Bad Freienwalde — Am Mittwoch, dem 24.Februar 2010 plant vordergründig die so genannte “Kameradschaft Märkisch Oder Barnim“ eine Mahnwache an der Ecke Linsingenstraße-Wriezener Straße, nahe dem Rosencafé, in Bad Freienwalde. Unter dem altbackenen Motto “Härteste Strafen für Kinderschänder“ wollen sie von 08.00 – 09.30 Uhr demonstrieren. Als Anmelder dient der Kreisverband Märkisch-Oderland der “Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“.
Grund zur Mahnwache bietet die Prozessierung eines vermeitlichen Sexualstraftäters aus der Umgebung. Die Anmelder setzen sich dabei aus dem gleichen Personenkreis zusammen wie bereits bei einer ähnlichen Demonstration in Manschnow, Gemeinde Küstriner Vorland, am 12. Dezember 2009. Zu diesem Zeitpunkt schafften es die Organisatoren etwa 30 Personen für ihre Demonstration zu rekrutieren. Wie viel Erfolg sie bei der jetzt geplanten Aktion haben werden ist noch unklar, da das Kooperationsgespräch mit der Polizei noch aussteht. Zudem wird die Mahnwache lediglich von örtlichen Polizeibeamten gesichert.
Das Phänomen der “Anti-Kinderschänder-Bewegung“ in der Neonazi-Szene hat sich in den letzten Jahren stark verschärft. Die Gründe dafür liegen aber nicht, wie auf den ersten Blick zu meinen sein könnte, in der Absicht sich mit Opfern und deren Angehörigen zu solidarisieren, geschweige denn Prävention zu verwirklichen, sondern eher darin, dieses Thema zur Verbürgerlichung der eigenen Ideologie zu nutzen. Die Opfer werden somit einer Instrumentalisierung unterzogen. Dies hat für die Neonazis einige strategische Vorteile.
Gegen “Kinderschänder“ zu sein, bedeutet für das “Volk“ zu sein. Der “Volkszorn“ wird also aufgenommen, Ängste, Befürchtungen und weitere Emotionen werden zum Gewaltaufruf kanalisiert. Etwas anderes verbirgt sich definitif nicht hinter dieser Kampagne. Warum werden nur “härteste Strafen“ beziehungsweise die “Todesstrafe für Kinderschänder“ gefordert und nicht psychologische Prävention, Behandlung der Opfer und die Füllung von Rechtslücken? Die Betrachtung der Problematik aus dieser Sicht gestaltet sich also sehr einseitig.
Trotzdem ist es fast unmöglich für die durchschnittliche Bevölkerung die Gradwanderung zwischen Moral und Heuchlerei zu meistern. Das zeigt besonders das Beispiel an Joachimsthal (Barnim). Der wegen mehrfacher Vergewaltigung von Frauen und Kindern verurteilte Werner K. kehrte nach seiner Entlassung zurück in seinen Heimatort. Hier traten ihm Bürgerinnen und Bürger sowie auch Neonazis entgegen. Bevölkerungsinteresse verschmolz mit rechtsextremer Ideologie, von der es sich im Normalfall fernzuhalten gilt. In Fällen wie diesen ist es für die betroffenen Bewohner aber schwer das Problem objektiv zu betrachten und zwischen Recht und Unrecht zu differnzieren. In blinder Wut über Rechtspannen und ein bürokratiegeschädigtes System fallen immer mehr Menschen auf die rechtsextreme Stimmungsmache hinein. Fakt ist aber, dass nicht mehr dahinter steckt. Denn was Neonazis damit erreichen wollen, ist dass die Bürgerinnen und Bürger in Hinsicht auf ihre Wut und Unzufriedenheit schlussfolgern, dass die anwesenden Neonazis, die scheinbar auf ihrer Seite stehen, für ein besseres System sorgen könnte, wenn man sie ließe.
Dem ist aber nicht so. In der neonazistischen Ideologie ist ein Kind Symbol für die Erhaltung des Volkes, also der eigenen Rasse. Die devise “Härteste Strafen für Kinderschänder“ gilt also nur für “Schänder“ deutscher Kinder. Handelt es sich aber um ein Kind mit Migrationshintergrund, gelten diese Prinzipien bereits nicht mehr. Das zeigt einmal mehr, dass hinter der “Anti-Kinderschänder-Kampagne“ nichts menschliches, sondern nur ideologisches steckt.
Einen weiteren Ansatzpunkt könnte der in der nationalistischen Ideologie hochgehaltene Opfermythos bieten. Der Ideologie folgend sehen sich Neonazis als Teil eines niedergeschlagenen, verratenen Volkes, dem zwar mehr bestimmt aber weniger gegönnt sei. Der Opfermythos ist in der deutschen Geschichte immer wieder zu finden. Zum Beispiel nach dem ersten Weltkrieg als der Abschluss des Versailler Vertrages, der Deutschland die alleinige Kriegsschuld zuschrieb, die Dolchstoßlegende heraufbeschwor. Das Volk wird dargestellt als verraten und geschändet. Ein weiteres Beispiel ist die Bombardierung Deutschlands im zweiten Weltkrieg. Dieser Vorfall wird heute als “alliierter Bombenholocaust“, wie zuletzt am 13. Februar in Dresden und am 15. Februar 2010 in Cottbus, ausgelegt.
Das Thema um Sexualstraftäter ist für die neonazistische Ideologie also eine Möglichkeit das Selbstbild auf die Opfer von Sexualstraftätern zu projezieren. Sie spielen sich als Retter der Kinder und somit als Retter “ihres Volkes“ auf und sie erwarten als genau das von der Gesellschaft angesehen zu werden, wenn auch unbewusst.
Dass es die NPD in diesem Zusammenhang in ihren eigenen Reihen damit jedoch nicht sonderlich genau nimmt, zeigt ein aktueller Vorfall aus Nordrhein-Westfalen. Der 37 Jahre alte Dominique Oster, ehemaliger NPD-Kreistagsabgeordneter und Aktivist der Organisation “Bündnis für Deutschland“, wurde am 26. Januar 2010, nach dem Beschluss des Bonner Landgerichtes, in Untersuchungshaft genommen. Ihm wird vorgeworfen im Zeitraum zwischen 2001 und 2003 die 4‑jährige Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin mehrfach vergewaltigt und missbraucht zu haben. Es bestehe eine akute Flucht- und Wiederholungsgefahr. Ihm werden aber noch weitere Vorfälle zur Last gelegt. So wurde bei der Durchsuchung seines PC´s kinderpornographisches Material sichergestellt. In der Vergangenheit fiel Oster bereits mehrmals in Internetcommunities auf, in denen er sich mit falschen Profilen anmeldete um junge Mädchen zu belästigen. In einem besonders schweren Fall könnte eine weitere Anklage wegen Stalkings folgen, da er ein 15-jähriges Mädchen aus Oldenburg ein Jahr lang verfolgte und belästigte. Außerdem wurde er im Jahr 2005 angeklagt ein 19-jähriges Mitglied der NPD vergewaltigt zu haben. Da die Beweise aber nicht ausreichten, musste man ihn laufen lassen.
Der Siegburger NPD-Mann Dominique Oster ist aber nicht der einzige Kinderpornographie-Liebhaber in der rechtsextremen Partei. Der 30-jährige ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete Matthias Paul war ebenfalls in einen Skandal wegen Besitzes von Kinderpornographie verwickelt und legte damals aufgrund der Vorwürfe sein Mandat nieder. Ein weiteres Beispiel ist der NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs, der nachweislich Verbindungen zur chilenisch-deutschen Sekte “Colonia Dignidad“ in Südchile (Lateinamerika) pflegt. Diese Sekte ist bekannt für Folter, Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern. Erst im Jahr 2006 wurde der damalige Sektenführer in 25 Fällen von Kindesmissbrauch schuldig gesprochen.
All dies zeigt, dass sich hinter den Transparenten, den gewaltverherrlichenden Parolen und den scheinbaren Solidarisierungsversuchen nur eine berechnende und unmenschliche Ideologie steckt, nur hohle Phrasen, die nichts damit zu tun haben wehrlose Kinder zu beschützen.
Wir rufen dazu auf die Mahnwache am 24. Februar mit kreativen Aktionen zu destruieren!