Mit einer Veranstaltungsserie erinnerte das Jugendwohnprojekt (JWP) Mittendrin in den vergangenen Wochen an den gewaltsamen Tod des ehemaligen Lehrers Emil Wendland vor 25 Jahren. Der zum Tatzeitpunkt Wohnungslose war in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1992 im Neuruppiner Rosengarten von Nazi-Skins zunächst überfallen und dann brutal zu Tode malträtiert worden. Obwohl die Tatbeteiligten später gefasst und verurteilt wurden, blieb ein Gedenken an Wendland lange aus. Die Tat selber wurde seitens der Bundesregierung sogar zeitweise nicht als extrem rechtes Tötungsdelikt eingestuft.
Erst die Erinnerungsarbeit des JWP Mittendrin führte auch zu einem offiziellen Gedenken an Emil Wendland. Seit 2012 erinnert beispielsweise eine Gedenktafel am Tatort an den Getöteten und seit 2015 taucht die Tat auch wieder in den staatlichen Statistiken extrem rechter Tötungsdelikte auf.
Im Jahr 2017 rief das JWP Mittendrin ebenfalls zum Gedenken an Emil Wendland auf und organisierte bereits im Mai und Juni mehrere Veranstaltungen die sich mit dem gesellschaftspolitischen Hintergrund der Tat auseinandersetzten und einen Einblick in die Gesellschaft der 1990er Jahre boten.
Den Abschluss dieser Kampagne bildete die Gedenkdemonstration am Samstagnachmittag in Neuruppin, zu der neben dem JWP Mittendrin auch die „Initiative Neuruppiner Antifaschist_innen“ aufrief. An diesem Demonstrationszug, der von einer Privatperson angemeldet wurde und von der Bahnhaltestelle „Westbahnhof“ bis zum Schulplatz führte, beteiligten sich ungefähr 30 Menschen. In der Nähe der Gedenktafel für Emil Wendland wurden zwei Redebeiträge, darunter ein Gastbeitrag des Vereins „Opferperspektive“ aus Potsdam, gehalten und eine Gedenkminute für den vor 25 Jahren Getöteten eingelegt.
Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und Gegenentwurf
Zusätzlich zur Erinnerung an Emil Wendland, dessen Tod offensichtlich die Folge grausamer Menschenverachtung war, übten die Veranstaltenden auch Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, die solche Taten mutmaßlich erst ermöglichen.
Im Aufruf zur Gedenkdemonstration, der auch auf der Internetseite des JWP Mittendrin nachzulesen ist, wird dabei vor allem ein „zutiefst verinnerlichtes, kapitalistisches Konkurrenzdenken“ oder „eine generelle Verachtung, die Menschen erfahren, die nicht zur ´Mehrheitsgesellschaft´ gehören“ kritisiert. „Menschen, welche diesem täglichen Wahnsinn nicht standhalten oder deren Leben durch private Erlebnisse aus den Fugen gerät, laufen Gefahr, bis ans Ende der ´sozialen Leiter´ durchgereicht zu werden“, wo es nahezu unmöglich sei „aus eigener Kraft wieder ´auf die Beine´ zu kommen“, so die Aufrufenden weiter.
Als Antwort darauf bietet das JWP Mittendrin den Versuch eines soziokulturellen Gegenentwurfs, dessen Schwerpunkt in einem sozialen Miteinander, beispielsweise im gemeinsamen Wohnen, liegt. Als Jugendwohnprojekt wendet sich das Mittendrin, gemäß eigener Konzeption, aber auch an Jugendliche aus Neuruppin und Umgebung, die in ihrer Entwicklung insbesondere hinsichtlich der Diskussions‑, Kritik- und Entscheidungsfähigkeit gefördert sowie in Kompromissbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit geschult werden sollen, um letztendlich ihr Selbstbewusstsein zu stärken.
Eine Möglichkeit dafür bietet Projektarbeit, die sich unter anderem in der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Neuruppins, beispielsweise in der Erinnerung an die Tötung Emil Wendlands unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontextes, ausdrückt und somit sowohl Selbstfindung als auch gesellschaftspolitische Meinungskundgabe in Einem bietet.
Neonazis versuchten Gedenken für sich zu reklamieren
Neben dem jährlichen Gedenken an Emil Wendland durch das JWP Mittendrin, hat sich seit 2014 durch das lokale neonazistische Milieu bzw. dessen derzeitigen medialen Sprachrohr, den eng mit der NPD verwobenen „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“, auch ein recht eigenwilliges Erinnern an den brutal Getöteten etabliert. Dabei wird immer wieder behauptet (zuletzt 2016), dass der Tod des Wohnungslosen lediglich in „subkultureller Perspektivlosigkeit“ begründet liege. Gleichzeitig wird der von Nazi-Skins grausam zu Tode gebrachte im typischen NS-Jargon selbst zum „deutschen Volksgenossen“ erhoben und somit das Andenken an den Verstorbenen möglicherweise verunglimpft. Anlass zu Ermittlungen seitens der Strafverfolgungsbehörden hatte dieses bizarre „Gedenken“ jedoch bisher nicht gegeben. Auch die Versammlungsbehörden sahen in den diesbezüglich 2014 bis 2016 durchgeführten Kundgebungen der „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ offenbar nur eine Meinungskundgabe und sprachen bisher keine Versammlungsverbote aus.
Geschützt vom Versammlungsrecht und unlängst durch eine Flugblattaktion unterstellten die Neonazis ihrerseits der „antideutschen Seite“, also in verächtlicher Form indirekt dem JWP Mittendrin als Ideengebenden und bisherigen Haupttragenden des Erinnerns an Emil Wendland , den angeblichen Missbrauch des Getöteten für den „Kampf gegen Rechts“ und Heuchelei. Dem entgegengesetzt präsentieren sich die „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ im Internet durch eine medial aufbereitete, vermeintliche Spendensammlung im Rahmen der „Obdachlosenhilfe“ als eigentliche Wohltuende. Allerdings blieben die Neonazis dabei, soweit bekannt, weitgehend unter sich.
Auf einer Versammlung in der Nähe der Gedenktafel wurde im Jahr 2017, nach bisherigen Erkenntnissen, aber verzichtet.
Stattdessen störten zwei betrunkene, bisher nicht in Erscheinung getretene, aber offensichtlich extrem rechts gesinnte Jugendliche die antifaschistisch orientierte Gedenkdemonstration des JWP Mittendrin mit Neonaziparolen.
Update 02.07.2017, 11:27 Uhr:
In einem Statement bekannten sich die „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ jetzt zu einer Aktion an der Gedenktafel von Emil Wendland. Dem Socialmediabeitrag zu Folge sollen sich die Neonazis bereits am Freitagabend versammelt und mindestens ein Banner mit Themenbezug ausgebreitet haben. Eine Anmeldung dieser Versammlung lag, so weit bekannt, nicht vor. Gemäß der von den „Freien Kräfte Neuruppin – Osthavelland“ in dem Socialmediabeitrag veröffentlichten Bekennerfotos waren mindestens drei Person an der Aktion beteiligt.
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