In Rathenow (Landkreis Havelland/Brandenburg) wird seit Wochen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung demonstriert. Die Demonstrationen scheinen bürgerlich. Doch extrem Rechte fachen die Proteste an. Ihr selbsterklärtes Ziel: „Die BRD muss weg“.
Feindbild Bundesrepublik
Eine größere Gruppe Menschen: Männer, Frauen und Kinder, bürgerlich gekleidet, vereinzelt mit Kerzen in der Hand, versammeln sich am frühen Abend, im Schutze der Dunkelheit auf dem Märkischen Platz in Rathenow. Aus einem eben noch andächtigen Treffen entwickelt sich dann aber plötzlich ein Demonstrationszug, aus dem lautstark: „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ skandiert wird und der auch recht schnell handgreiflich gegen jeden wird, der versucht sich ihm in den Weg zu stellen, auch gegen Polizeibeamte. Transparente und Plakate gibt es kaum, Reden werden keine gehalten. Doch Allen ist klar worum es geht: Auflehnen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung. Denn die Aktion auf der Straße ist eigentlich nur noch der letzte Schritt im Protokoll der medial stark beeinflussten Protestkultur der Pandemie-Verharmlosenden. Der entscheidende Prozess des gegenseitigen Gedankenaustausches findet im Socialmedia statt: oft bei Facebook, jedoch immer öfter bei Telegram. „ Freie Brandenburger“ nennt sich dort beispielweise ein brandenburgweites Netzwerk von Pandemieverharmlosern. Die für das havelländische Rathenow zuständige Netzwerk-Untersektion trägt das Kürzel „HVL“ und hat momentan 318 Mitglieder (Stand: 28.12.2021, 9:30 Uhr). Hier wird – im Gegensatz zu den Demonstrationen auf der der Straße – Klartext gesprochen, Strategien ausgetauscht und Aktionen vorab geplant. Einer der dort aktiven Wortführenden aus Rathenow ist Christian Kaiser. Er bringt es auf den Punkt: „Die BRD muss weg“. Und: „Die Proteste müssen von uns angefacht werden“. Sich selber sieht er dabei als „politisch geschulten Deutschen“, dessen Aufgabe es sei „so viele Landsleute wie möglich“ in seine Richtung zu ziehen.
Der „Dritte Weg“ stellt die Systemfrage
Doch Christian Kaiser ist nicht irgendwer. Der Rathenower bekennt sich seit Monaten offen zur neonazistischen Kaderpartei „Der Dritte Weg“. Am 3. Juli 2021 marschierte Kaiser beispielsweise, mit einem T‑Shirt der Partei gekleidet, beim „Tag der Heimattreue“ in Olpe (Nordrhein-Westfalen) mit. Bei einer Corona-Mahnwache am 26. November 2021 in Rathenow trug er außerdem ein Basecap des Dritten Wegs. Am 20. Dezember 2021 filmte Kaiser die Corona-Proteste in Rathenow mit seinem Handy und veröffentlichte das Video unter seinem Namen bei „HVL – Freie Brandenburger“. Wenige Minuten später veröffentlichte „Der dritte Weg“ dasselbe Video inklusive Parteilogo in seinem Telegram-Kanal für Berlin und Brandenburg.
Die Neonazi-Partei hat momentan ein starkes Interesse an die Corona-Proteste anzudocken, sieht sie doch darin die Chance einen Wandel des politischen Systems herbeiführen zu können. Offen wurde bei einem größeren Parteiaufzug am 15. Dezember 2021 in Wittstock (Dosse) die Systemfrage gestellt. Und auch bei ähnlich großen Aufzug der Partei am 23. Dezember 2021 in Wittenberge lautete die Kernparole: „Das System ist gefährlicher als Corona“.
Für die beiden Aufzüge in Nordbrandenburg wurden übrigens zeitweise inaktive extrem rechte Strukturen wieder zum Leben erweckt. Ähnlich erscheint dies auch in Rathenow.
Ein Vorbild für die Corona-Proteste in Rathenow: Das Bürgerbündnis Havelland
Christian Kaisers politische Laufbahn begann nämlich bereits 2015. Damals war er der Anführer des „Bürgerbündnisses Havelland“, einer vermeintlich bürgerlich ausgerichteten Initiative mit klar flüchtlingsfeindlichen Positionen, welche sich an den Aufzügen der PEGIDA in Dresden orientierte und sich wie diese wöchentlich versammelte. Die regelmäßigen Versammlungen in Rathenow zogen damals bis zu 600 Menschen in ihrer Spitzenzeit. Ihr Treffpunkt war der Märkische Platz, wo bereits im November 1989 die wöchentlichen Demonstration des Neuen Forums für Reformen in der DDR, Proteste gegen Rassismus im März 2000 oder gegen die Agenda 2010 im August 2004 stattfanden. „Wir erhoben uns – Gestalt zu sein“ wird der ehemalige DDR Kulturminister Johannes R. Becher auf dem markantesten Gebäude am Platz – dem Kulturhaus – zitiert. Ein Zitat, unter welchem sich viele Protestbewegungen gerne zeigen. Doch keine Bewegung hat sich dort länger öffentlich präsentiert als das „Bürgerbündnis Havelland“. Vier Jahre lang, von 2015 bis 2019, wurde sich dort wöchentlich versammelt und große Teile der Stadt mit dumpfen Rassismus, Verschwörungserzählungen und Reichsbürger-Thesen lautstark beschallt. In dieser Zeit entwickelte sich das „Bürgerbündnis Havelland“ von einer losen Initiative zu einem festen, eingetragenen Verein. Ab 2017 ordnete der Verfassungsschutz Brandenburg den Verein in den Phänomenbereich „Rechtsextremismus“ ein. Christian Kaiser führte das „Bürgerbündnis Havelland“ bis zur offiziellen Vereinsauflösung im Jahr 2019 als Vereinsvorsitzender. Im Protokoll der Gründungsversammlung des Vereines vom 1. Mai 2016 finden sich neben Kaisers Namen aber auch noch zwei weitere Akteure, welche heute bei den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen aktiv sind : Wolfgang H und Ralf Maasch. Während H meist nur zweitrangige Vorstandsämter ausführte und in der Regel nur als ein Art Adjudant des Vorsitzenden wahrnehmbar war, machte Maasch, der innerhalb des Vereins unter anderem für dessen Facebook-Seite (2017) verantwortlich war, eine nicht unbedeutende Parteikarriere.
Die Rolle der lokalen AfD
Ralf Maasch nahm nämlich seit spätestens 2016 an Versammlungen der AfD teil. Im Rahmen der Kommunalwahlen im Mai 2019 wurde er auf einer Wahlliste dieser Partei in die Rathenower Stadtverordnetenversammlung (SVV) gewählt. Daraufhin wurde Maasch Vorsitzender des Ausschusses für Klimaschutz, Umwelt, Ordnung, Sicherheit und Brandschutz. Im Oktober 2019 avancierte er sogar zum Vorsitzenden des AfD Ortsverbandes Rathenow.
Doch auch in diesen Ämtern blieb Maasch vor allem eines: ein Straßenaktivist. Bereits bei den ersten Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen im Mai und Juni 2020 in Rathenow versuchte er gemeinsam mit seinem alten Weggefährten Christian Kaiser Einfluss zu gewinnen. Die zügigen Lockerungen der Bundesregierung ließen die Frequentierung der lokalen Versammlungen jedoch schnell abebben und bedeutungslos werden.
Erst ab dem 26. November 2021 fanden in Rathenow wieder Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen statt. Neben Christian Kaiser gehörte auch Ralf Maasch zu den ersten Politaktivisten, welche sich in die Veranstaltungen einreihten. In den folgenden Wochen mobilisierte Maasch von seinem privaten Facebook-Profil aus mehrfach für die stets unangemeldeten Aufzüge, ebenso wie auch seine Fraktionskollegen aus der SVV, Dirk Przedwojewski und Ingo Willimzig. Vereinzelt flossen in diese zum Teil geteilten Aufrufe auch taktische Überlegungen mit ein, wie beispielsweise „Polizeikräfte der BRD bundesweit an so vielen Punkten wie irgend möglich zu binden“. Ein deutlicher Hinweis, dass die lokale AfD bewusst versucht die öffentliche Ordnung zu destabilisieren und damit auch radikaleren Kräften, wie dem „Dritten Weg“, in die Hände spielt.
Tatsächlich nahmen dann auch einige AfD Funktionäre an den zuvor beworbenen Veranstaltungen teil. Neben Maasch, Przedwojewski und Willimzig, beteiligten sich unter Anderem auch Dr Uwe Hendrich (Vorsitzender der AfD Fraktion in der SVV Rathenow), Gerald Hübner (Vorsitzender der AfD Fraktion im Kreistag Havelland), Daniel Dege (Abgeordneter der SVV Nauen), Torsten Fischer (Vorsitzender des AfD Ortsverbandes Nauen) sowie Felix Niedermeyer (Beisitzer im Landesvorstand der „Jungen Alternative“) an den unangemeldeten Demonstrationen in Rathenow.
Proteste gegen Corona-Politik der Bundesregierung seitens der AfD oder ihrer Akteure sind übrigens auch kein lokales Phänomen. Der Landesvorstand der AfD Brandenburg führt seit Monaten beispielsweise eine eigene Kampagne gegen Corona-Schutzmaßnahmen.
Einflussnahme von „Brandenburg steht auf“
Überregionale Unterstützung erfahren die Rathenower Proteste gegen die Corona-Politik übrigens auch durch die Initiative „Brandenburg steht auf“. Die informelle Vereinigung ist im November 2020 aus dem lokalen Querdenken-Ableger „Querdenken 338 BRB“ entstanden und führt vor allem im Stadtgebiet von Brandenburg an der Havel regelmäßige Aufzüge gegen die Corona-Schutzmaßnahmen durch. Auch Christian Kaiser nahm mehrfach an diesen Versammlungen teil.
Bei den Aufzügen von „Brandenburg steht auf“ kommt es regelmäßig zu Verstößen gegen das Versammlungsgesetz sowie gegen die Corona-Auflagen. Vereinzelt wurden bei Spontanmärschen auch schon Polizeiketten durchbrochen. Wirkliche Konsequenzen hatte dies bisher jedoch für die beteiligten Akteure noch nicht.
Der Initiative steht die AfD de facto als Schutzmacht zur Seite. Parteifunktionäre, vereinzelt auch Landtagsabgeordnete laufen bei „Brandenburg steht auf“ mit. Akteure von „Brandenburg steht auf“ finden sich umkehrt dann auch bei Veranstaltungen der AfD in Brandenburg an der Havel ein.
Im Landkreis Havelland ist „Brandenburg steht auf“ vor allem durch einzelne Akteure, wie zB durch Martin, Maik und Markus W aus Milower Land OT Milow präsent. In dem kleinen Ort bei Rathenow fand am 25. November 2021 auch eine kleine Mahnwache von „Brandenburg steht auf“ statt.
In den folgenden Wochen konzentrierte sich die Gruppe aber vor allem aber auf die Proteste in der havelländischen Kreisstadt Rathenow. Neben Martin, Maik und Markus W aus Milow, reisten dorthin auch die Köpfe von „Brandenburg steht auf“ aus Brandenburg an der Havel: Torsten Veit, Jan T sowie Dennis A und nahmen Einfluss auf den Verlauf der Proteste. Auf Fotos vom 3. Dezember 2021 sind Jan T und Dennis A beispielsweise der Spitze einer Spontandemonstration zu sehen. Auf einem Video vom selben Tag ist weiterhin Markus W zu erkennen, wie er Teilnehmende der unangemeldeten Corona-Mahnwache in Rathenow auffordert, sich der Spontandemo anzuschließen und zwar durch eine Polizeikette hindurch. Sein Handeln erscheint dabei durchaus zielsteuernd.
In der Telegram-Chatgruppe „HVL – Freie Brandenburger“ schreibt er später zB in Bezug auf den Umgang mit der Polizei: „Wir müssen jetzt zeigen das wir viele sind u das wir stärker sind“.
Neonazistisches Kameradschaftsmilieu und NPD ebenfalls präsent
In die informelle Allianz radikaler und extrem rechter Gruppen reiht sich darüber hinaus auch das traditionelle neonazistische Kameradschaftsmilieu aus dem Havelland. Dieses hatte sich Anfang der 2000er Jahre in den Kameradschaften „Hauptvolk“ und „Sturm 27“ zusammen gefunden. Beide Vereinigungen wurden im April 2005 verboten. Die Bestrebungen der Kameradschaften richteten sich, laut Verbotsverfügung, gegen die verfassungsmäßige Ordnung. In den Vereinspublikationen wurden der Nationalsozialismus und dessen Vertreter glorifiziert sowie rassistische und antisemitische Inhalte verbreitet. Darüber hinaus waren Mitglieder der Kameradschaften an diversen Gewalttaten beteiligt.
Trotz des Verbotes blieben die ehemaligen Mitglieder der aufgelösten Vereine als Freundeskreis verbunden. Auch nach 2005 beteiligten sich Akteure der verbotenen Kameradschaften immer wieder an Aufzügen der NPD oder bei Christian Kaisers „Bürgerbündnis Havelland“.
An den Mahnwachen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen ab dem 26. November 2021 in Rathenow beteiligten sich unter anderem folgende, von den Verbotsmaßnahmen 2005 betroffene Ex-Kameradschaftsmitglieder: Claudia M, Frank Peter F, André K, Maurice K, Jens R, Andreas S, Marian S und Michel Müller.
Von diesen hat aktuell aber nur noch Müller ein politisches Amt inne. Er zog 2014 über eine NPD Liste in die Rathenower Stadtverordnetenversammlung ein und wurde 2019 wiedergewählt. Allerdings war Müller nicht der Einzige mit einer NPD Biographie bei den Corona Mahnwachen in Rathenow. An den Veranstaltungen nahmen auch Marcel H (2005 Vorsitzender des NPD Ortsverbandes Rathenow) und Sabrina B (2011 Vorsitzende des NPD Ortsverbandes Rathenow) teil. Ferner beteiligten sich weiterhin auch Dave Trick (Ex-Stadtrat der SVV Neuruppin) sowie Parteifunktionär Pierre B aus Nauen an den Versammlungen.
Die NPD Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ (JN) zeigte sich Anfang Dezember erfreut, dass „immer mehr Bürger den Mut finden sich gegen das herrschende System zur Wehr zu setzen“. Unter Verwendung eines Fotos von den Corona-Protesten in Rathenow wurde außerdem erklärt, dass sich auch in Zukunft in das bundesweite Geschehen eingereiht werde.