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Potsdam war noch nie eine Stadt für alle – wie andere Städte übrigens auch.

Speziell die Geschichte der Woh­nungspoli­tik seit Beginn des Kap­i­tal­is­mus und vor allem zu Zeit­en des Klassenkampfes in der 1. Hälfte des let­zten Jahrhun­derts zeigt, wie berech­nend und tre­ff­sich­er das Bürg­er­tum das Instru­ment der Stadt­pla­nung genutzt hat, um die Armut der dama­li­gen Arbeit­er­schaft zu zemen­tieren (Armut im Sinne von Auss­chluss von Reich­tum, was wir als wil­lentlichen Prozess sehen). Mitte des 20. Jahrhun­derts war der Klassenkampf ver­loren und die Arbeiter_innen in Sied­lun­gen und Woh­nun­gen unterge­bracht, die – mit weni­gen bzw. vorüberge­hen­den aus­nah­men – dem Bürg­er­tum gehörten – von dem es ger­ade in Pots­dam als preußis­ch­er Beamten­stadt eine Menge gab.

Inzwis­chen ist über ein halbes Jahrhun­dert ver­gan­gen und mit den Gesellschaftssys­te­men haben sich auch die Funk­tion­sweisen der Städte verän­dert. Mit der zunehmenden Glob­al­isierung der Märk­te im Neolib­er­al­is­mus wur­den auch die Städte zunehmend zu unternehmerisch geführten Stan­dorten im Konkur­ren­zkampf um Inve­storen, finanzs­tarke Bewohner­in­nen, Touris­musströme und Großevents. Damit ein­her geht der Aus­bau der Stadtver­wal­tun­gen zu ein­er Art Betrieb und die Neube­w­er­tung städtis­ch­er Eigen­be­triebe und Woh­nungs­bestände mit dem Trend zur Pri­vatisierung und Aus­lagerung unrentabler Bereiche1.

Über­all in den Städten arbeit­en heute Immo­bilien­ver­w­er­tungskoali­tio­nen aus Bau­un­ternehmen, finanzieren­den Banken, und Politiker_innen an Aufw­er­tungsstrate­gien – wobei die „Aufw­er­tung“ sich ger­ade in Pots­dam haupt­säch­lich auf die Inter­essen der Unternehmen und der bürg­er­lichen Ober­schicht bezieht, die in der Regel auch die Politiker_innen stellt. Beispiel­haft ste­hen hier Diskus­sio­nen um das Stadtschloss, Has­so Plat­tners Kun­sthalle, das „Palais Bar­beri­ni“ , die Beze­ich­nung unsaniert­er und damit noch erschwinglich­er Wohnein­heit­en als „Schand­fleck­en“, die Wieder­her­stel­lung his­torisch­er Sich­tach­sen zuun­gun­sten von Wohn­raum, etc.pp.

Kehr­seite dieser neolib­eralen Stadt­poli­tik sind Auss­chlüsse ver­schieden­ster Art, die wir in Pots­dam deut­lich beobacht­en kön­nen. Es find­et ein Aus­tausch sozial niedriger­er Milieus durch sozial höhere statt vor allem in den Innen­stadt­bezirken. Dieser Prozess ist keine Ran­der­schei­n­ung son­dern ein geplanter Regelfall. Die Frage nach Teil­habe an der Stadt­ge­sellschaft stellt sich plöt­zlich nicht mehr nur für Unter­schichtsmit­glieder, (und sowieso für die von zunehmend restrik­tiv­er Ein­wan­derungspoli­tik betrof­fe­nen Migrant_innen, deren dezen­trale Unter­bringung in Pots­dam nach wie vor nicht umge­set­zt wurde), son­dern zunehmend auch für Ange­hörige der soge­nan­nten Gesellschaftlichen Mitte.

Wir ord­nen die heutige Sit­u­a­tion auf dem (Pots­damer) Woh­nungs­markt also ein in eine sys­tem­a­tis­che materielle Abhängigkeit der „normalen“/besitzlosen Bevölkerung von der besitzen­den Schicht, die nicht nur über die Pro­duk­tion­s­mit­tel des gesellschaftlichen Reich­tums ver­fügt, son­dern in den meis­ten Fällen auch über den Wohnraum.

Laut Armuts- und Reich­tums­bericht 2013 ver­fü­gen die 50 Prozent Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung nur über gut ein Prozent des gesamten Net­tover­mö­gens, während die Ver­mö­gensstärk­sten zehn Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Net­tover­mö­gens auf sich vere­inen. Der Ver­mö­gen­san­teil des ober­sten Dezils ist dabei im Zeitver­lauf immer weit­er angestiegen. Die sog. Drit­telge­sellschaft ist eine Lüge2. Der Traum der unteren und mit­tleren Bevölkerungss­chicht­en vom eige­nen Häuschen drückt ihre Sehn­sucht aus, sich vom Prof­it­streben ihrer Vermieter_innen unab­hängig zu machen.

Dass das Eigen­heim auf Kred­it aus dieser klemme nicht raus hil­ft, zeigt der Ver­lauf der aktuellen Weltwirtschaft­skrise: Sie fing als Immo­bilienkrise in den USA an, wo Mil­lio­nen haushalte Kred­ite aufgenom­men hat­ten, um sich ein Eigen­heim zu leis­ten. Die Mehrheit ste­ht jet­zt nicht nur ohne Haus, son­dern noch hochver­schuldet da. Als in Spanien die Immo­bilienkrise geplatzt ist, haben immer­hin nur ¼ der Kred­it­nehmer ihr Haus wieder ver­loren, aber alle sind bei sink­enden löh­nen und steigen­der Arbeit­slosigkeit für Jahrzehnte an die Knebelverträge ihrer Banken gebun­den. Bei uns ist es noch zu keinem solchen Clash gekom­men, aber ein paar Betra­ch­tun­gen zeigen, wie auch hier der Hase läuft:

Die Real­löhne sind in der BRD in den let­zten 15 Jahren kon­tinuier­lich gesunken. Gle­ichzeit­ig gab es einen ver­stärk­ten Angriff auf arbeit­srechtliche Stan­dards der let­zten Jahrzehnte. Die mit­tlere pri­vate Ver­schul­dung nimmt immer weit­er zu. In kaum einem Land der Euro­zone nehmen die Ver­brauch­er so hohe Kred­ite auf wie in Deutsch­land. Im Schnitt ste­ht jed­er Bun­des­bürg­er mit rund 2700 Euro in der Krei­de. Da kön­nen fast nur noch die Zyprer und die Griechen mithalten.

Laut dem Deutschen Insti­tut für Bankwirtschaft3 ist die pri­vate Ver­schul­dung in Deutsch­land von 1994 – 2010 um über 50% gestiegen. Dem gegenüber ste­ht die Miet­preisen­twick­lung. Laut Geset­zge­bung ist eine Mieter­höhung von 20% alle 3 Jahre möglich. Bei Neu­ver­mi­etung ist alles möglich und Bestandsmi­eter wer­den durch indi­vidu­elle Ange­bote ruhiggestellt. Der Miet­spiegel fungiert oft als Preistreiber und die Nebenkosten steigen ständig.

Die Folge ist der Aus­tausch der Bewohn­er­schaft in der Innen­stadt an den Rand und vom Rand in die Periph­erie. Ein immer größer­er Anteil des Einkom­mens geht für miete drauf (bis über 50%), die soziale und emo­tionale Unsicher­heit wächst, nicht nur in Pots­dam son­dern in fast allen größeren Städten wird im Inter­esse pri­vat­en Prof­it­strebens mas­siv verdrängt.

Wir bezweifeln, dass es von Seit­en des Staates, der Län­der und Kom­munen über­haupt ein reales Inter­esse an ein­er Lösung der Woh­nungs­frage gibt.

Wir verurteilen diese Entwick­lung und schließen mit einem Zitat von Kropotkin von 1892: “Es ist ein Bewusst­wer­dung­sprozess, und deshalb wird man das Volk nicht länger glauben machen, das Besitzrecht an Wohnge­bäu­den sei gerecht. Nicht der Eigen­tümer hat das Haus gebaut. Errichtet haben es hun­derte von Arbeit­ern, und sie haben es auch deko­ri­ert und tapeziert. Hunger hat sie auf die Bau­plätze getrieben und die Not sie gezwun­gen, einen viel zu gerin­gen Lohn zu akzep­tieren. Der Prof­it, den der sog. Eigen­tümer aus seinem Haus zieht, ver­dankt sich wiederum aus dem Umstand, dass das Haus in ein­er gepflasterten Straße ein­er beleuchteten Stadt ste­ht, die regelmäßige Verkehrsverbindun­gen zu anderen Städten unter­hält und über Industrie‑, Handels‑, Wis­senschafts- und Kun­stetab­lisse­ments ver­fügt. Dass Brück­en, Haus und Architek­tur­denkmäler die Stadt zieren und sie den Ein­wohn­ern auf Dör­fern unbekan­nten Kom­fort und Annehm­lichkeit­en in tausender­lei Gestalt bietet; das 20 oder 30 Gen­er­a­tio­nen sie wohn­lich, gesund und schön gemacht haben. Wer hätte da das Recht, auch nur die kle­in­ste Parzelle des gemein­samen Erbes irgendwem zu verkaufen?”

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1. Laut Woh­nungs­mark­t­bericht 2011 waren bere­its damals von den 24.000 kom­mu­nalen Woh­nun­gen 1999 über ¼ privatisiert

2. In der BRD ver­di­ent das untere Drit­tel über weniger als 1 % des Ver­mö­gens, das mit­tlere Drit­tel über knapp 20 % des Ver­mgens und das obere Drit­tel über ca. 80 % des Vermögens

3. http://www.deutsches-institut-bankwirtschaft.de/Gaedicke%20private%20Verschuldung.pdf http://www.rechtaufstadt-potsdam.de/2014/10504-potsdam-eine-stadt-fur-alle-oder-nur-fur-wenige.html

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