INFORIOT — Sternsingen fällt hierzulande unter das Brauchtum und ist damit keine genehmigungspflichtige Versammlung oder ähnliches. Warum, wo, von wem oder was gesungen wird, wurde am 06.01. in Potsdam kreativer ausgelegt — die Tradition wurde unter dem Motto “Es gibt kein ruhiges Winterland!” kurzerhand gekapert. Die Aktion fand parallel zum AfD-Landespartei in Rangsdorf statt. Die Stimmen vereinten sich zu einem Protestchor an AfD-bezogenen Orten in der Stadt mit insgesamt vier Stationen, unter anderem dem Wohnhaus von Alexander Gauland oder Lokalitäten, die gerne AfD-Veranstaltungen in ihren Läden ausrichten. Redebeiträge klären über den jeweilgen Kontext auf und wie es Sternsinger_innen nun einmal tun wurde ein “Segensspruch” mit Kreide hinterlassen: 20*FCK+AFD*19.
Neben dem Protest, der guten Laune und dem Sichtbarmachen von AfD-relevanten Orten wurde mit den Liedern antifaschistischem Widerstand und Partisan_innen gedacht. Mit Hilfe der ausgeteilten Liedhefte konnten die Teilnehmenden die Arbeiter_innen- und Partisan_innenlieder — begleitet von Gitarre und Trommel — schnell mitsingen. Zur Stärkung gab es Glühwein und Punsch.
Wohl nicht nur weil einige sich auch verkleidet hatten kam die Aktion gut an. Zahlreiche angesprochene Passant_innen reagierten positiv, einige schlossen sich sogar zeitweise an und sangen mit.
Für die, die nicht dabei sein konnten und sich fragen, wie die Aktion der “Antifaschistischen Sternsinger_innen” es geschafft hat, den Bogen zu Spannen zwischen Gedenken, Protest, Spaß und Anschlussfähigkeit: hier der Redebeitrag der “Antifaschistischen Sternsinger_innen”, der vor dem Wohnhaus von Alexander Gauland gehalten wurde:
Liebe Freundinnen und Freunde, werte Nachbarschaft,
Wir sind die Antifaschistischen Sternsinger_innen und künden Euch von einem Heiland, ähhh …. Gauland, der sich in dieser Gegend niedergelassen haben soll.
Die Rede ist von ihrem Nachbarn Alexander Gauland, seineszeichens Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag. Bekannt durch Hundekrawatte, in Ausnahmefälle auch lediglich in Badehose anzutreffen.
Er bläst gerne zum Jagen, doch am liebsten hetzt er in guter, alter deutscher Tradition.
Denn er ist ein „Konservativer“ — wie er nicht müde wird, zu betonen. Viele seiner Ansichten sind dabei so gut konserviert, dass sie glatt aus den 30er Jahren stammen könnten: So dürften ihmzufolge die Deutschen durchaus Stolz empfinden für die großartigen Leistungen der deutschen Soldaten im ersten und zweiten Weltkrieg. Eine Zeit, die der ältere Herr von Nebenan bekanntermaßen als „Vogelschiss“ in vermeintlichen 1000 Jahren deutscher Geschichte bezeichnete.
Überall im achso christlichen Abendland touren gerade als Könige verkleidete Kinder und Erwachsene durch die Gegend. In Berufung auf kirchliche Mythen ziehen sie von Haus zu Haus und sammeln Geld für milde Zwecke. Nach Sternsingersitte müssten wir jetzt eigentlich klingeln und das Haus segnen, doch das ist mitnichten unsere Absicht. Unsere Botschaft lautet vielmehr: Es gibt kein ruhiges Winterland! Nicht beim Baden, nicht in den eigenen vier Wänden, nicht beim Italiener um die Ecke!
Es mag irritieren wie wir uns hier versammeln, ein paar Lieder trällern und dann doch alles so weiterläuft wie bisher. Unsere Lieder handeln vom antifaschistischen Widerstand früher und heute. Wir gedenken unseren Genossinnen und Genossen, die in diesen Kämpfen ihr Leben gaben. Sie wurden für Ihren Einsatz verfolgt, gefoltert, deportiert, ermordet. Es steht für uns außer Frage, dass wir ihr Gedenken bewahren wollen und nicht das ihrer Mörderinnen und Mörder.
Die Geschichte hat uns gelehrt, dass es keines barbarischen Antlitz braucht, um die Barbarei voranzutreiben. Gauland, von Storch und Co. betonen ihre Bürgerlichkeit in Auftreten und Stil. Doch dahinter steckt die ewig gestrige Botschaft: manche Menschen seien mehr „wert“ als andere. Sie wollen alles ausmerzen, das ihr Weltbild ins Wanken bringt. Als geistige Brandstifter für ausführende Mobs im ganzen Land haben sie sich jetzt schon schuldig gemacht an feigen Anschlägen, Hetzjagden und Morden.
Gauland ist wohl grad nicht hier. An diesem Wochenende findet im nahen Rangsdorf der AfD- Landesparteitag statt. Dort prügeln sich alte und neue AfDler um die begehrten Listenplätze zur anstehenden Landtagswahl. Im Nachbarort Mahlow prügelten von 22 Jahren ihre Gesinnungsgenossen Noel Martin fast zu Tode. Im selben Landkreis gab es erst vor zwei einhalb Jahren einen Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft.
Die beiden Fälle illustrieren: rassistische Gewalt ist kein neues Phänomen und wurde auch nicht durch die AfD hervorgebracht. Doch sie sichert die Kontinuität des Rassismus in Deutschland.
Mit Ihr gibt es nun einen parlamentarischen Arm des Biedermeiertums und des bornierten Hasses.
Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Menschenhasser — mit und ohne Parteibuch — nicht weiter Land gewinnen. Lasst uns gegen sie ansingen und ankämpfen. Damit sie eines Tages sang- und klanglos unter gehen!