Am Donnerstagabend protestierten ungefähr 100 Menschen in Hör- und Sichtweite gegen eine Kundgebung der vermeintlichen „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Neuruppin (Landkreis Ostprignitz-Ruppin). Die Proteste wurden vor allem von der regionalen Zivilgesellschaft getragen. Veranstalter war die Initiative „Neuruppin bleibt bunt“, unterstützt vom „Aktionsbündnis Brandenburg“. Auch Mitglieder von „Bündnis 90 – Die Grünen“ und der Partei „DIE.LINKE“, darunter die Bundestagsordnete und Brandenburger stellvertretende Landesvorsitze Dr. Kirsten Tackmann. Die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ hatte ihrerseits ungefähr 110 Sympathisierende nach Neuruppin mobilisiert, davon allein ca. 40 Personen aus dem benachbarten Landkreis Havelland. Grund für die, für Neuruppiner Verhältnisse, starke Frequentierung einer Versammlung der blauen Partei, war vermutlich der angekündigte Auftritt des umstrittenen Thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke. Darüber hinaus nutzte aber auch der lokale Parteifunktionär Michael Nehls die Versammlung, um für seine Bundestagskandidatur zu werben.
Wahlkampf mit dumpfen Parolen
Auch wenn sich die AfD im Allgemeinen als „bürgerlich“ sieht oder gegebenenfalls als „bürgerlich patriotisch“, wie Björn Höcke am Donnerstagabend in Neuruppin, nutzen einzelne Funktionäre immer wieder Slogans, die neonazistischen Organisationen, wie der NPD, ähneln.
Michael Nehls forderte beispielsweise während seines Redebeitrages u.a. „Deutschland den Deutschen“ und lehnte sich dabei möglicherweise an die „nationaldemokratische“ Parole „Deutschland uns Deutschen“ an. Eine Variante dieses Slogans hat übrigens auch die Partei „Die Rechte“ im Programm. Dort heißt es: „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Die Wortgruppe in letzt genannter Form wurde übrigens auch von einem rassistischen Mob verwendet, der vor fast auf den Tag genau vor 25 Jahren in Rostock-Lichtenhagen pogromartige Ausschreitungen gegen eine Unterkunft für Asylsuchende entzündete. Auch Nehls macht aus seiner Abneigung gegen „Geflüchtete“ keinen Hehl, nennt sie in seiner Rede „Asylschmarotzer“ oder bezeichnet sie auf seinen Wahlplakaten als „Asylbetrüger“.
Allein als Ein-Themen-Partei, sah sich die AfD jedoch nicht, und positionierte sich am Donnerstagabend auch zur so genannten „Frühsexualisierung“, zum Islam, für mehr Volksentscheide und natürlich gegen ihr Lieblingshassobjekt: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Für Björn Höcke gab es anscheinend auch erhebliche Zweifel am derzeitigen funktionieren des demokratischen Grundaufbaus der Bundesrepublik. „Diese Demokratie ist im letzten Degenerationsstadium“, so der Thüringer AfD Fraktionsvorsitzende. Seiner Ansicht nach, handele es sich bei der jetzigen Herrschaftsform um eine „Ochlokratie“ und bezog sich dabei, ganz der Lehrer, auf den griechischen Historiker Polybios. Offensichtliche Anknüpfungsmuster an extrem rechte Ideologiefragmente, wie etwa bei seiner Dresdener Rede im Januar 2017, als er das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als „Denkmal der Schande“ bezeichnete, vermied Höcke, aber. Dennoch wurde sein Redebeitrag von seinen „Fans“ begeistert aufgenommen.
Gastredner Höcke zog vor allem extrem rechte Sympathisierende der AfD
Zugereist waren vor allem Mitglieder und Sympathisierende der extrem rechten und im Brandenburger Verfassungsschutzbericht 2016 namentlich erwähnten Vereinigungen oder vereinsähnlichen Strukturen „Bürgerbündnis Havelland eV“ und „PEGIDA Havelland – Bürgerinitiative iG“. Dabei handelte es sich um ungefähr 20–30 Personen. Beide Organisationen pflegen enge Kontakte zu lokalen Strukturen der „Alternative für Deutschland“ im Landkreis Havelland. Der derzeitige havelländische AfD-Kreistagsabgeordnete Gerald Hübner aus Schönwalde-Glien, der am Donnerstagabend ebenfalls in Neuruppin anwesend war, trat beispielsweise mehrfach bei Versammlungen der „PEGIDA Havelland“ als Redner auf. Aufgrund seiner dortigen Ausführungen wurde der Kriminaltechniker u.a. durch seinen Arbeitgeber, dem LKA Berlin, abgemahnt. Allerdings hatte die Abmahnung nur bis Mai 2017 bestand, da seine Äußerungen, laut einer Güteverhandlung am Arbeitsgericht Berlin, keine strafbaren Inhalte hatten. Unbestritten bleibt jedoch, dass „PEGIDA Havelland“ während ihrer drei bisherigen öffentlichen Veranstaltungen in Schönwalde-Glien zu einem nicht geringen Teil extrem rechte und neonazistische Klientel aus „Identitärer Bewegung“, „Freien Kräften“ und NPD anzog.
Neben extrem rechten Havelländer Sympathisierenden der AfD reiste zur Kundgebung am Donnerstagabend in Neuruppin auch eine 15-köpfige Berliner Delegation an, die regelmäßig an Versammlungen der islam- und asylfeindlichen Vereinigung „Bärgida eV“ sowie der extrem rechten „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ nahe stehenden Initiative „Wir für Deutschland“ teilnimmt.
Vereinzelt gaben sich auch jugendliche Neonazis durch entsprechendes Outfit, so genannte „Bekennershirts“ oder szenetypische Modemarken, sowie durch einschlägige Symbolik, wie beispielsweise „Schwarze Sonne“-Tattoos zu erkennen. Zwei Personen präsentierten auch die Schwarz-Weiß-Rote Reichsfahne. Verbotene Kennzeichen wurden allerdings nicht gezeigt.
Kraftvoller Protest
Die Ankündigung einer Kundgebung mit Björn Höcke als Redner hatte jedoch nicht nur Freunde der AfD auf den Neuruppiner Schulplatz mobilisiert. Auch die lokale Zivilgesellschaft, die sich unter dem Label „Neuruppin bleibt bunt“ engagiert, hatte sich angekündigt. Ihr waren die Annäherungsversuche des AfD Politikers an extrem rechte Positionen nicht entgangen. „Neuruppin bleibt bunt“ bzw. dessen Sprecher Martin Osinski hatte deshalb bereits im Vorfeld angekündigt, es „nicht unkommentiert (zu zu)lassen, wenn Bernd Höcke wieder (bis) an die Grenze zur Volksverhetzung geht“. Wobei der Austausch des Vornamens, offenbar beabsichtigt war. Über „Bernd“ statt „Björn“ Höcke zu schreiben oder zu sprechen, hat sich mittlerweile zu einem medialen Running Gag entwickelt. Dennoch sollte mit dem Protest auch ein ernsthaftes Anliegen zum Ausdruck gebracht werden. „Wer Meinungsmache auf Kosten von Menschen treibt, dem zeigen wir die Rote Karte“, stellte Karoline Waack, Flüchtlingskoordinatorin des Ev. Kirchenkreises Wittstock-Ruppin, bereits ebenfalls im Vorfeld klar. Abgetrennt durch eine Polizeiabsperrung, aber dennoch in Hör- und Sichtweite, gaben die Sympathisierenden von „Neuruppin bleibt bunt“ sehr laut und deutlich, mittels Trillerpfeifen oder Plakate mit Aufschriften, wie „Bunt statt Grauland“ oder „Die Linke – Entschieden gegen rechte Hetze“, ihre Meinung zur AfD und ihre Funktionäre kund. Weiterhin wurden mehrere Transparente mit den Aufschriften: „Refugees Welcome“ und „EkelhAfD“ gezeigt. Ein weiteres Transparent mit dem Slogan: „Neuruppin bleibt bunt – Schluss mit dem rechten Spuk“ war zudem in Blickrichtung der AfD Sympathisierenden an einem Gebäude angebracht.
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