Die Erkenntnis nach dem versuchten Anschlag in München: Neonazis in den alten und neuen Bundesländern arbeiten eng zusammen
(Süddeutsche Zeitung, 26.09.03) Es stehen seltsame Kreuze an den Straßen Vorpommerns. Die Querbalken weisen schräg nach unten, und nach oben laufen sie spitz wie Pfeile zu. Die Kreuze erinnern an Verstorbene, die hier an den Bäumen zerschellten – sehr spezielle Verstorbene: Rechtsradikale, die alles Christliche ablehnten und nun auch im Tod nicht mit einem christlichen Symbol belästigt werden sollen. An den Bäumen Vorpommerns stehen immer öfter solche hölzernen Runen. Und im Telefonbuch des Städtchens Anklam wirbt der Dachdecker Mirko Gudath mit einer Lebensrune für seine Dienste – für jeden Neonazi sofort als Zeichen der eigenen Szene erkennbar. Gudath ist einer der Anführer der rechtsradikalen Kameradschaft Anklam, im örtlichen Anzeigenblättchen darf „der Jungunternehmer“ für seine Heimatverbundenheit werben und erzählen, dass er „geschichtlich sehr interessiert“ sei – durchaus, an der Heroisierung des Nationalsozialismus nämlich.
Was sich in Anklam zeigt, ist Teil einer Strategie, die „kulturelle Subversion“ heißt und nur eines bedeutet: Rechtsextremisten wollen Einfluss auf die Gesellschaft, auf die Kultur gewinnen – nicht nur Trommel schlagend und mit Koppel und schwarzem Hemd marschierend, sondern auf dem leisen Weg durch die Institutionen. Vor zwei Wochen rief das rechtsradikale Internetforum „Störtebeker-Netz“ seine Anhänger dazu auf, sich als Schöffen zur Verfügung zu stellen. Damit könne jeder Bürger „sein individuelles Rechtsempfinden zumindest teilweise in einen Gerichtsbeschluss einfließen lassen“. Im Klartext heißt das: Neonazis, unterwandert die Gerichte! Und wenn wieder ein Skinhead vor Gericht steht, könnt Ihr dann auf Bewährung und Milde hinwirken. Mittlerweile befürchten die Eltern in Vorpommern, dass Neonazis demnächst in den Schulen mitbestimmen. Viele der rechten Kader haben Kinder, die demnächst in die Schule kommen, und sie werden in die Elternvertretungen streben.
Vorpommern ist nah
Vorpommern ist sehr weit weg von München. Und doch sehr nah. Denn von hier kommt der Anführer der rechtsradikalen Kameradschaft Süd, der 27 Jahre alte Martin Wiese, der in München die Baustelle des jüdischen Gemeindezentrums in die Luft sprengen wollte. Gegen ihn und sechs weitere Beschuldigte ermittelt der Generalbundesanwalt in Karlsruhe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. In Anklam ist Wiese geboren, im nahen Pasewalk aufgewachsen. Hierher und in die nordbrandenburgische Uckermark fuhr Wiese immer wieder zu Besuchen – etwa zur Geburtstagsfeier seines Kumpels Andreas J., gegen den nun von der Generalbundesanwaltschaft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ein Haftbefehl erwirkt wurde. Hier, im Nordosten der Republik, leben die Verdächtigen, die als Wieses Unterstützer bei dem geplanten Bombenanschlag gelten.Von hier kommt das, was bayerische Polizisten „importierte Neonazis“ nennen, die die eher ruhige Szene in München aufgeputscht hätten. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2002 steht, die „Kameradschaft Süd“ mit ihrem Anführer aus dem Osten strebe nach einer „Vorreiterrolle im neonazistischen Spektrum“. Wer genau hinsieht, erkennt, dass die Rechtsradikalen ein dichtes Netz persönlicher Beziehungen über ganz Deutschland gesponnen haben. Nur zufällig saß die Spinne dieses Netzes in München.
Leute aus Wieses Gruppe schlugen bereits in Thüringen zu. Einer seiner mutmaßlichen Waffenlieferanten war Mitglied der NPD und viele in seinem Umkreis standen rechten Bündnissen wie dem „Märkischem Heimatschutz“ oder der „Pommerschen Aktionsfront“ nahe. In München lebten Wiese und sein Freund Alexander Metzing, ebenfalls 27, in einer Wohnung an der Landsberger Straße 106. Metzing kam auch aus dem Osten, aus Luckenwalde in Brandenburg. Die beiden Männer hatten sich hier zwei Mädchen angelacht, die 18 Jahre alte Ramona Sch. aus München und die 17-jährige Monika S. aus Baldham. Die war sogar die Chefin des „Frauenbundes“ der Kameradschaft: Die völkischen Mädels trafen sich regelmäßig in einer Schwabinger Kneipe. Außer den beiden Paaren zählt der Generalbundesanwalt noch drei junge bayerische Männer zum harten Kern der terroristischen Vereinigung: Karl-Heinz St., 23, David Sch., 20, und Johannes Thomas Sch. – der Mann, der den bayerischen SPD-Politiker Franz Maget ausspioniert hatte. Zumindest Karl-Heinz St. und David Sch. hatten intensive Kontakte in die neuen Bundesländer. Die beiden scheinen ein eingespieltes Team zu sein. Sie haben offensichtlich — so fanden der MDR Thüringen und die Süddeutsche Zeitung heraus ‑bereits vor drei Jahren zwei Afrikaner im thüringischen Eisenach überfallen. Karl-Heinz S. war damals zu einem Jahr und zwei Monaten Haft verurteilt worden, David Sch. zu sieben Monaten auf Bewährung. Im Urteil gegen S. hieß es damals: Der Verurteilte werde „mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder gewalttätig und aus seiner Gesinnung heraus weitere Straftaten begehen“.
Interessant ist auch, wen der Generalbundesanwalt als Unterstützer der Münchner Neonazis im Auge hat: Steven Z. und Andreas J. aus dem kleinen Ort Menkin sowie Marcel K. aus dem Örtchen Brüssow. Sie alle sollen Sprengstoff und Waffen nach München geliefert haben. Marcel K. war einige Jahre NPD-Mitglied, wurde aber aus der Kartei gestrichen – er hatte die Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt. Steven Z. fällt dadurch auf, dass ihm der linke Unterarm fehlt – er hatte sich beim Basteln an selbst gesammeltem Sprengstoff den Arm weggesprengt. Zu diesen Waffennarren gehört auch noch ein Mann aus Güstrow, der schon Mitte 50 ist.
Am Dienstagabend berichtete der Fernsehsender RBB in Berlin, Wiese habe am 3. Mai auf einer Geburtstagsparty bereits angedeutet, er wolle den Bau des jüdischen Gemeindezentrums in München mit allen Mitteln verhindern. Seine mutmaßlichen Waffenlieferanten Steven Z. und Marcel K. sollen in einem Bunkergebiet an der polnischen Grenze nach altem Sprengstoff aus dem Zweiten Weltkrieg gebuddelt haben.
Doch es ist nicht das Weltkrieg-II-Material, das die Fahnder so aufschreckt. Es sind die 1,7 Kilogramm TNT, das sich Wiese in Polen besorgt hat. Die Neonazis erzählen in den Vernehmungen zwar, sie hätten das TNT „im Wald gefunden“, doch die Ermittler gehen anderen Spuren nach. Es scheint Verbindungen zu einer kriminellen Szene in Polen zu geben. „Die Nachschublinie ist nicht unterbrochen“, sagt ein hochrangiger Ermittler. „Das ist weiterhin brandgefährlich.“ Denn die Fahnder befürchten, dass aus der Quelle auch noch andere Rechtsextremisten beliefert werden sollten.
„Bunt statt Braun“
Vor allem treibt die Fahnder die Frage um, woher die Neonazis um Wiese das Geld für das TNT hatten. Als Hilfsarbeiter wie Wiese oder als Zimmerer wie sein Kompagnon Metzing verdienen die Neonazis aber auch nicht so viel, um für Tausende von Euro Sprengstoff einkaufen zu können. Am gefährlichsten wäre es, räsonieren Sicherheitsexperten, wenn die Gruppe für jemand anderen die Schmutzarbeit verrichten sollte, der sich selbst die Finger nicht dreckig machen wollte – so jemand könnte dann das TNT kostenfrei zur Verfügung gestellt haben. Die Pläne für den Anschlag waren weit gediehen – offenbar wollte die Gruppe
durch die Münchner Kanalisation an den Ort des geplanten Attentats herankommen.
In Bayern schlugen die staatlichen Stellen auf jeden Fall Alarm. Wiese stand seit Monaten unter genauer Beobachtung. Im Nordosten ist das etwas anders. Dem Verfassungsschutz in Mecklenburg war Wiese nicht bekannt, auch die anderen Unterstützer gelten als unbeschriebene Blätter. In Brandenburg hatte der Verfassungsschutz lediglich von Marcel K., dem ehemaligen NPD-Mitglied, Kenntnis.
Für Günther Hoffmann vom anti-nazistischen Bündnis „Bunt statt Braun“ in Anklam ist das kein Wunder. „Hier gelten Leute erst als Mitglieder der rechten Szene, wenn sie so etwas wie einen Mitgliedsausweis und eine entsprechende Homepage haben“, sagt Hoffmann. In Vorpommern werden Kameradschaften ja auch gerne als Ordnungsfaktor betrachtet. Wo sie sind, geschehen wirklich weniger Straftaten. Hoffmann: „Da entschuldigt sich der Kameradschaftsführer sogar beim Kneipenwirt, wenn seine Leute am Abend davor etwas zerdeppert haben.“ Kameradschaften in Vorpommern veranstalten mittlerweile Kinderfeste und neuerdings sogar Volleyballturniere, dazu gibts Bratwurst. „Es wird um gepflegtes Äußeres gebeten (kein Skinhead-Look)“, steht in der Einladung zum Spiel für den 11. Oktober. „Verbotene Symbole und Parolen sind unerwünscht.“ Vermutlich ist das in Vorpommern dann auch wieder kein Fall für den Verfassungsschutz.