Wir haben heute ein Haus in der Stiftstraße 5 in Potsdam besetzt, um auf ein Grundproblem in dieser, aber auch in vielen anderen Städten aufmerksam zu machen und weil wir einen gemeinschaftlichen Wohnraum suchen.
Neuigkeiten bekommt ihr bei Twitter “die_heimkinder” gezwitschert: https://twitter.com/die_heimkinder (Gezwitschert wird seit 27. Dezember hier: https://twitter.com/#!/DieHeimkinder)
In Potsdam steigen die Mieten seit Jahren kontinuierlich an. Die Innenstadt und die durchsanierten Stadtviertel wie Potsdam-West, Babelsberg oder die Nauener Vorstadt sind für Geringverdienende, Studierende, RentnerInnen oder Menschen die mit Hartz IV leben müssen fast unbezahlbar geworden. Ein Großteil der alteingesessenen Bevölkerung hat in den letzten Jahren diese Viertel bereits verlassen müssen und für die Verbliebenen wird der Druck immer größer.
Gleichzeitig ziehen viele besserverdienende Menschen ins „schöne grüne“ Potsdam und tragen damit zu den überhöhten Mieten bei. Dass diese Stadt für einige immer „attraktiver“ wird, wird so für viele andere Menschen zum Problem.
Die einseitig betriebene Stadtumstrukturierung hat dazu geführt, dass Potsdam zu einer prestigeträchtigen Vorzeige-Stadt für Touristen und Besserverdienende geworden ist. Menschen, die nicht mehr in dieses Stadtbild passen, werden in die Randgebiete und Plattenbausiedlungen abgedrängt. Doch sogar dort steigen die Mieten immer weiter an, so dass Potsdam in den letzten Jahren zu einer der Städte mit dem teuersten Wohnraum in Ostdeutschland geworden ist. Die zynischen Vorschläge, doch in eine andere Stadt zu ziehen wenn man sich die Miete hier nicht mehr leisten könne, kommt meist von denjenigen, die von solchen existentiellen Problemen nicht betroffen sind.
Was sind die Folgen?
In Potsdam führten Mietschulden im vergangenem Jahr zu rund 500 Wohnungskündigungen und 150 Zwangsumzügen. Tendenz steigend. Was der Verlust der Wohnung und der damit verbundene Verlust eines Schutz- und Rückzugsraums bedeutet, sollte jedem klar sein.
Ausreichender Wohnraum für eine individuelle Wohnungswahl in der Stadt ist knapp und führt zu einem sehr angespannten Wohnungsmarkt- lediglich etwa 2% der Wohnungen stehen leer (neben der nicht unerheblichen Anzahl leerstehender Häuser außerhalb des Wohnungsmarktes, die größtenteils Spekulationszwecken dienen).
Am Schlimmsten ist die Lage auf dem sozialen Wohnungsmarkt, wo sich 2010 die Zahl der Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen halbierte. In Zahlen heißt das: für 157.000 Einwohner existieren nur etwa 1300 Wohnungen mit „sozialen“ Mietpreisen. Das sind 1,5% von insgesamt etwa 84.000 Wohnungen. Tendenz fallend.
Es gibt unzählige geplante oder bereits realisierte Wohnungsneubauten, welche jedoch wenig bis gar nicht sozial orientiert und an die Bedürfnisse der BewohnerInnen dieser Stadt angepasst sind. Wir reden hier von zentral gelegenen Wohnungen und Eigentumswohnungen wie im Semmelhack-City-Quartier am Bahnhof, in der Speicherstadt oder von Bebauungsplänen auf dem Brauhausberg, deren Mieten oder Kaufpreise sich nur Besserverdienende leisten können.
Das alles ist bittere Realität in Potsdam. Die Betroffenheit von Politik und High Society ist gespielt und unglaubwürdig, da diese Entwicklungen seit Jahren begünstigt werden.
Wir leben gerne in dieser Stadt, doch egal wie viel wir schuften: Die Schmerzgrenze ist erreicht! Wir müssen einen Großteil unseres Einkommens für Miete berappen. Aus eigenen Erfahrungen wissen wir, wie es ist, trotz Arbeit die Miete nach einer Sanierung nicht mehr zahlen zu können.
Das Gefühl der zermürbenden Ungewissheit ist ein ständiger Begleiter geworden. Das immer wiederkehrende Kommentar „Wer es sich nicht leisten kann, muss halt wegziehen“ ist für uns definitiv keine Alternative, da wir uns nicht auf Kosten von Prestige und Kapital aus unserem sozialen Umfeld vertreiben lassen.
Und was können wir tun?
Uns den Wohnraum einfach nehmen, indem wir ein seit einigen Jahren leerstehendes und ungenutztes Haus besetzen und damit zeigen, dass es so nicht weitergeht. Das Haus in der Stiftstraße gehört der Diakonie und wurde zuletzt als Altenheim genutzt. Nun steht es leer, obwohl es in bestem Zustand ist und sofort genutzt werden könnte. Die Logik, die in Potsdam normal ist, nämlich Häuser trotz des angespannten Wohnungsmarktes leer stehen zu lassen, um sie später ohne Probleme (also ohne Mieter) weiternutzen zu können, macht auch vor der kirchlichen Einrichtung Diakonie nicht halt. Während andere die Stadt verlassen, weil sie sich Potsdam nicht mehr leisten können, spielen Immobilienbesitzer alle das gleiche Spiel. Was wäre also ein besserer Termin als Weihnachten, um die Diakonie an ihre soziale Verantwortung zu erinnern. Nicht, dass uns dieses Fest besonders viel bedeuten würde, wir sind aber der Meinung, dass an manchen Stellen die Lüge zwischen Schein und Wirklichkeit der kirchlichen Moral besonders offensichtlich wird und deswegen besetzen wir dieses Haus genau zu Weihnachten. Überhaupt ist es ein guter Termin, um den „moralischen“ Druck auf diejenigen zu erhöhen, die mit Argumenten potentiell erreichbar sind, die Stadt zum Beispiel, oder eben die Diakonie. Immobilienanbieter wie Semmelhack, Kirsch und Drechsler oder Wittfoth funktionieren nach rein kapitalistischer Logik, denn sie kaufen billig und verkaufen teuer, ihnen kann man höchstens härtere Regeln, was Mietobergrenzen angeht, aufzwingen. Wer von den politisch Verantwortlichen würde das aber wirklich wollen? Wenn wir uns anschauen, wer hier geradezu paradiesische Verhältnisse für „Immobilienhaie“ geschaffen hat, wer seit Jahren gute Geschäfte mit wem macht und wer bei Empfängen und Partys der Stadt Potsdam mit wem Sekt trinkt, so wird sich auf politischer Ebene in naher Zukunft wohl eher nichts ändern.
Weltweit erheben sich immer mehr Menschen, um gegen die erdrückenden Zustände zu kämpfen. Sie erkennen, dass die Selbstermächtigung der Schlüssel zu Veränderungen ist. Darauf zu warten,dass „die da oben“ was an den Zuständen ändern werden, ist naiv. Warum sollten diejenigen das System ändern wollen, die davon am meisten profitieren?
Wir haben dieses Haus bezogen, um hier unsere Vorstellungen des Zusammenwohnens zu verwirklichen. Wir werden unser neues Zuhause in Anlehnung an die vorherige Nutzung „Das Heim“ nennen und wie sollte es anders sein, sind wir dann folgerichtig alle Heimkinder.
Wir sind gekommen, um zu bleiben!
Wir fordern die Rücknahme der Pachtzinserhöhung für die betroffenen
Wohnprojekte in Potsdam!
Wir fordern den bedingungslosen Erhalt ALLER bestehenden Projekte, wie die Wagenburg Hermannswerder und La Datscha!
Wir fordern eine Stadt in der wir alle leben können!