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Antifaschismus Geschichte & Gedenken

Sich fügen heißt lügen”

Müh­sam war Vieles: Rev­o­lu­tionär, Utopist, Frei­denker, Anar­chist, KPD- und Rote Hil­fe-Mit­glied, Antikriegsaktivist/Pazifist, Knast- und Wahlkri­tik­er, Antifaschist und Syn­dikalist, ein Indi­vid­u­al­ist mit chro­nis­chem Geld­man­gel, Lebe­mann der schrift­stel­lerischen Bohème, Mit­be­grün­der der Münch­n­er Rätere­pub­lik 1919, anerkan­nter Ver­fass­er von Gedicht­en, The­ater­stück­en und Her­aus­ge­ber und Pub­lizist von Sach­büch­ern, poli­tis­chen Zeitschriften und Auf­sätzen und Humorist.
All diese Lebens­bere­iche und Facetten Müh­sams, die sich noch um einige erweit­ern ließen, zeich­neten seine vielschichti­gen Per­sön­lichkeit aus. Für uns als lib­ertäre Antifaschist*innen erscheinen im Hin­blick auf ein poli­tis­ches Gedenken drei Punk­te jedoch ganz zen­tral für dessen Wirken zu ste­hen: das anar­chis­tis­che, antifaschis­tis­che und freigeistliche Erbe Müh­sams. Denn alles was Müh­sam aus­machte, sah er selb­st als Teil des Weges hin zu einem besseren Leben für alle. Denn so Müh­sam: der “Zweck mein­er Kun­st ist der gle­iche, dem mein Leben gilt: Kampf! Rev­o­lu­tion! Gle­ich­heit! Freiheit!”
Anar­chist: “Sich fügen heißt lügen” bedeutete für Müh­sam in erster Lin­ie für eine herrschafts­freie Gesellschaft einzutreten. In Staat, Kap­i­tal­is­mus, Mil­i­taris­mus und Klas­sen­ge­sellschaft fand er Angriff­spunk­te um gegen Unter­drück­ungsmech­a­nis­men vorzuge­hen. Der rev­o­lu­tionäre Kampf sollte nie für die Men­schen, son­dern immer auf Augen­höhe mit den Men­schen geführt wer­den. Befreiung ver­stand er immer auch als Leben und nicht bloß als Poli­tik. “Sich fügen heißt lügen” trifft jedoch auch auf Müh­sam als undog­ma­tis­chen Anar­chis­ten zu. So gibt es zwar viele Anar­chis­ten sein­er Zeit, auf die er sich bezieht und die ihn bee­in­flussten, doch ließ er sich nie ent­ge­gen sein­er eige­nen per­sön­lichen Überzeu­gun­gen vor einen poli­tis­chen Kar­ren span­nen. “Sich fügen heißt lügen” trifft also Herrschaftsver­hält­nisse in Form poli­tis­ch­er Sys­teme genau­so, wie feste poli­tis­che Ideologien.
Antifaschist: Bere­its 1932 beze­ich­nete Joseph Goebbels Müh­sam als einen “jüdis­chen Wüh­ler”, mit denen man “kurzen Prozeß” machen werde, sobald die NSDAP an der Macht sei. Der frühe Zeit­punkt der Fes­t­nahme und Ermor­dung Müh­sams zeu­gen davon, wie sehr er den Nazis ein Dorn im Auge war und von von seinem nicht uner­he­blichen Ein­fluss in jen­er Zeit. Sein antifaschis­tis­ches Engage­ment als Pub­lizist und Schrift­steller, welch­es sich in den Jahren vor der Machtüber­nahme der Faschis­ten, ver­stärk­te, weisen zudem auf seine enorme Überzeu­gung hin. Was er sich im Laufe seines Lebens, als “sich fügen heißt lügen” auf die Fah­nen schrieb, sollte sich auch am Ende seine Lebens erfüllen. Bis zulet­zt gelang es den Nazis — auch nach 17. Monat­en schwere Folter — nicht, seinen Willen zu brechen.
Freigeist: Lesen wir heutzu­tage diese Aneinader­rei­hung von Charak­tereigen­schaften und Betä­ti­gungs­feldern, die sich noch um Einiges fort­führen lassen ließe, so stutzen wir zumin­d­est für einen Moment. Wider­sprüche und Ungereimtheit­en zeich­nen das Leben Müh­sams aus. Doch das war es, was die vielschichtige Per­sön­lichkeit Müh­sams ausze­ich­nete. Ent­ge­gen jedem Trend und jed­er Norm blieb er eine Insti­tu­tion für sich, nir­gends einzuord­nen, nie­man­dem zuge­hörig, über­all dabei, aber immer er selb­st. Der berühmte Aus­pruch “sich fügen heißt lügen” geht also über das Ide­al klas­sis­ch­er Herrschafts­frei­heit hin­aus und meint zudem, schein­bar Fest­ste­hen­des stets radikal zu hin­ter­fra­gen, um der eige­nen Mei­n­ungs- und Wil­lens­bil­dung wegen. Das prak­tizierte der Einzel­gänger Müh­sam bis zur let­zten Kon­se­quenz an sich selb­st, mit dem Effekt, dass er zeitlebens unbe­quem blieb – von Zeit zu Zeit auch seinen eigen Leuten gegenüber. Die Akzep­tanz sein­er eige­nen inneren Wider­sprüche trieben ihn darin an Wider­sprüche inner­halb sozial-rev­o­lu­tionär­er Strö­mungen von Anar­chis­ten und Kom­mu­nis­ten zu über­winden. Sein Engage­ment galt keinem ide­ol­o­gis­chen Dog­ma, son­dern dem gemein­samen Kampf aller gegen Faschis­mus und für eine bessere, herrschafts­freie und sol­i­darische Gesellschaft ohne Kap­i­tal­is­mus und Ausbeutung.
Und rufen wir euch 80 Jahre nach sein­er Ermor­dung dazu auf, dem ganzen Men­schen Müh­sam, der gelebt hat und dem sein Leben genom­men wurde, am Ort sein­er Hin­rich­tung zu gedenken. 
Antifaschis­tis­che Gedenkdemonstration:
12. Juli 2014 | 13 Uhr | S‑Bhf. Oranienburg
Erich Müh­sam Fest
12. Juli 2014 | 15/16 Uhr | ZUKUNFT am Ostkreuz, Lasker­straße 5, Berlin
www.erichmuehsamfest.de

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