Lange Zeit war es ruhig um die extreme Rechte in der Oderstadt gewesen. Nach einer Reihe von Demonstrationen und Kundgebungen unter dem Motto „Frankfurt (Oder) wehrt sich“ vor rund fünf Jahren gab es lange Zeit keine öffentlich wahrnehmbaren Aktionen der Neonazis mehr. Zu stark schien die ebenfalls rechte Partei AfD in Ostbrandenburg zu sein. Nun will die NPD mit einem reaktivierten Ortsverband Frankfurt (Oder) wieder aktiver werden. Mit dem Thema Kindesmissbrauch hoffen Sie auf Zustimmung in der Bevölkerung.
Kundgebung mit alten und jungen Neonazis
Viel war an diesem Samstagvormittag nicht los. Corona bestimmt immer noch das gesellschaftliche Leben. Nur wenige Menschen strömten aus dem Bahnhofsgebäude in Richtung Innenstadt oder gingen zu den Zügen. Ab 11 Uhr aber versammelten sich vor allem junge Frankfurter*innen auf dem Bahnhofsvorplatz vor dem Hauptbahnhof. Der örtliche NPD-Ableger, der lange Zeit nur auf dem Papier bestand und deren Internetseite jahrelang auf die Webpräsenz der NPD Oderland verwies, meldete sich von den Toten zurück. Mit selbst gemalten Transparenten und Schildern auf denen sich gegen Kindesmissbrauch und härtere Strafen für „Kinderschänder“ ausgesprochen wurde, wirkte die Versammlung spontan und unorganisiert, dennoch fanden sich knapp 70 Menschen zusammen. Es sollte der Anschein erweckt werden, dass es ein Protest Frankfurter Bürger*innen ist. Bei genaueren Hinsehen wurde jedoch klar, dass die Kundgebung alles andere als ungeplant stattfand. Eine größere Gruppe von bekannten Neonazis von der NPD reiste in die Oderstadt, darunter der Landesvorsitzende Klaus Beier. Zwar redeten auch zwei junge Frauen, die unter Tränen von ihren Missbrauchsfällen berichteten, doch diente dies vor allem dazu Betroffenheit zu erzeugen. In Sorge um den angeblich fehlenden Schutz der Kinder nutze Beier die Stimmung, um in einer einstudierten Rede gegen die Grünen, Linke, Ausländer*innen, die Corona-Politik und Polizei zu hetzen, denen er die Schuld für die Zustände im Land gibt. Im Hinblick auf den Tag selbst sprach der NPDler zudem von einem Tag der Schande, denn die Deutschen wären nicht befreit worden, sondern mussten unendliches Leid am Kriegsende erfahren. Kriegsschuld und Holocaust tauchten in Klaus Beiers Rede selbstredend nicht auf.
Anmelder der Kundgebung war der lokale NPDler Siegfried Pauly (auch bekannt als Siegfried Günther). Auch er meldete sich zum Anlass der Versammlung zu Wort. In seinen eher unbeholfenen Redebeiträgen drohte er, dass er und seine KameradIinnen nicht nur reden, sondern auch handeln wollen. Angesichts der zunehmenden extrem rechten Gewalt der vergangenen Jahre ist auch von der gewalt-affinen Neonaziszene in der Stadt nichts Gutes zu erwarten.
Bis 13 Uhr angemeldet wurde die Kundgebung vorzeitig um 12 Uhr beendet. Die meisten der Anwesenden zogen Richtung Innenstadt ab.
NPD Frankfurt (Oder) reaktiviert
Aufgerufen zu der Kundgebung hatte die Facebook-Gruppe „NPD Frankfurt Oder“. Diese existiert erst seit Anfang April und hat derzeit etwa 21 Mitglieder. Einen ersten Stammtisch und Flugblattaktionen haben bereits stattgefunden. Laut Recherchen der Frankfurter Recherchegruppe soll dafür der vorbestrafte Neonazi Siegfried Pauly (Günther) verantwortlich sein, der sich selbst „Siggi Pauly“ bei Facebook nennt. Zuletzt war dieser im Jahr 2017 bei einer Querfront-Kundgebung vor dem Frankfurter Rathaus aufgefallen (Inforiot berichtete). Vor zwei Wochen zogen einige Neonazis unter Führung von Pauly vom Dresdener Platz zur Kleinen Müllroser Straße im Stadtteil Neuberesinchen, um dort vor dem Wohnhaus eines vermeintlichen Sexualstraftäters zu demonstrieren. Gefordert wurde u.a. die „Todesstrafe für Kinderschänder“, eine unter Neonazis beliebte Parole, mit der die Brandenburger NPD schon vor über 10 Jahren durch Brandenburger Städte zog.
Einst hatte die NPD große Erfolge in Frankfurt (Oder) verbuchen können. In den sogenannten Baseballschlägerjahren terrorisierten deren AnhängerInnen die Stadt. 1998 vertrat Jörg Hähnel die Partei im Stadtparlament. Nach dessen Wegzug und Interventionen von Antifaschist*innen Anfang und Mitte der 2000er Jahre trat die NPD immer weniger in Erscheinung. Ihre einstigen Positionen übernahm inzwischen teilweise die AfD um Wilko Möller, der mit einer ähnlich rechten Rhetorik Wahlerfolge in der Region erzielen konnte.
Gegenkundgebung laut und gut sichtbar
Ein Händchen für einen guten Standort des Gegenprotest zeigte diesmal erneut das Bündnis „Kein Ort für Nazis in Frankfurt (Oder)“. Kurz vorher noch bei der traditionellen Kundgebung am sowjetischen Ehrenmal im Gedenken an den „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus“ auf dem Anger, versammelten sich etwa 60–70 Antifaschist*innen auf einen Hügel vor der Handelskammer.
Von dort beschallten sie mit ihren Redebeiträgen und Musik den Bahnhofsvorplatz so laut, dass die Neonazis ihre Redebeiträge teilweise nur schwer verstanden haben dürften. Das fiel auch der Polizei auf, die die Gegenkundgebung daher aufforderte ihre Anlage weg vom Versammlungsort der NPD zu drehen. Ansonsten hatten die eingesetzten Polizeikräfte an dem Tag wenig zu tun. Obwohl bei den Neonazis teilweise keine Masken getragen wurden und Mindestabstände kaum eingehalten wurden beließ es die Polizei bei Ermahnungen.