INFORIOT Der Cottbusser Rechtsanwalt Olaf Klemke verteidigt im Münchener NSU-Prozess bekanntlich den Angeklagten Ralf Wohlleben. Zum Wohlleben-Verteidigungsteam gehören dazu das ehemalige NPD-Mitglied Nicole Schneiders, der ehemalige “Wiking-Jugend”-Anführer Wolfram Nahrath und aushilfsweise auch der (ebenfalls in Cottbus ansäßige) Neonazi Maik Bunzel.
Klemke, Schneiders und Nahrath haben am Mittwoch (25. Januar) im Prozess einen Beweisantrag gestellt, der vor neonazistischer Ideologie trieft. Ein Sachverständiger möge bestellt werden, so der Antrag, um festzustellen, dass das deutsche Volk dabei sei, auszusterben. Schuld seien Zuwanderung und Geburtenrate. Bei Wohlleben wurde einst ein Feuerzeug gefunden, auf dem die Parole “Volkstod stoppen” gedruckt war. Laut Beweisantrag sei diese Parole nicht als “ausländerfeindlich” zu werten, sondern nichts als die Wahrheit: Sich für den Erhalt seines Volkes […] einzusetzen ist nicht nur verfassungsrechtlich garantiert sondern erlaubt es auch, sich gegen das allmähliche Verschwinden seines Volkes und sich dabei auch gegen einen massenhaften Zuzug von Nichtdeutschen zu wenden. Dies ist weder „rassistisch”, auch nicht „institutionell rassistisch”, was immer diese politischen Totschlagbegriffe auch beinhalten mögen, sondern folgt zwanglos jener verfassungsgemäßen Pflicht zur Identitätswahrung. […] Aus der Parole „Volkstod stoppen” kann nach alledem nicht auf eine ausländerfeindliche Einstellung des Herrn Wohlleben geschlossen werden, schon gar nicht auf einen auf Tötung von Ausländern gerichteten Hass.
Die Rede vom “Volkstod” ist eines der zentralen Schlagwörter im derzeitigen militanten Neonazismus. Die entsprechende “Volkstod”-Kampagne wurde von den brandenburgischen “Spreelichtern” gestartet. Der 2012 verbotenen Gruppierung stand ausgerechnet der Cottbusser Anwalt und Wohlleben-AushilfsverteidigerMaik Bunzel nahe — unter anderem als Musiker für das Neonaziprojekt “Hassgesang”.
So deutlich wie mit dem aktuellen Beweisantrag hat die Verteidiung im NSU-Prozess bisher selten erkennen lassen, dass sie selbst neonazistischem Gedankengut nachhängt. Der Beweisantrag wurde im Gerichtssaal von Olaf Klemke vorgetragen. Aus Protest gegen diese Propaganda verließen etliche Nebenklage-Vertreter*innen den Verhandlungssaal.
Nebenklägervertreterin Seda Basay-Yildiz kommentierte: „Logische Konsequenz dessen, was in diesem Antrag vertreten wird, ist die millionenfache Vertreibung von Menschen aus Deutschland – oder ihre Ermordung, wie es der NSU getan hat.“
Dass ausgerechnet der Cottbusser Klemke den Antrag im Gericht vorstellte und mittrug, ist insofern interessant, als das dieser sich im Gegensatz zu den anderen Wohlleben-Verteidiger*innen bisher nicht als Neonazi verstanden wissen wollte. Im Interview mit der “Lausitzer Rundschau” betonte Klemke 2013, dass er jedes Mandat annehme, und darum eben auch Rechte verteidige. Ein Szeneanwalt sei er deshalb nicht: “Ich lehne diese Zuschreibung ab.” Auch mit dem Begriff “Neonazi” habe er Probleme: “Weil alles, was sich rechts von CDU/CSU bewegt, gleich als Neonazi bezeichnet wird. Ich habe in meinem Leben aber selten echte Neonazis getroffen.” Sich selbst verstehe Klemke als “Patrioten”.
Im Vergleich zu anderen ostdeutschen Städten ist es der rechten Szene in Cottbus in den letzten zwei Jahren nicht gelungen, einen Pegida-Ableger zu etablieren. Umso mehr sind jetzt viele von dem martialischen rechten Aufmarsch am Freitag den 13. Januar 2017 überrascht und fordern Aufklärung. Dazu soll im Folgenden beigetragen werden. Was ist passiert?
Am Freitag versammeln sich kurz vor 22 Uhr etwa 120 Personen vor dem Landgericht Cottbus. Sie sind einheitlich schwarz gekleidet, tragen Sturmmasken und führen ein Banner mit der Aufschrift „Cottbus verteidigen!“ mit sich. Die Vermummten ziehen von der Gerichtsstraße über die Sandower Straße und den Altmarkt in die Einkaufsmeile Spremberger Straße. Der Marsch führt direkt an der Synagoge am Schloßkirchplatz vorbei. An der Spitze des Zugs sind während des Aufmarsches rote Bengalfackeln entzündet.
Gerufen werden die Parolen „Hier marschiert die deutsche Jugend“, „Widerstand“ und „Nafris raus“, Flyer mit der Überschrift „Cottbus Nafrifrei“ auf den Boden geworfen. Es gibt eine Ordnerstruktur und mehrere Personen, die filmen. Am Spremberger Turm teilt sich der Zug auf und die Neonazis verschwinden in Autos. Die Polizei wird von AnwohnerInnen alarmiert und kann im Umfeld nur drei Personen im Alter von 39 bis 41 Jahren feststellen, die sie der rechtsextremen Szene zuordnet. Wer steckt hinter dem Aufmarsch?
Durch die Vermummung, die fehlende Anmeldung und den Verzicht auf Fahnen ist nicht offensichtlich, wer hinter dem Aufmarsch steckt. Das internationale Rechtsaußenportal „Breitbart News“ schreibt schlicht von „masked Germans“, aber etwas genauer darf es schon sein. Brandenburgs Innenminister Schröter (SPD), die Polizei und diverse Lokalmedien haben sich hier bereits versucht. Die Interpretationen gehen — richtigerweise — in Richtung Identitäre, Spreelichter und die rechte Fußballfanszene von Energie Cottbus. In der Lausitzer Rundschau legen sich „Szenekenner“ allerdings anderweitig fest: „Mitglieder der vor Jahren verbotenen Neonazigruppe ‚Spreelichter‘ als Urheber der jüngsten Aktion in Cottbus halten Szenekenner für unwahrscheinlich, ebenso eine Verbindung zur neurechten ‚Identitären Bewegung‘, die oft mit dem Begriff ‚verteidigen‘ operiert. Diese zahlenmäßig sehr kleine, eher intellektuelle Gruppe hatte bisher ihre Aktionen immer mit einem klaren öffentlichen Bekenntnis verbunden. Ende August 2016 hissten sie Banner am Brandenburger Tor. Vermummte, anonyme Versammlungen passen, so die Einschätzung aus Sicherheitskreisen, nicht zum Selbstverständnis der Gruppe.“ Ein Eindruck ergibt sich bei der Betrachtung der Veröffentlichungen zu dem Aufmarsch. Die ersten Bilder werden von dem Nutzer „cb_nafrifrei“ um 23:30 bei reddit.de online gestellt. Um 23:49 wird auf der Facebookseite von „Ostthüringen unzensiert“ exklusiv ein Video veröffentlicht, das auf Höhe der ADAC-Geschäftsstelle in der Spremberger Straße aufgenommen wurde. Um 00:24 veröffentlicht der User „down_my_couch“ ein Video auf Twitter, mit einem Blickwinkel aus Richtung der Synagoge am Schloßkirchplatz. Der Kommentar „Weiß wer, wie viele das waren?“ soll den Eindruck erwecken, dass der User ein Unbeteiligter ist. Dieses Material wird am nächsten Morgen über rechte Twitter- und Facebook-Accounts weiterverbreitet, etwa „Asylhütte in Potsdam — Kannste knicken!“, „Heidenau zeigt wie’s geht“ und „Asylhütte in Ketzin — Kannste knicken!“.
Die zeitliche Nähe und die exklusive Veröffentlichung der Bilder und Videos von Gruppen aus anderen Städten und Regionen legen den Schluss nahe, dass dahinter eine überregional vernetzte Struktur steckt. Im extrem rechten Spektrum von Cottbus kommen dafür die NPD und das verbotene Spreelichter-Netzwerk in Frage. Weil die NPD Cottbus sich erst relativ spät auf ihrer Facebookseite äußerte, und sich außerdem von der Aktion wenig begeistert zeigte, kann sie wohl ausgeschlossen werden.
Interessant ist, dass auf der Facebookseite des neonazistischen Modelabels „Black Legion“ am Samstag ebenfalls Bilder vom Aufmarsch an der Oberkirche und am Spremberger Turm veröffentlicht wurden, die bis dahin nicht im Umlauf waren. Die Modemarke wird von einem Neonazi vertrieben, der sich bei Facebook „Tom Rausch“ nennt. In Cottbus läuft der Verkauf über den neonazistischen „Devils Right Hand Store“ von Martin Seidel. Auf seiner Facebookseite bekennt sich Rausch zum Spreelichter-Netzwerk und zeigt seine Ablehnung gegenüber dem „Staatskonstrukt“ NPD. Der Post zum Aufmarsch auf der Facebookseite von „Black Legion“ wird gelöscht, kurz nachdem er bei „Laut gegen Nazis“ thematisiert wird. Auf der privaten Facebookseite von Rausch ist er weiterhin sichtbar.
„Defend Cottbus“ – Das Motto für den Ausnahmezustand
Der Spruch auf dem Fronttransparent „Verteidigt Cottbus!“ ist die deutsche Übersetzung von „Defend Cottbus“. Aufkleber mit diesem Slogan werden massiv seit Juli 2016 in Cottbus und Umgebung verklebt. Auch im Zusammenhang mit dem Überfall auf den Club Chekov am 23. September 2016 tauchten die Aufkleber auf. Entworfen und verbreitet werden diese maßgeblich über eine Struktur, die sich auf Instagram mit dem Profil „Unser_Ursprung“ präsentiert. Die dort oft erstmals veröffentlichten Grafiken werden sowohl von AnhängerInnen der Identitären als auch von zahlreichen Neonazis für ihre Social-Media-Profile verwendet. Auch „Tom Rausch“ posiert auf seiner Facebookseite mit einem „Defend Cottbus“ Aufkleber.
Die Art der Vernetzung, der grafische Stil und die verwendete Sprache des Profils „Unser_Ursprung“ lassen auf den Grafikdesigner Marcel Forstmeier schließen. Der Lübbenauer war bis zum Verbot 2012 ein Organisator und Kopf des Spreelichter-Netzwerks. Forstmeier hat am 21. Dezember 2016 vor dem Kanzleramt in Berlin die neurechte Kundgebung von „Ein Prozent“ (unter den Teilnehmern Alexander Gauland, Björn Höcke und Götz Kubitschek) abfotografiert. Ein Bild aus seiner Position wurde später auch auf der Instagram-Seite von „Unser_Ursprung“ veröffentlicht. Auf einem Bild sind beim genauen Blick seine Hände wiederzuerkennen.
Der Cottbusser Masken-Aufmarsch ist Teil einer Kampagne, um Cottbuser Neonazis in eine Art Kampfmodus zu versetzen – die Marke „Defend Cottbus“ beziehungsweise „Verteidige Cottbus“ soll als Kürzel dieser Kampagne etabliert werden. Ein Resultat: in den letzten Monaten wurden immer wieder Personen, die nicht ins rechte Weltbild passen, angegriffen. Gleichzeitig werden Straftaten durch vermeintliche Ausländer oder Flüchtlinge besonders stark ausgeschlachtet, um der rassistischen Paranoia Nahrung zu geben. Paradoxerweise freut sich der Twitter-User „down_my_couch“ über die erhöhte Polizeipräsenz, obwohl sich diese vor allem gegen ihn und seine Kameraden richtet. Bürgerlichkeit und Straßenterror
Die Neonazis fahren nicht nur eine Strategie des Straßenterrors zur Einschüchterung politischer GegnerInnen in Cottbus, sondern zudem eine Art Kuschelkurs mit „Zukunft Heimat e.V.“ im Spreewald. Dieser Verein hat seit Ende 2015 gegen die Unterbringung von Flüchtlingen mobil gemacht. Mit 500 Teilnehmern am 31. Oktober 2015 in Lübbenau richtete der Verein eine der größten rechten Demonstrationen in Brandenburg der letzten Jahre aus.
Marcel Forstmeier und das Spreelichter-Netzwerk versuchte sich bei diesen asylfeindlichen Demonstrationen zwar im Hintergrund zu halten. Eine Nähe gibt es dennoch. Seitdem dieser Zusammenhang öffentlich gemacht wurde, führt der Verein Aktionsformen wie Fahrradkorsos für Radwege und ähnliche Themen durch. Auf diese Weise wollen die Vereinsvorsitzenden Christoph Berndt, Anne Haberstroh und der AfD-Bürgermeisterkandidat Marian von Stürmer vermutlich das Brandzeichen einer für das neonazistische Spektrum offenen Organisation loswerden. Dass die Verbindung zu Marcel Forstmeier und dem Spreelichter-Netzwerk anhält, zeigt das gemeinsame Auftreten von Neonazi Forstmeier und Zukunft-Heimat-Vorsitzender Haberstroh im Umfeld der Blockade der CDU-Zentrale in Berlin durch Mitglieder der Identitären am 21. Dezember 2016.
Während Marcel Forstmeier den Polizeieinsatz abfilmte, stand Anne Haberstroh am Rand und beobachtete die Szenerie. Bereits im September 2016 besuchten die beiden eine Veranstaltung des rechten Compact-Magazins in Berlin. Auf dem Podium saß neben Jürgen Elsässer, Götz Kubitschek und Martin Sellner auch der Identitären-Aktivist Robert Timm. Dieser studiert und wohnt in Cottbus und hat sich über seinen Twitteraccount „Schinkel_IB“ positiv zum Cottbusser Masken-Aufmarsch geäußert. Dass er und andere identitäre Strukturen an der Organisation und Durchführung direkt beteiligt waren, lässt sich bisher nicht feststellen. Fazit
Die Frage, ob der Naziaufmarsch am 13. Januar 2017 auf das Konto rechter Fußballfans, der Spreelichter oder der Identitären geht, führt in die Irre. Zwischen diesen Strukturen der rechten Szene gibt es zu große ideologische und personelle Überschneidungen. Sie arbeiten zusammen, weil das aktuelle politische Klima ihnen Erfolge verspricht. Vor allem die „Spreelichter“ und die Anführer der Gruppe „Inferno Cottbus“ sind schon seit Beginn ihres Bestehens sehr stark verbunden. Trotz Stadionverbotes bestimmt „Inferno“ immer noch maßgeblich die Stimmung in der Fanszene des FC Energie. Der Rückgriff von Forstmeier und dem Spreelichter-Netzwerk auf Symbole und Themen der Identitären bietet ihnen die Möglichkeit, in anderem Gewand die bis zu ihrem Verbot verfolgte Strategie eines popkulturell vermarkteten Faschismus fortzusetzen. Um ein möglichst breites Spektrum zu erreichen und eine möglichst große Wirkung zu erzielen, changieren sie dabei zwischen sehr unterschiedlichen Aktionsformen.
Seltsame Allianzen haben sich dem Anschein nach im Süden Brandenburgs gebildet. Gegen den “Austausch des Volkes” gehen dort “besorgte Bürger” gemeinsam mit der AfD auf die Straße. Mit dabei sind auch Neonazis aus dem Umfeld der verbotenen “Spreelichter”. “Zukunft Heimat” heißt die Initiative, die mobil macht gegen Flüchtlinge. Bei einer Demonstration vom “Zukunft Heimat” am 31. Oktober in der Spreewaldstadt Lübbenau kamen 900 Personen zusammen. Bei einer zweiten Aktion am 5. Dezember in Lübben waren es 500.
Ihren Ursprung hat “Zukunft Heimat” in einer Bürgerinitiative aus dem Dorf Zützen. Die Initiative „Pro Zützen“ hatte im Sommer die Unterbringungen von 100 Flüchtlingen in dem 350-Einwohner-Dorf kritisiert, aber nicht grundsätzlich abgelehnt. Zützen ist ein Ortsteil der Stadt Golßen im Dahme-Spreewald. Eine Demonstration fand am 30. Juni unter dem Motto “Demokratie wagen” statt. Nach eigenen Angaben versammelten sich über 100 Menschen auf dem Marktplatz in Golßen. Zu den Forderungen gehörte der Ruf nach ” mehr Bürgerbeteiligung” und die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen.
Aus “Pro Zützen” hat sich mittlerweile “Zukunft Heimat” entwickelt. Es handelt sich um einen Anfang August gegründeten, eingetragenen Verein. Vorsitzende sind Christoph Berndt, hauptberuflich an der Berliner Charité, und Anne Haberstroh, Friseurin in Golßen. Weitere Aktive wie Alexandra Hentsch und Lars Köhler kommen ebenfalls aus Golßen.
“Zukunft Heimat” ist wesentlich radikaler als “Pro Zützen”. “Gegen die Auflösung unseres Volkes” gelte es “Widerstand zu leisten”, heißt es in scharfem Ton auf der Homepage. Von den “Blockparteien” dürfe man dabei nichts erwarten. Auf der Facebookseite wird verkündet, dass man mit dem “Ungehorsam des deutschen Staatsvolkes” die “vaterlandslosen Gesellen in der Regierung und Medien” besiegen werden könne.
Offenkundig nicht zu den “Blockparteien” wird von “Zukunft Heimat” die AfD gezählt. Deren Landtagsabgeordneter Andreas Kalbitz durfte bei der Demonstration in Lübbenau in der ersten Reihe laufen und eine Rede halten. Der Burschenschaftler Kalbitz ist in seiner Partei am äußersten rechten Rand positioniert, wie verschiedeneBerichtebelegen. Als die AfD dann am 7. November zu einer Großdemonstration in Berlin aufrief, war auch “Zukunft Heimat” mit dabei. Für den kommenden Donnerstag (16.12.) ruft indes der AfD-Jugendfunktionär Jean-Pascal Hohm zu einer weiteren Demonstration auf. Das Motto des Aufmarsches in Zossen: “Für die Zukunft unserer Heimat”. Unterstützung bei der Facebook-Mobilisierung kommt wenig überraschend von “Zukunft Heimat” selbst. Das ist reichlich viel Parteinähe, für ein “Bürgerbündnis”, das offensichtlich eigentlich überparteilich wirken will.
Auch Neonazis aus dem Netzwerk der 2012 als “Widerstandbewegung Südbrandenburg” verbotenen “Spreelichter” waren bei den “Zukunft Heimat”-Demonstrationen dabei. Unmittelbar vor der Aktion in Lübben trugen Neonazis Protestplakate mit der Aufschrift „Schnauze voll“. Das berichteten die Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN). Mitten in dieser Gruppe war, so die PNN, der ehemalige Spreelichter-Anführer Marcel Forstmeier. Während der Demo saß Forstmeier dann bei einem Bäcker, zusammen mit zwei weiteren Personen, eine dazu in einem Organisatoren-T-Shirt, heißt es bei der PNN. Andere Neonazis, die zum Umfeld der Spreelichter gezählt werden, waren im Aufzug, machten Fotos. Der Eindruck, der so entstehen kann: Die Neonazis sind in die Organisation womöglich eingebunden, versuchen dies aber zu tarnen.
Auch stilistisch und rhetorisch ähneln manche Äußerungen von “Zukunft Heimat” denen der früheren “Spreelichter”. Vor allem über soziale Medien wie Facebook, Twitter und YouTube wurde schnell damit begonnen, Inhalte gegen den „Volksaustausch“ zu verbreiten — nicht unähnlich zu den Warnungen der “Spreelichter”, die noch einen “Volkstod” befürchteten. Die stilistische Ähnlichkeit der schwülstigen Videos und die Aufmachung der Kampagnenseiten zu den alten Spreelichter-Projekten sind teils frappierend. Die Schriftart, mit der das Front-Transparent der Lübbenau-Demo beschrieben war, tauchte auch auf eine Internetwerbegrafik für die Demo auf — und wurde Jahre zuvor von den “Spreelichtern” selbst benutzt.
Die Vernetzung von “Zukunft Heimat” mit extrem rechten Personen und Gruppen wird am Twitterkanal des Vereins sichtbar. Auch Beiträge eines „DennisKoerner“ werden dort immer wieder geteilt. Bei ihm handelt es sich um eine Person, die seit 2009 in hoher Frequenz zum „Volkstod“, zum „Volksaustausch“ und zu netzpolitischen Themen postet. Es wäre keine sonderlich steile These, wenn man “DennisKoerner” zum Spreelichter-Umfeld zählen würde.
Nach ihrem Verbot veröffentlichten die “Spreelichter” einen Strategietext zu ihrer “Unsterblichen”-Kampagne, den man als Blaupause für das lesen kann, was nun möglicherweise im Spreewald umgesetzt werden soll: Als Neonazis im sozialen Nahraum mitmischen bei Antiflüchtlingsprotesten, sich dabei aber nicht erkennbar geben. Das Thema “Volkstod” beziehungsweise die “Überflüssigkeit eigenständiger Völker” müsse in die gesellschaftliche Debatte gebracht werden, hieß es damals. Volksnähe und Kontakt zu “ganz normalen” Menschen solle aufgebaut werden und dafür könne man aus dem Hintergrund agieren:
“Schon jetzt sind viele als UNSTERBLICHE unterwegs, die zuvor nie mit politischem Aktivismus in Berührung kamen. Es sind ganz normale Arbeiter, Studenten, junge Eltern sowie deren Freunde und Bekannte (…). Weil dieses Anliegen so viel wichtiger als jede Detailpolitik, weil es die Grundvoraussetzung für zukünftige Politik überhaupt ist, führen UNSTERBLICHE weder Wahlkampf- noch sonstige detailpolitische Veranstaltungen durch, tragen keine Szeneklamotten’ und geben sich keine Gruppennamen. Für die UNSTERBLICHEN ist klar: Politische Inhalte sind wichtig, viele Themen sind wichtig, Propaganda ist wichtig. Und all diesen Anliegen werden sie im passenden Rahmen gerecht – aber nicht als UNSTERBLICHE, sondern auf politischen Veranstaltungen oder mit Wort und Tat im Familien- und Freundeskreis. Die UNSTERBLICHEN machen friedlich auf den drohenden Volkstod aufmerksam – nicht weniger, aber auch nicht mehr.”
Die hier beschriebene Allianz von „besorgten Bürgern“, der AfD und Neonazis hat den Effekt, dass sie für ihre Demonstrationen relativ viele Menschen mobilisieren können und die Öffentlichkeitsarbeit professionell abgewickelt wird. Die „Spreelichter“ galten bis zu ihrem Verbot in der Naziszene als besonders radikal. Mit ihrer offenen antidemokratischen Haltung (“Die Demokraten bringen uns den Volkstod”) übertrafen sie sogar die NPD. Die Kampagnenkompetenz ist noch vorhanden — nun aber ist der Ton gemäßigter, entsprechend den vor Jahren angestellten strategischen Überlegungen.
Die bei den “Zukunft Heimat”-Aktionen Begriffe „Volksaustausch“ und “#grenzendicht” verweisen indes auch auf die Kampagnen der “Identitären Bewegung”. Diese völkisch-neurechte Organisation hat für 2016 eine Kampagne in Brandenburg angekündigt — Kontakte bestehen offenbar ohnehin. Der Twitter-User DennisKörner veröffentlicht Grafiken und Bilder unter dem Identitären-Slogan „Der große Austausch“, die ebenfalls den Grafiken von “Heimat Zukunft” ähneln. Auf der Demo in Lübben wurde außerdem für die Initiative “einprozent” geworben, aus dem neurechten Spektrum des “Institut für Staatspolitik” kommt. Bei ebendiesem Institut sorgte kürzlich mit Björn Höcke ein weiterer AfD-Rechtsaußen durch eine offen rassistische Rede für Aufmerksamkeit.
Wohin sich “Zukunft Heimat” entwickeln wird, scheint derzeit offen. Die offene Nähe zur AfD und die seltsamen Kreuzpunkte mit Neonazis und ein neurechts inspirierten Rhetorik könnte ein Modellprojekt für flüchtlingsfeindliche Mobilisierungen sein, deren Bedeutung über den Spreewald hinausgeht: Lokale Verankerung durch etablierte Persönlichkeiten aus der Gegend, ein parlamentarischer Arm durch die AfD, dazu Neonazis in nicht allzu großer Ferne.