­ven­tio­nen durch Bil­dung, linke Sub­kul­tur oder mil­i­tante Angriffe in vie­len Dör­fern und Städten gebrochen werden.
Doch schein­bar plöt­zlich sind sie wieder da. Sie sind viele. Der ganz nor­male Bürg­er ist vorn mit dabei. Es gibt kaum Möglichkeit­en der Auseinan­der­set­zung. Die Argu­mente sind irra­tional. Äng­ste, Gefüh­le oder abstruses­te The­o­rien sind in den Augen der­er ger­ade wahr genug um Geflüchtete anzupö­beln oder anzu­greifen. Parolen die nichts erk­lären, eine Kri­tik durch Angepasste an Allem und am Prob­lem vorbei.
Die Gesellschaft steckt in ein­er Krise. Die Repro­duk­tion­s­möglichkeit­en der kap­i­tal­is­tis­chen Ökonomie stock­en. Nur ein Zeichen davon ist die noch die noch nie dagewe­sene Staatsver­schul­dung, ein Anderes, men­schlicheres die Flucht­be­we­gung von Mil­lio­nen aus der aus­ge­beuteten und ver­armten südlichen Hemis­phäre in den reichen Nor­den. In weit­en Teilen der Welt fehlt zunehmend die Grund­lage men­schen­würdi­gen Lebens. Noch nie waren die Waren­samm­lung und die Pro­duk­tivkräfte so groß; und noch nie war die Verteilung des gesellschaftlichen Reich­tums ungerechter. Niemals war klar­er, dass der Kap­i­tal­is­mus keine angemessene Gesellschafts­form für eine sol­i­darische, selb­st­bes­timmte gerechte Zukun­ft sein kann, nie war klar­er, dass Naturbe­herrschung und tech­nis­che Ratio­nal­ität nicht Reich­tum und Nahrung für alle bedeuten wer­den. Ganz im Gegenteil.
Das Sys­tem hat sich mit sein­er Logik tief in das men­schliche Bewusst­sein einge­bran­nt. Es gibt kein Außen, keine Wirtschaft ohne Tausch. Das Ver­hält­nis zwis­chen den Men­schen und das von Men­sch und Natur ist von Aus­beu­tung und dem Streben nach Mehrw­ert geprägt. Eine radikale Kri­tik daran scheint ver­stellt. Ver­stellt auch durch die Kom­plex­ität der Zusam­men­hänge. Da liegt die Flucht in ein­fache Erk­lärun­gen nahe. Doch nicht nur die dumpfen
Her­ren­men­schen mit ihrer deutschen Über­legen­heit­sphan­tasie ver­fall­en darin, vor allem die sozialen Ver­w­er­fun­gen auf wahlweise Aus­län­der, Kom­mu­nis­ten oder Juden zur pro­jizieren. Auch linke Kri­tik darf sich nicht an der Regierung, an den scheiß; Nazis oder den Banken erschöpfen, sie muss das gesellschaftliche Ver­hält­nis ins Visi­er nehmen, analysieren, in Frage stellen und in der Kon­se­quenz umwälzen.
Novem­ber 1918. In Europa tobt der Erste Weltkrieg. Um Ter­ri­to­ri­um und Ein­flusssphären der impe­ri­alen Län­der zu ver­größern ver­rot­ten Mil­lio­nen in den Schützen­gräben in Ost- und Wes­teu­ropa. Das erste Mal seit Men­schenge­denken töten sich Men­schen nach indus­trieller Logik gegen­seit­ig, die Befehlshaber sprechen dabei von “Mate­ri­alschlacht­en”, weil Unmen­gen von Kriegs- und in ihren Augen Men­schen­ma­te­r­i­al an den Fron­ten ver­heizt werden.
Doch am 9. Novem­ber 1918 ist Schluss damit. Über­all im Deutschen Reich, dem maßgeben­den Aggres­sor dieses Krieges revoltieren wie schon 1917 in Rus­s­land in allen großen Städten die Arbeiter_innen und Sol­dat­en gegen Krieg, Hunger und Kap­i­tal­is­mus. Sie machen Rev­o­lu­tion, viele wollen sich nicht länger aus­beuten und ermor­den lassen und lehnen es auch ab die Men­schen auf der anderen Seite der Front sinn­los abzuschlacht­en. In Deutsch­land wird der Kaiser gestürzt der Krieg been­det und schließlich die Rev­o­lu­tion blutig niedergeschlagen.
97 Jahre später ist heute die Erin­nerung nur noch blass. Eine radikale Linke ist mar­gin­al­isiert in Deutsch­land, eine Arbeiter_innenbewegung, die diesen Namen­ver­di­ent ist nicht in Sicht, jede Revolte wurde inte­gri­ert, jed­er Auf­schrei ist doch wieder ver­s­tummt. Doch der Gedanke nach Verän­derung ist noch nicht erloschen und wir durch die gesellschaftlichen Ver­hält­nisse täglich neu reproduziert.
Jahr ein Jahr aus wird uns die Alter­na­tivlosigkeit herrschen­der Poli­tik ver­sichert. Nur wer arbeit­et und sich aus­beuten lässt hat Anrecht auf Teil­habe am gesellschaftlichen Leben, nur die Ansied­lung und Sub­ven­tion­ierung großer Unternehmen steigert den Kon­sum und verbessert die Lebens­be­din­gun­gen, nur die Dereg­ulierung der Märk­te ver­heißen Wohl­stand und Reich­tum, nur der kap­i­tal­is­tis­che Staat und seine Insti­tu­tio­nen entschei­den was richtig ist und was falsch, Wahlen dienen lediglich zur Legit­imierung nicht zur Mitbes­tim­mung. Doch nichts von alle­dem ist wahr. Die Welt und mit ihr die Men­schheit ste­ht am Abgrund. Die Natur wird in einem unver­gle­ich­lichen Aus­maß verödet, aus­ge­beutet und vergiftet, Tier­arten aus­gerot­tet, obwohl es anders möglich wäre, zer­stört der Men­sch seine eigene Reproduktionsgrundlage.
Es ist höch­ste Zeit dem ein Ende zu bere­it­en. Die Logik des Kap­i­tals hat abgewirtschaftet. Lasst uns gemein­sam ver­ste­hen und hin­ter­fra­gen, lassen wir uns nichts mehr gefall­en, ler­nen wir wieder zu kämpfen! Kap­i­tal­is­mus ist ein
soziales Ver­hält­nis und hat eine blutige und grausame Geschichte. Dies müssen wir uns klar machen! Denn es heißt, diese Geschichte hat ein Anfang und ein Ende!
Kurzfristig müssen wir unsere Apathie Über­winden, den Faschis­ten und i“ch bin ja kein Nazi-aber”-Idiot_innen das Leben schw­er machen und ras­sis­tis­che Het­ze unmöglich machen.
Langfristig bleibt die Aus­sicht: Befre­ite Gesellschaft oder Barbarei!

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