POTSDAM. Menschen, die Opfer von Verbrechen geworden sind, sollen künftig in
Brandenburg mehr Hilfe erhalten. Das kündigten Innenminister Jörg Schönbohm
und Justizministerin Barbara Richstein (beide CDU) am Donnerstag auf einer
Konferenz des Landespräventionsrates an. So sollen in den beiden
Polizeipräsidien Potsdam und Frankfurt (Oder), beim Landeskriminalamt sowie
in allen 15 Schutzbereichen Oberschutzbeauftragte eingesetzt werden. Sie
sollen beratende Funktionen innerhalb der Polizei wahrnehmen, aber auch nach
außen Ansprechpartner sein. Richstein kündigte zudem an, für alle bereits
existierenden Opferhilfe-Organisationen einen Arbeitskreis bei ihrem Ministerium ins Leben zu rufen.
MAZ
Mehr Schutz für Opfer von Gewalt
Justiz und Polizei wollen sensibler sein
POTSDAM Opfer von Gewalt in Brandenburg sollen künftig von staatlichen
Stellen besseren Schutz und umfassendere Hilfe erhalten. Das versprachen
Justizministerin Barbara Richstein und Innenminister Jörg Schönbohm (beide
CDU) bei der zweiten Jahrestagung des Landespräventionsrats gestern in
Potsdam. Die Minister bewegten sich damit auf den Spuren etablierter
Privatinitiativen wie dem Verein “Opferperspektive”, der sich seit Jahren
für die Belange von Opfern rechtsextremer Gewalt einsetzt.
“Die Justizpraxis muss deutlicher auf die Wahrung der Opferbelange
ausgerichtet werden”, sagte Richstein und kündigte den Aufbau eines
flächendeckenden Systems von Opferhelfern an. Es müsse verhindert werden,
dass Verbrechensopfer in einem Strafverfahren eine nochmalige seelische
Verletzung erlitten.
Darüber hinaus strebt das Justizministerium eine engere Zusammenarbeit mit
freien Trägern im Bereich des Opferschutzes an. Deren Engagement ist
umfassend und betrifft Kinder als Opfer sexueller Gewalt, von
Menschenhändlern ausgebeutete und erniedrigte Frauen sowie Opfer
rechtsextremer Brutalität.
Die brandenburgische Polizei will sich ebenfalls noch stärker um den
Opferschutz bemühen. Mit einem von der Fachhochschule der Polizei
erarbeiteten polizeilichen Opferschutzkonzept soll eine stärkere
Sensibilisierung für das brisante Thema erzielt werden, teilte Innenminister
Schönbohm mit. Als Ansprechpartner für private Einrichtungen der Opferhilfe
sollen Opferschutzberater in allen Schutzbereichen eingesetzt werden,
erklärte die Leiterin des Schutzbereichs Oberhavel, Ute Intveen-Treppmann.
Die Dimension der Opferproblematik in Brandenburg skizzierte Schönbohm mit
Daten aus der Kriminalitätsstatistik. Von den etwa 244 000 Delikten, die im
vergangenen Jahr registriert wurden, richteten sich 23 400 Straftaten gegen
Personen. Dabei wurden 25 000 Menschen zu Opfern: 5900 Opfer von Gewalt,
2800 Opfer im Straßenverkehr.
Kritik am Verhalten von Politikern äußerte der Vorsitzende des Mobilen
Beratungsteams (MBT) gegen rechtsextreme Gewalt, Wolfram Hülsemann. Er
bemängelte, dass Politiker selbst gelegentlich zu einer zusätzlichen
Beleidigung von Gewaltopfern beitragen. Hülsemann spielte dabei auch auf
eine Bemerkung des Innenministers nach einer Unterredung mit jungen Neonazis
in Cottbus an. “Ein bedeutender Politiker”, so Hülsemann, habe die
Rechtsextremisten damals als vernünftige Gesprächspartner gelobt.
Monat: August 2003
Mit zwölf Klagen gegen die Bundeswehr wollen Gemeinden, Umweltverbände und
Tourismusunternehmen das “Bombodrom” in Nordbrandenburg doch noch
verhindern. Die Bürgerbewegungen “Freie Heide” und “Freier Himmel” schöpfen
wieder Hoffnung.
Die Klagen richten sich gegen die Wiedereinrichtung des einstigen
Truppenübungsplatzes der Sowjetarmee in der Kyritz-Ruppiner Heide als
Luft-Boden-Schießplatz der Bundeswehr. Gegner nennen ihn “Bombodrom”. Ende
Juni/Anfang Juli mussten die Gegner zwei Schlappen einstecken. Erst erklärte
die EU-Kommission in Brüssel, sie sehe keine Verletzung der
EU-Umweltrichtlinie. Kurz darauf kündigte Bundesverteidigungsminister Peter
Struck (SPD) an, nach den Sommerferien den Schießbetrieb wieder aufzunehmen,
nach elf Jahren Pause und elf Jahren Rechtsstreit. Doch in den letzten
Julitagen stellte sich heraus: Die Militärs haben übersehen, den “sofortigen
Vollzug” ihrer Pläne anzuordnen — juristisch ein Versäumnis, das womöglich
den Start der Flugbewegungen hinauszögert.
Am Mittwoch reichten die Anwälte der Gegner des Schießplatzes zwölf Klagen
beim Verwaltungsgericht Potsdam ein, die so lange aufschiebende Wirkung
haben, bis sofortiger Vollzug angeordnet wird. Zuvor schon hatte die
EU-Kommission mitgeteilt, das Verfahren wegen möglicher Umweltschäden erneut
aufzunehmen. Die Bundesregierung hatte Brüssel falsche Zahlen genannt.
Eine Behörde kann die “sofortige Vollziehung” einer Maßnahme anordnen, wenn
dieser Schritt “im öffentlichen Interesse” liegt. Bleibt die Anordnung aus -
wie beim Bescheid des Verteidigungsministeriums an die betroffenen Gemeinden
über die Aufnahme der Bombenabwürfe — haben Widersprüche und
Anfechtungsklagen “aufschiebende Wirkung”. Dann muss erst das Ende des
Rechtsstreits abgewartet werden, was noch einmal Jahre dauern könnte.
Allerdings können Behörden jederzeit die Anordnung “sofortige Vollziehung”
nachholen. Die Bundesregierung hat das bisher nicht getan. Tut sie es,
müsste das Gericht im Eilverfahren die Interessen von Regierung und Klägern
abwägen und entscheiden, ob die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt
werden muss. Anwalt Rainer Geulen (Berlin) sagte bei der Einreichung der
Widersprüche: “Wir sind entschlossen, den Platz mit allen rechtsstaatlichen
Mitteln zu verhindern.”
Im Juni hatte die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission der
Bürgerbewegung “Freier Himmel” mitgeteilt, deren Beschwerde werde nicht der
Kommission zugeleitet, “da keine Verletzung des Gemeinschaftsrechts
festgestellt werden kann”. Die Direktion bezog sich auf Daten der
Bundesregierung, die von 161 Einsätzen mit Übungsmunition pro Jahr
gesprochen und sie 15 000 Einsätzen mit scharfer Munition zur Zeit der
sowjetischen Nutzung gegenübergestellt hatte. Peinlicher Fehler oder
Absicht — tatsächlich hatte die Bundesregierung stets von 1700 Einsätzen im
Jahr gesprochen, wobei ein Einsatz bis zu fünf Anflüge umfasst. Die Anwohner
müssen also mit 8500 Anflügen rechnen. Da der Betrieb an Wochenenden und in
den Sommerferien ruhen soll, wären das mehr als 30 Anflüge am Tag.
Nachdem die Bürgerbewegung auf die falschen Zahlen hingewiesen hat, will die
EU-Generaldirektion erneut prüfen, ob so viele Einsätze in einer der
schönsten Gegenden Deutschlands nahe dem Naturpark Müritz nicht doch gegen
die €päische Umweltrichtlinie verstoßen.
Potsdam — Nachdem zu Beginn der Woche bekannt wurde, dass die Potsdamer
Staatsanwaltschaft erwägt, ein Ermittlungsverfahren gegen Axel Lüdders, den
Chef des Brandenburger Landeskriminalamtes (LKA), wegen Strafvereitelung im
Amt einzuleiten, müssen sich die Potsdamer Strafverfolger nun selbst gegen
den Vorwurf verteidigen, Dienstgeheimnisse verraten zu haben. “Es wird
zurzeit geprüft, ob es Anhaltspunkte für den behaupteten Geheimnisverrat
gibt”, bestätigte gestern Petra Marx, Sprecherin von Justizministerin
Barbara Richstein.
Ein pikanter Vorgang: Denn geäußert hatte diese Behauptung Innenminister
Jörg Schönbohm (CDU) bei einem Hintergrundgespräch mit Journalisten.
Daraufhin hatte sich Frau Richstein mit Generalstaatsanwalt Erardo
Rautenberg zu einem mehrstündigen Gespräch getroffen. Zwar dementierte ihre
Sprecherin gestern, dass die Ministerin hier auf Geheiß ihres Parteifreundes
für Ruhe und Ordnung in dem brisanten Verfahren gegen einen früheren V‑Mann
des Brandenburger Verfassungsschutzes sorgen soll.
“Beide sind übereingekommen, dass es der Bedeutung des Verfahrens
entspricht, wenn der Generalstaatsanwalt künftig über den Sachstand in dem
Verfahren informiert”, sagte Frau Marx. Doch in Wahrheit gehe es darum, dass
Schönbohm mit seiner Bemerkung einen seiner Spitzenbeamten aus der
Schusslinie nehmen wolle, wie es im Innenministerium heißt. Die juristische
Auseinandersetzung, ob es geboten ist, gegen Lüdders ein Verfahren wegen
Strafvereitelung im Amt einzuleiten, weil er die Staatsanwaltschaft
möglicherweise nur unzureichend über den Verrat einer Polizeirazzia in
Brandenburgs militanter Neonazi-Szene informiert hat, gilt dem Vernehmen
nach als “vorgeschoben”. Dieser Streit sei nur “akademischer Natur”.
Denn Lüdders hatte bereits den Generalbundesanwalt über den Verrat der
Razzia informiert. Ausgeplaudert haben soll dies der V‑Mann Christian K.,
gegen den die Potsdamer Oberstaatsanwältin seit Mai wegen Strafvereitelung
ermittelt. Die Akten der Bundesanwaltschaft könnten ohne Probleme für die
Potsdamer Ermittlungen herangezogen werden, wenn es Zweifel gebe, hieß es im
Ministerium.
KZ-Wächter in den USA enttarnt
Oranienburg — “Es wird ohne Anruf geschossen!” Vor 60 Jahren hatte Johann
Hansl, heute 78 Jahre alt, mit dem Maschinengewehr auf den Wachtürmen des
Oranienburger Nazi-KZ-Dreiecks Häftlinge im Visier. Doch erst jetzt hat ihn
seine Vergangenheit eingeholt. Das Office of Special Investigation (OSI) im
amerikanischen Justizministerium hat den gebürtigen Kroaten am 24. Juli
festgesetzt und wird ihm wohl die US-Staatsbürgerschaft aberkennen, die er
sich nach Ermittlungen des OSI-Chefs Eli M. Rosenbaum 1955 erschlichen hat.
Seit 1979 sucht ein OSI-Kommando nach Naziverbrechern, die sich in den USA
festgesetzt haben. Und man ist fündig geworden. 170 Verdächtige gerieten
bisher ins Visier der Fahnder. 71 von ihnen wurden als Nazis enttarnt und 57
von ihnen ausgewiesen. Die Liste reicht von Michael Negele (81), der
Waffen-SS-Mann in Sachsenhausen war und sich 1955 in St. Louis die
US-Staatsbürgerschaft erschlich, bis hin zum SS-Rottenführer Jakob Miling
(78), der in Sachsenhausen und Groß-Rosen (Polen) KZ-Aufseher war. Er wurde
1972 in Cleveland US-Staatsbürger.
John (früher Johann) Hansl ist der jüngste Fall. Der seit 40 Jahren in Des
Moines (Iowa) lebende Mann hatte 1955 bei seiner Einreise aus Salzburg in
die USA seine SS-Laufbahn verschwiegen und nur die Zugehörigkeit zur
Wehrmacht angegeben. Horst Seferens, Stiftungssprecher in Oranienburg,
bestätigt die OSI-Ermittlungen: “Wir haben die Stammkarte von Hansl
gefunden. Daraus geht hervor, dass er im Februar 1943 als Deutschstämmiger
aus Kroatien zur Waffen-SS (Totenkopf) nach Oranienburg kam. Er gehörte bis
Oktober 1943 zur Wachmannschaft.” Danach sei er zum KZ Trawnicki in Polen
versetzt worden. Zum Kriegsende geriet er als Angehöriger einer SS-Einheit
an der Westfront in französische Gefangenschaft.
Hansls amerikanischer Anwalt Jim Benzoni sieht dessen Rolle indes als
“Bewacher am Lagerzaun und kleines Licht”. Auf die Frage, ob sein Klient je
von der Waffe Gebrauch gemacht habe, folgte die Antwort, dass das ja sein
Job bei der SS gewesen sei. Die Staatsbürgerschaft werde man ihm aberkennen
können. Doch bei der Absicht, John Hansl aus den USA abzuschieben, werde es
schon prekär.
Bei der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten wird Hansl eindeutig
eingeordnet: Er sei militärisch und ideologisch in einem SS-Totenkopfverband
ausgebildet worden. In den Lagern, die er bewachte, wurden Häftlinge durch
Arbeit, Folter und Erschießen getötet. Habe sich ein Häftling am
elektrischen Absperrzaun bewegt, sei ohne Warnung geschossen worden.