Mehr als drei Jahre nach dem Baustart der Garnisonkirchenkopie am 29.10.2017 und nach etlichen Verschiebungen wird der erste Prozess gegen einen Garnisonkirchengegner am 4.12.2020 und 18.12.2020 jeweils um 10 Uhr am Potsdamer Amtsgericht in der Hegelallee 8, im Saal 215 stattfinden. Insgesamt sind vier Garnisonkirchengegner angeklagt. Diesen Freitag, am 4.12. wird vor Prozessbeginn um 9 Uhr und vor dem Amtsgericht — unter Berücksichtigung der Corona-AHA-Regeln — zu einer Kundgebung gegen die Garnisonkirchenkopie und in Solidarität mit den Angeklagten eingeladen.
Die Vorwürfe beziehen sich auf den Protest gegen das umstrittene Bauprojekt und reichen von vorgeblichem „Hausfriedensbruch”, „Störung der Religionsausübung”, „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” bis zur „Körperverletzung”. Dabei steht der Vorwurf der „Störung der Religionsausübung” im Fokus, der mutmaßlich von Mitgliedern der Stiftung Garnisonkirche Potsdam (SGP) und der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche (FWG) mittels des Einsatzes eines massiven Polizeiaufgebots zur Anzeige gebracht wurde.
Die Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche, die Martin-Niemöller-Stiftung und der Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam kritisieren die Kriminalisierung des legitimen Protests.
GERD BAUZ vom Vorstand der Martin-Niemöller-Stiftung: „Die Veranstaltung anlässlich des Baustarts war ein Missbrauch von Religion für politische Zwecke an diesem Ort. Die Kritiker/innen spürten den beißenden Widerspruch mehr als sie ihn benennen konnten. Der vorgängige Missbrauch macht ihr Verhalten verständlich. — Nicht Religion wurde gestört sondern deren Missbrauch.”
SARA KRIEG von der Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche fordert: * „die Zurücknahme der Anklage und Anzeigen in allen Punkten * die Distanzierung des Potsdamer evangelischen Kirchenkreises vom Missbrauch der eigenen Religion für politische Zwecke am Ort der Garnisonkirche * dass die Verantwortlichen für den überzogenen Polizeieinsatz zur Rechenschaft gezogen werden, anstatt den Protest zu kriminalisieren”
Die SGP und die FWG sind mitverantwortlich für die Eskalation des Konflikts. Die Demonstrant*innen wurden durch die Veranstalter auf das Baugelände eingeladen, welches sonst hermetisch abgeriegelt ist und mit Kameras überwacht wird. Die öffentliche Baustartfeier wurde offensichtlich in Abstimmung mit dem Veranstalter von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet. Dutzende Bereitschaftspolizist*innen gingen im Verlauf der Veranstaltung durch die Reihen der Besucher*innen. Der erwartete Protest sollte offensichtlich mittels der Polizei unterbunden werden. Ein Dialog war nicht vorgesehen. Es kam zu gewalttätigen Übergriffen von Polizist*innen auf Veranstaltungsteilnehmer*innen, hauptsächlich auf Geheiß von Wieland Eschenburg, dem Kommunikationsvorstand der SGP.
„Anlass für die Veranstaltung war nicht die Ausrichtung eines Gottesdienstes. Es ging schließlich allein um die Baustartsfeier für den Garnisonkirchenturm, ein hoch umstrittenes städtebauliches Projekt. Es ist nicht das erste Mal, dass die Garnisonkirchenstiftung die Form von Gottesdiensten als politische Werbeveranstaltungen missbraucht und dies als Mittel nutzt, um sich immun gegen die politische Auseinandersetzung zu machen.” erläutert CARSTEN LINKE vom Vorstand des antimilitaristischen Förderverein.
SIMON WOHLFAHRT, Vertretungsberechtigter des damaligen Bürgerbegehrens zur Auflösung der Stiftung Garnisonkirche Potsdam, verweist auf die Ignoranz der Wiederaufbaubetreiber*innen: „Wer demokratische Voten¹ und den jahrzehntelangen Widerstand gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche ignoriert, sollte sich über lautstarken Protest nicht beschweren — weder bei der zentralen Baustartsfeier noch bei zukünftigen Veranstaltungen im Rahmen des Wiederaufbaus.”
Die Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche ruft dazu auf, für die Bewältigung der eventuellen Prozesskosten zu spenden. Infos zum Spendenkonto sind per E‑Mail einzuholen: info@ohne-garnisonkirche.de .
¹Seit 2013 belegt die Forderung “Kein städtisches Geld für die Garnisonkirche” im Rahmen des Bürgerhaushalts unangefochten den 1. Platz. 2012 beteiligten sich 8.000 Potsdamer*innen am Bürgerhaushalt, 2019 waren es schon 17.500. Das Bürgerbegehren zur Auflösung der Garnisonkirchenstiftung wurde in damaliger Rekordzeit von 3,5 Monaten von 16.000 Personen unterzeichnet.