Opferperspektive — Die rechte und rassistische Gewalt in Brandenburg steigt in diesem Jahr alarmierend. Mit 88 rechten Angriffen, die der Verein Opferperspektive bis Ende Juli registrierte, ist bereits nach 7 Monaten das Angriffsniveau des Vorjahres erreicht (2014 gesamt: 92 Fälle). Von einer hohen Dunkelziffer und von Nachmeldungen ist auszugehen. Das häufigste Tatmotiv ist Rassismus mit 50 Angriffen, weitere 23 Angriffe richten sich gegen politisch Aktive. Nach Kenntnis der Beratungsstelle sind von den Angriffen mindestens 250 Personen direkt oder indirekt betroffen.
Die Schwelle zur Gewalt ist wahrnehmbar gesunken und der überwiegende Teil der Angriffe sind gefährliche Körperverletzungen (37 Fälle) und einfache Körperverletzung (24 Fälle). Darüber hinaus sind Fälle von Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an geplanten Flüchtlingsunterkünften von der Opferperspektive registriert worden.
„Dieses Angriffsniveau vor allem gegenüber geflüchteten Menschen und einen so hohen Anteil an Körperverletzungen haben wir seit langem nicht erlebt. Die Lage ist alarmierend. Anders als im Vorjahr lassen sich keine regionalen Schwerpunkte mehr ausmachen, denn die rassistischen Angriffe werden flächendeckend in Brandenburg verübt,“ fasst die Geschäftsführerin des Vereins Opferperspektive Judith Porath die momentane Situation zusammen.
Angriffe sind Alltag
Die rassistische Stimmung in Brandenburg ist insgesamt stark gestiegen. Beleidigungen, Beschimpfungen und Angriffe erfolgen überall: im Supermarkt, im Wohnumfeld, auf der Straße, am Bahnhof und in der Umgebung von Gemeinschaftsunterkünften. Teilweise werden die Taten von organisierten Neonazis begangen, auffallend ist aber der steigende Anteil an Täter_innen, die sich selbst nicht diesen Strukturen zuordnen.
„Wir erfahren aus Beratungsgesprächen immer wieder, dass Menschen aus Angst vor weiteren Attacken nur noch für die wichtigsten Erledigungen das Haus verlassen. Rassistische Gelegenheitstäter_innen fühlen sich offenkundig durch die allgemeine Mobilisierung gegen Flüchtlinge bestärkt ihre Menschenverachtung und ihren Hass spontan in Gewalt umzusetzen,“ erläutert Judith Porath die bedrohliche Lage für Flüchtlinge.
In Hennigsdorf greift ein Mann Anfang August zwei Asylsuchende mit einer abgeschlagenen Bierflasche an und verletzt sie schwer, einer der Angegriffenen erleidet eine tiefe Schnittwunde nahe der Halsschlagader. Bei den rassistischen Angriffen ist versuchter Totschlag jedoch nur die Spitze des Eisberges:
In Frankfurt/Oder wird eine Gruppe syrischer Flüchtlinge zwei Stunden durch die Stadt gejagt und zusammengeschlagen, Flüchtlinge in Wriezen werden aus einem Auto heraus mit Flaschen beworfen, in Cottbus rammt ein Mann einer schwangeren Frau aus Tschetschenien mehrmals einen Einkaufswagen gegen den Bauch, vor einer Gemeinschaftsunterkunft in Potsdam attackieren Männer aus der benachbarten Autowerkstatt einen somalischen Flüchtling mit Werkzeugen. Neonazis schikanieren in Hennigsdorf den Betreiber eines Imbiss und greifen ihn und sein Personal so häufig an, bis sich keiner mehr für ihn zu arbeiten traut. An einer Bushaltestelle in Cottbus erhält ein Student aus Kamerun mehrere Faustschläge ins Gesicht – das ist nur eine Auswahl der Angriffe der letzten Monaten.
Rassistische Hetze nicht weiter fördern
Der alarmierende Anstieg rassistischer Gewalt in Brandenburg ist nach Einschätzung der Opferperspektive auf die massive Mobilisierung gegen Flüchtlinge in Politik, Medien und in den sozialen Netzwerken zurückzuführen. Lokale Initiativen, oft verwoben mit rechten Organisationen, hetzen gegen Flüchtlinge und organisieren Kundgebungen vor Gemeinschaftsunterkünften. In der Presse bestimmen seit Monaten Szenarien von Notstand die Berichterstattung über Flucht und Asyl und heizen das rassistische Klima an. Politiker_innen und Behörden gießen Öl ins Feuer, indem sie über Flüchtlinge nur als Massenphänomen sprechen und den Eindruck vermitteln, zu viele Menschen suchten in Deutschland Schutz vor Krieg, Verfolgung und Hunger.
„Zeigen Politiker_innen auch noch Verständnis für die ‘diffusen Ängste und Sorgen’ von Rassist_innen und fordern mehr Maßnahmen zur Abschreckung von Flüchtlingen, erinnert uns das an die verheerende ‘Das Boot ist voll’-Rhetorik der 1990er Jahre“, bemerkt Judith Porath von der Opferperspektive.
„Es ist für uns unerträglich, wenn Rassist_innen und Neonazis vor Flüchtlingsunterkünften aufmarschieren und Bewohner_innen einschüchtern und bedrohen können.Es ist unerträglich, wenn Politiker_innen Flüchtlinge verunglimpfen und ihnen massenhaften Asylmissbrauch unterstellen und damit Sozialneid schüren, denn die rassistischen Täter_innen fühlen sich dadurch in ihren Vorurteilen bestärkt“, so Judith Porath weiter.
Vor dem Hintergrund des dramatischen Anstiegs der rassistischen Gewalttaten in Brandenburg fordert der Verein Opferperspektive die Landesregierung auf, alle Maßnahmen zu ergreifen der rassistischen Stimmung entgegenzuwirken und klare solidarische Signale für die Aufnahme von geflüchteten Menschen in Brandenburg zu setzen. Dazu gehört es unabdingbar, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, ihnen das Ankommen durch begleitende Programme zu ermöglichen und vor allem für ihren Schutz vor Gewalt und Bedrohungen zu sorgen.
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