HOYERSWERDA. Nachdem es am Rande des Stadtfestes in Hoyerswerda zu tätlichen Auseinandersetzungen und ausländerfeindlichen Parolen gekommen war, ermittelt nun die Kriminalpolizei. Bereits am Sonntagmorgen gegen 2 Uhr war es laut Peter Bergmann von der Polizeidirektion Bautzen am Zoo zu einer Schlägerei gekommen. Bei dem Versuch, die Streithähne zu trennen, leisteten einige heftigen Widerstand. Die Beamten mussten sogar Pfefferspray anwenden. Doch laut Bergmann wurde niemand verletzt. Während die Polizei Tatverdächtige festnahm und Personalien notierte, skandierten zwei Jugendliche ausländerfeindliche Parolen wie “Deutschland den Deutschen ” . Ein 17-Jähriger wurde festgenommen, der zweite Verdächtige konnte fliehen. Laut Bergmann ermittelt nun der Staatsschutz.
Jahr: 2002
Sirtaki in der Heide
SCHWEINRICH Spätestens beim Sirtaki bekam das Gemeinschaftsgefühl wieder neuen Schwung: Schießplatzgegner fassten sich gestern Nachmittag an die Hände und bewegten sich zu griechischen Klängen. Alle schwangen gekonnt die Beine — vom dreijährigen Nackedei bis zum Anzugträger. Der bündnisgrüne Kandidat für den Bundestag Wolfgang Freese hätte auch gern mitgemacht, hatte sich aber einen Zeh gebrochen.
Am Wochenende feierte die Bürgerinitiative Freie Heide ihren zehnjährigen Geburtstag. Dazu gehörte eine Radtour, die am Sonnabend um 9 Uhr in Schweinrich begann, ein Auto- und Motorradkorso, der um 10 Uhr in Frankendorf startete, ein Treffen an der Mahnsäule in Gühlen Glienicke und die gestrige 77. Protestwanderung. Außerdem gab es am Sonnabend viel Musik und gestern ein Programm zum Thema “Krieg und Frieden”.
“Die Bürgerinitiative hat Ausdauer”, betonte Benedikt Schirge gestern am Treffpunkt bei Schweinrich und verwies darauf, dass ihre Arbeit bereits erfolgreich war, “weil es ja bisher keinen Bombenabwurfplatz gibt.” Schirge kritisierte das Verhalten des Landes. “Es hält seine Stellungnahme zum Thema bisher unter Verschluss — aus unbekannten Gründen.” Wie Schirge erklärte, erwarte man von der am Wochenende in Neuruppin tagenden Friedenskonferenz ein Signal. Von Ministerpräsident Matthias Platzeck und vom Landesparlament fordert die Freie Heide ein klares Bekenntnis. “Es darf nicht zugelassen werden, dass über der Heide wieder Bomben abgeworfen werden.” Und weiter: “Es sind viele Freundschaften entstanden, die es ohne die Freie Heide nicht gäbe”, so Schirge, nachdem er Grüße von nahe stehenden Organisationen verlesen hatte.
Neben BI-Gründungsmitglied Annemarie Friedrich durfte dann auch PDS-Bundestagskandidat Wolfgang Gehrcke ein paar Worte sagen — bis das Mikro plötzlich aus war — und das, obwohl er vorher ausdrücklich betont hatte, keine Wahlkampf-Rede halten zu wollen.
“Neid, Gier, Hass” hieß ein Programm, das gestern von 18 Kindern im Dorfgasthof Schweinrich aufgeführt wurde. Die Kinder hatten die Vorstellung, bestehend aus Szenen, Liedern und Stücken zum Thema Frieden, während einer Musikfreizeit im Landschulheim Schweinrich unter Leitung von Petra Schirge und dem Musikpädagogen Hans‑D. Hoch einstudiert.
Der Namenszug “D.-Heßmer-Platz ” an einem Straßenschild in Lauchhammer-Mitte ist in der Nacht zum Sonnabend mit “Rudolf-Heß-Straße ” überklebt worden.
POTSDAM (Berliner Zeitung) Unbekannte haben versucht, auf ein in Potsdam lebendes Mitglied der Hartz-Kommission einen Anschlag zu verüben. Verletzt wurde niemand. Nach Polizeiangaben vom Donnerstag deponierten sie bereits am 16. August auf dem Privatgrundstück des Kommissionsmitgliedes unter dessen Wagen eine Flasche mit einer noch unbekannten Flüssigkeit. Am 21. August sei bei der Berliner Polizei ein mit “Autonome Gruppen” unterzeichnetes Bekennerschreiben eingegangen.
Danach sollte der Wagen des Kommissionsmitgliedes beschädigt werden. Der Verdacht einer politisch motivierten Straftat könne nicht ausgeschlossen werden, sagte ein Polizeisprecher. Das Landeskriminalamt ermittele. Um die Familie zu schützen, teilte die Polizei keine weiteren Details mit. Die Hartz-Kommission hatte kürzlich ihr Konzept zum Abbau der Arbeitslosigkeit vorgelegt.
Bekennerschreiben eingeschickt
Molotowcocktail sollte Auto zerstören
(Verfassungsschutz Brandenburg, 20.8.) Bei einer Presseagentur in Berlin landet ein Bekennerschreiben: “wir haben den pkw-fuhrpark eines moduls der hartz-kommission (…) verkleinert. 15.8.02 autonome gruppen”. Damit hellt sich der Hintergrund für einen Vorfall auf, der zunächst rätselhaft schien. Tatsächlich war Tage zuvor am Auto eines Mitglieds der Hartz-Kommission, das in Potsdam wohnt, ein Molotowcocktail entdeckt worden: eine Kunststoffflasche mit einer benzinartigen Flüssigkeit und einem Zünder. Allerdings schlug der beabsichtigte Anschlag fehl. Die “autonomen gruppen” halten es offenbar für eine sozialrevolutionäre Heldentat, wenn sie eine — menschenverachtend als “Modul” bezeichnete — Person angreifen, die an neuen arbeitspolitischen Vorschlägen mitwirkt. Immer wieder während der letzten Jahre haben die “autonomen gruppen” in der Region Berlin/Brandenburg Anschläge begangen, die schwere Sachschäden nach sich zogen und Menschen verletzten oder gefährdeten. Besonders oft haben sie, um gegen CASTOR-Transporte zu protestieren, Hakenkrallen in Bahnoberleitungen eingehängt, zuletzt am 23. Oktober 2001 in Berlin. Aber sie haben — wie jetzt wieder — auch andere Anlässe für ihr Treiben gesucht. So setzten sie etwa vor drei Jahren in Bernau einen Bus in Brand, weil mit ihm Rechtsextremisten transportiert werden sollten. Bisher sind die Täter nicht ermittelt. Waren es immer dieselben? Oder Gruppen in wechselnder Zusammensetzung? Auch eine dritte Möglichkeit muss in Betracht gezogen werden: dass die Bezeichnung “autonome gruppen” als Sammelname unterschiedlicher Tätergruppierungen fungiert. In der Debatte, die in der autonomen Szene bundesweit um Sinn, Möglichkeiten und Grenzen militanter Aktionen geführt wird, kam auch der Vorschlag auf, den Namen “autonome gruppen” immer öfter zu verwenden: “Je mehr Zusammenhänge diesen Namen benutzen, um so grösser auch der Schutz für die anderen.”
Zum Weiterlesen:
Wieder Hakenkrallen-Anschlag in Brandenburg: Im Oktober 2001 verübten Autonome Gruppen einen Hakenkrallen-Anschlag auf eine Bahnstrecke bei Werder. (VS BRB)
Gerade einmal 80 Personen hatten sich am Donnerstag Abend im Kleist-Forum eingefunden um der Partei beizuwohnen. Unter ihnen 50 Antifas und Linke. Einlaßkontrollen fanden nicht statt. Zu unserer Überraschung waren die Anhänger der Partei, sehen wir mal von den 7 Organisatoren der Veranstaltung ab, an zwei Händen abzuzählen. (In
Frankfurt besitzt die Partei bisher nur 5 Mitglieder) Auch die Polizei mit der wir gerechnet hatten zeigte sich den ganzen Abend nicht. Anwesend war aber das Wahlkampf-Team des örtlichen CDU-Kandidaten welches offensichtlich Wähler der Schill-Partei abwerben wollte. Sie begleiteten nicht
nur Weßlaus Rede mit Beifall, sondern taten sich auch mit deutlichen Bemerkungen gegen die anwesenden Antifas hervor.
Das freundliche Miteinander beider Parteien läßt eine Zusammenarbeit einiger Parteijünger der Law and Order
Rassisten in Frankfurt (Oder) vermuten. Wir werden dies gespannt weiterverfolgen. Als kaum erwarteter Gast trat der Frankfurter Nazi-Liedermacher Nico Schiemann auf. Er hielt sich aber bis auf eine Frage die unter dem Protest kaum
hörbar war, zurück und verließ die Veranstaltung früh wieder.
Mit 45minütiger Verspätung fuhr dann ein schicker Audi vor, aus dem zu unser aller Überraschung (selbst die Schill- Leute wußten nicht Bescheid) nicht der angesagte Ronald B. Schill stieg, sondern der Spitzenkandidat der Partei
für Brandenburg: Dr. Dirk Weßlau aus Bernau. Schill war direkt nach der Kundegebung auf dem Bernauer Marktplatz wieder nach Hamburg abgefahren, des Hochwassers wegen.
So versuchte Weßlau in seine Rolle zu schlüpfen und das Publikum mit einer engagierten Wahlkampfrede vom Hocker zu reißen. Vergebens. Seine Rede war rhetorisch und inhaltlich so schlecht das sie sogar von den eigenen Partei-Mitgliedern unterbrochen wurde, um die Dinge besser darzustellen.
Inhalt der Rede war eine Auflistung sämtlicher Mißstände der heutigen Zeit. Ein Programm und Lösungsvorschläge waren nicht zu erkennen. Statt dessen wurden Nachfragen aus dem Publikum mehrmals mit der Aufforderung an seine
Parteifreunde beantwortet, doch mehr Wahlprogramme in das Publikum zu reichen. Ständige Blamagen aufgrund eigener Unwissenheit reihten sich aneinander. Weßlau und sein Trupp hätte uns fast leid tuen können wäre da nicht die
ständige Hetze gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu hören gewesen. So erklärte ein Schill-Mann aus Berlin zu ihrer Forderung nach Sach- statt Sozialleistungen für Asylbewerber und der Streichung den Grundrechtes auf Asyl aus dem Grundgesetz, das auch er ins Ausland gehen würde wenn er dort eine Millionenvilla gestellt bekäme. Und Weßlau schilderte seine Angst davor, dass seine Tochter in
wenigen Jahren mit Kopftuch herumlaufen müsse weil alles nur noch auf den Koran höre. Grund genug für die anwesenden Antifas die Rede immer wieder lautstark zu unterbrechen und mit Gegenrede zu antworten.
Als Weßlau um 22.30 immer noch nicht zum Ende gefunden hatte betraten Antifas die Bühne und forderten ihn nachdrücklich zum verlassen der selben auf. Auch das Mikro wurde abgedreht.
Abschließend läßt sich feststellen, dass die Wahlkampfveranstaltung eine Niederlage auf ganzer Ebene für die PRO war. Selbstkritisch müssen wir aber feststellen das zu spät entschlossen gehandelt wurde. Die Gegebenheiten vor Ort hätten weit mehr zugelassen. Zudem stellt es für Frankfurt (Oder) doch einen kleinen Skandal dar, das die Schill-Partei im Kleist-Forum (immerhin der zurzeit
modernste Veranstaltungskomplex mitten im Zentrum der Stadt) untergekommen ist. Auch an dieser Stelle hätten wir deutlicher agieren müssen.
Ein Frankfurter Antifa
Ronald Barnabas Schill (nicht) in Frankfurt/Oder
Eigentlich wollte gestern, am 22.08.2002, Ronald Barnabas Schill in Frankfurt/Oder bei einer Wahlkampfveranstaltung reden. Er kam nicht, gestört wurde trotzdem. Ein Bericht der “gruppe raus aus berlin [grab] — ag urlaub an der polnischen grenze”.
Gestern, am Abend des 22.08.2002, wollte die Partei Rechtsstaatliche Offensive (PRO), die sogenannte Schill-Partei in der Brandenburgischen Stadt Frankfurt an der Oder eine Wahlkampfveranstaltung mit dem Spitzenkandidaten Ronald Barnabas Schill durchführen. Wir, zwei zufällig anwesende BerlinerInnen waren im Kleist-Forum, um uns diese Event zu gönnen.
Zuerst wurden wir vertröstet und dann kam R. B. Schill gar nicht. Vom Spitzenkandidaten des Wahlkreises in Frankfurt/Oder wurde dafür das Hochwasser verantwortlich gemacht, welches langsam in Hamburg, der Heimat- und Wahlstadt Schills stieg. Deshalb wurde die gesamte Veranstaltung von diesem Spitzenkandidaten, dessen Namen wir leider nicht mehr wissen, durchgeführt. Dieser erzählte mit Blick auf die anwesende auffällig linke Jugend von der Wahlkampfveranstaltung der PRO-Partei am gleichen Tag in Bernau, wo sich laut ihm 300 Jugendliche eine lautstarke Auseinandersetzung lieferten und sich nicht “anständig und ordentlich” aufgeführt hätten. Dazu ist zu bemerken, das Bernau als eine der Hochburgen der Linken Szene in Brandenburg gilt. Wir wissen also nicht genau, was wir davon halten sollen.
Der Vortrag des Spitzenkandidaten war rhetorisch schlecht. Außerdem war die Atmosphäre im neuen und schicken Kleist Forum anders als erwartet. Von den rund 50–60 Anwesenden war die Mehrzahl gegen die Schill-Partei eingestellt. Ein großer Pulk von 20 Personen links neben dem Rednerpult sah ganz offen links aus (Punk, Skins, Hip-Hopinnen und Hip-Hoper). Noch einmal rund 20 Personen, die anfänglich wie interessierte Bürgerinnen und Bürger aussah, erwies sich in der Veranstaltung als Gegner und Gegnerinnen. Davon ist vor allem eine Fünfer-Gruppe von schick Angezogen hervorzuheben, über die noch zu berichten sein wird. Außerdem stellten sich zwei Personen als Freie Nationalisten (beides Männer) heraus. Der Rest ‑davon drei bis fünf Mitglieder der CDU- war interessiert bis begeistert. Also eine eher schlechte Ausgangslage für den Redner.
Die Wahlkampfrede begann erwartungsgemäß mit einer Abgrenzung von den “etablierten Parteien”. Diesen wurde im Großen und Ganzen unsaubere Methoden und “Klüngelwirtschaft” vorgeworfen. Wieso das schlimm sein sollte oder warum solcherlei bei der Schill-Partei nicht vorkommen könnte, konnte er nicht erklären. Die Partei wurde als Protestpartei gegen “das System” dargestellt, welche die Interessen “des kleinen Mannes” vertreten und sich nicht an Posten klammern würde. Wirtschaftspolitisch wurde der Klein- und Mittelstand gehypt, da er es sei, der ‑würde er nur ordentlich und richtig gefördert- die Arbeitsplätze schaffen könnte, welche heute nicht von den Großkonzernen bereitgestellt würden. Das steht nicht wirklich anders im FDP-Programm. Wichtig waren ihm die Bildungspolitik und vor allem Gesundheitssystem. Das erklärt sich daraus, dass er als Zahnarzt besondere Einblicke ins Gesundheitssystem habe, welche ihn qua Arbeitserfahrung kompetent machen würden ‑im Gegensatz zu anderen Politikern und Politikerinnen, welche Politik machen würden und nicht in direktem Kontakt zu den Menschen stünden. Wirkliche Vorschläge hatte er aber auch in diesen Bereichen nicht zu bieten, außer das er auf “Ungerechtigkeiten” und nicht hinnehmbare Zustände verwies. Das Auffällige war hier, das neben dem systemimmanten Gedisse keine eigenen Vorschläge standen. Das steht auch nicht anders im PDS-Programm. Sonst blieb er schö
n im vorgegebenen Rahmen, lehnte die Idee, dass ein Bildungssystem Eliten produziere ab und sprach sich dafür aus, die Menschen nach ihren Fähigkeiten in einem mehrgliedriegen Schulsystem zu fördern, ergo alles zu lassen wie es ist. Das steht nicht wirklich anders im SPD-Programm. Das Thema “Innere Sicherheit” arbeitete er erstaunlich kurz ab. Er und ein Vertreter aus Hamburg lobten die Arbeit Schills als Hamburger Innensenator, forderten mehr Polizei und Überwachung nach dem Hamburger Modell. Das steht nicht wirklich anders im CDU-Programm. In der Drogenpolitik war er auffällig unwissend und gestand dies mit dem Hinweis ein, dass es auf der Schule seines Sohnes ‑8.Klasse- keine Drogenprobleme gäbe. Ansonsten seien Menschen, die Drogen konsumierten oder handelten ein Schandfleck, welcher durch die Polizei und härtere Strafen bekämpft werden müsse. Auch wenn er nicht wußte, wo diese Menschen dann sonst alle seien.
Einen Höhepunkt erreichte die Rede, als er ‑eh schon die ganze Zeit auftretenden- Ressentiments gegen die Asylbewerber ‑ohne Innen bei ihm- richtete. Da traten dann die ganzen Redewendungen wie Parasiten und “Wirtschaftsflüchtlinge” auf, welche “uns” auf den Taschen liegen würden. Das war nicht überraschend, aber ihm doch sehr wichtig. Allerdings steht das nicht wirklich anders im NPD-Programm. Einen großen Feind hatte er im Islam, bzw. der türkischen Community ausgemacht. Er habe zum Beispiel keine Lust darauf, das seine heute 5‑jährige Tochter in 60 Jahren gezwungen (!) sei “mit Kopftuch herumzulaufen”. Interessant und irgendwie auch witzig war, dass er in einer fast vollständig atheistischen Stadt wie Frankfurt/Oder von einer “evangelisch-katholischen Religion” sprach, welche vom Islam ‑in Form von eigenen Moscheen, muslimischem Religionsuntericht und Halbmonden in der Schule etc.- langsam verdrängt würde. Insgesamt war die Rede gekennzeichnet von deutlichen Anbiederungsversuchen an den “kleinen Mann” und vor allem an den Mittelstand, sowie einer ‑wohl als Offenheit und Menschennähe gemeintem- Egomanie, durch die er sich als Wohltäter und dadurch geeigneten Vertreter für die einfachen Menschen darstellen wollte.
Diese Rede lief nicht halb so glatt, wie es hier scheinen könnte. Er wurde bei fast jedem Satz durch teilweise mehrere verschieden Zwischenrufe gestört, was zu einer sehr unruhigen Geräuschkullise führte. Dadurch konnte er zwar seine Rede durchziehen, aber längst nicht so eindrucksvoll, wie sie offenbar geplant war. Nahezu jeder Fehler und jeder kritisierbare Ausspruch wurde ihm lautstark vorgeworfen. Das ging vom Nachweisen offensichtlicher Widersprücher und falscher “Fakten” bis hin zu “Nazi-” und “Rassist-” Rufen. Hier verloren offenbar die Vertreter ‑nur Typen- der Schill-Partei die Macht über den Diskurs im Raum. Auch die anschließende Frage-Anwortrunde verlief nicht so bürgernah wie beabsichtigt. Mangels Fragenden musste offensichtlichen Gegnern und Gegnerinnen Rederecht erteilt werden. Hätte nämlich niemand gefragt, wäre die Strategie der Volksnähe nicht aufgegangen. So aber war er immer wieder in Erklärungsnot, sowohl bei systemimmanenten, als auch bei allgemeineren Kritiken. Er versuchte sich durch das beliebte Politikspiel, wir nehmen aus einer Frage nur einen Teilbereich und reden darüber fünf Minuten, so dass die ursprüngliche Frage nicht mehr beantwortet werden muss, zu retten. Aber er beherrschte diese Taktik nicht, es war zu offensichtlich, dass er oft keine Antwort parat hatte. Zudem verlief auch diese Runde nicht nach seinen Spielregeln. Durch ständige Zwischenrufe und Hinweise wurde es ihm immer mehr unmöglich das Bild des patenten Volkssouveräns aufrecht zu erhalten. Einen wirklich netten Einfall hatte eine Gruppe von fünf Personen, welche als eigenständige Partei auftrat und bis dahin auch, durch ihr schleimiges, aber selbstbewußtes Verhalten als solche gelten konnte und nun der Schill-Partei eine “Zusammenarbeit” anbot. Dazu hatten sie ihr Parteiprogramm mitgebracht, welches die gleichen Themen, wie die Schill-Partei aufzählte, aber versuchte durch Überspitzung ‑Abschiebung von Langzeitarbeitslosen u.a.- ad absurdum zu führen. Leider ging dieser Versuch ‑trotz guter schauspielerischer Leistung- nicht auf, da die anwesenden Linken zu früh und zu eindeutig lachten. Schade eigentlich.
Wir ‑als Berliner Linke- waren ‑nach all den Horrorgeschichten vom braunen Osten- erfreut und überrascht von der Vielzahl der Anwesenden Gegnerinnen und Gegner. Das beweist unser Erachtens wieder einmal, dass es nötig wäre diese Geschichten zu revidieren und ‑als in Berlin Wohnende- auch Kontakte mit dem Umland von Berlin zu schließen. Der Ablauf der ganzen Veranstaltung hat uns sowieso überrascht. So war es erstmal erstaunlich, dass alle Menschen ohne Eingangskontrolle oder Polizei herein und auch wieder heraus kamen. Auch die Störungen nicht etwa ein Herauskompliementieren nach sich zogen, sondern sich lediglich in Mahnungen nach deutschen, bzw. demokratischem Anstand und ordentlichem Verhalten erschöpften. Zu kritisieren ist dennoch, dass das Auftreten der Gegner und Gegnerinnen ungeplant wirkte. So hätte das Theater der Pseudo-Partei einen wirklichen Erfolg bedeuten können, hätten die anderen anwesenden Linken nicht gelacht und sich gefreut, sondern die erforderliche Entrüstung gezeigt. Kommunikationsguerilla funktioniert halt nicht, wenn sie offensichtlich ist. Außerdem gab es eine Aktion am Ende der Veranstaltung, als ein Teil der Linken zum Rednerpult ging und vorgab, dass die Veranstaltung nun nicht mehr zu ertragen wäre und sie das Mikrophon haben wollen würden. Sie waren damit nicht erfolgreich, aber der Tumult machte ein geordnetes Ende der Veranstaltung unmöglich. Leider kam sie zu spät, es ist auch nicht klar, ob sie geplant war oder nicht. So oder so hätte sie aber mehr Erfolg gezeigt, wäre sie von noch allen Anwesenden Linken getragen worden und nicht von einigen wenigen, während die anderen am Rand saßen. Allerdings war es auch ersichtlich, dass so wie die Störungen abgelaufen sind, nämlich indem die Diskursmacht der Veranstalter untergraben wurde, ein größerer Erfolg erreicht wurde, als wenn es zu einer Prügelei gekommen wäre. So aber haben sich die Vertreter der Schill-Partei einfach so sehr als konzeptlos gezeigt, dass wirlich kein “interessierter Bürger” bzw. “Bürgerin” sich von dieser Partei hat überzeugen lassen, außer die, die vorher schon überzeugt waren.
Sicherlich ist das nicht das Patentrezept gegen Rechts-Populismus im öffentlichen Raum, sicher hat eine Kritik der Verhältnisse gefehlt und sicher ist so eine Abschaffung des existenten Systems nicht zu leisten, aber in Anbetracht der Möglichkeiten und Verhältnisse war das, was passiert ist, hervorragend. Allerdings möchten wir auf eines hinweisen ‑auch und gerade für andere‑, nämlich das die Diskussionsangebote nach der Veranstaltung der Schill-Partei sich zusammen an einen Tisch zu setzen, so sie den angenommen werden ‑wie es hier passiert ist- nur diesen etwas nutzen. Denn so können sie schließlich wieder einen bestimmenden Punkt im Diskursgefüge darstellen. Sie, als diskutierende und demnach ernst zu nehmende “demokratische” Kraft, die mit dem Volk und gerade mit den Kritisierenden an einem Tisch sitzt. Eine Bewegung halt, kein Gegner. Wir würden allen raten, solchem aus dem Weg zu gehen.
Alles in Allem war es ein erfolgreicher, witziger und lehrreicher Abend.
gruppe raus aus berlin — ag urlaub
V‑Mann-Affäre: Peinliches Gerangel
POTSDAM. Soll der Parlamentarischen Kontrollkommission (Pkk) im Landtag Akteneinsicht gewährt werden oder müssen sich die Mitglieder in den Sitzungen mit den Aussagen von Regierung und Verfassungsschutz zufrieden geben? Dieser Streit entzündet sich an der V‑Mann-Affäre, die Brandenburg und Berlin seit Wochen beschäftigt. Die Landtagsabgeordnete Kerstin Kaiser-Nicht, die für die PDS in der streng geheim arbeitenden Kommission sitzt, besteht bei der Aufklärung der Vorgänge in der V‑Mann-Affäre auf Akteneinsicht, während ihre Kollegen von SPD und CDU sowie Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) dies ablehnen.
Bei Unklarheiten sieht das Verfassungsschutzgesetz für die Mitglieder des Gremiums Akteneinsicht vor. Sie müsste von der gesamten Kontrollkommission beantragt werden. Und das soll es in ganz Deutschland noch nicht gegeben haben. «Wir würden uns lächerlich machen», sagt das Kommissionsmitglied für die CDU, Dierk Homeyer. Innenminister Jörg Schönbohm verweist darauf, dass «damit das Vertrauen anderer Dienste zu ihren Brandenburger Kollegen erschwert würde».
Der Chef der Kommission, Christoph Schulze (SPD), wirft Kaiser-Nicht nun eine «Strategie der Eskalation» vor. Und die CDU sieht sich in ihren Bedenken bestätigt, dass die PDS eine ehemalige inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit zur innenpolitischen Sprecherin machte. Der CDU-Abgeordnete Dierk Homeyer: «Wenn Frau Kaiser-Nicht ein Problem mit ihrer Vergangenheit hat und den Verfassungsschutz mit der Stasi verwechselt, soll sie die Pkk damit verschonen oder für eine Nachfolge sorgen.» Kaiser-Nicht zeigt sich empört über die «moralische Debatte» und fordert ihre Kollegen auf, ihren Aufklärungswillen zu verstärken. Sie wolle die Vorgänge im Gesamtzusammenhang nachvollziehen können statt in «unseriöser Arbeitsweise» informiert zu werden.
Festnahmen in Niederlehme
NIEDERLEHME — Rechtsgerichtete und ausländerfeindliche Parolen wurden Donnerstagabend lautstark vor einem Niederlehmer Einkaufsmarkt gegrölt. Bei den Tätern handelt es sich um drei junge Männer im Alter zwischen 17 und 21 Jahren. Alle standen unter erheblichem Einfluss von Alkohol. Polizeibeamte nahmen zwei volljährige Gröler vorläufig in Gewahrsam. Der jüngste Täter wurde seinen Eltern übergeben. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei zu dem Tathergang dauern an.
Wieder Schill-out in Bernau
Am Donnerstag den 22.08. kündigte Herr Ronald Barnabas Schill sein Kommen mittels großer Plakate in Bernau an. Geplant war eigentlich, zusammen mit Herrn Dirk Weßlau, Nr.1 der PRO-Partei in Brandenburg, Reden an die
interessierte Bevölkerung zum Wahlkampfauftakt zu halten.
Herr Weßlau, ein Bernauer Zahnarzt, hatte allerdings schon bei allen vorhergehenden Aktionen der Partei in Bernau mit Problemen zu kämpfen. Seine erste Veranstaltung, mit dem Ziel einen Ortsverband zu gründen, hat er leider
abgebrochen, scheinbar wollte er die vielen jungen Menschen nicht in den Reihen seiner Partei sehen, da auch bei allen folgenden Veranstaltungen viele Menschen anwesend waren die, irgendwie dann doch nicht in die Partei
eintreten wollten, hatte er wohl doch ein bißchen Muffensausen bekommen.
Gestern wurde der Marktplatz in Bernau schon um 15.00 Uhr abgebaut, die Marktverkäufer mussten den Vorbereitungen der Schill-Jünger weichen. Im Rathaus wurden Polizeikameras aufgebaut, in der ganzen Stadt Polizisten verteilt, im ganzen waren laut Polizeiangaben 119 Polizisten im Einsatz.
Dazu gab es in Vorbereitung der Ereignisse bereits am frühen Nachmittag eine Hausdurchsuchung in einer Privatwohnung und eine In-Gewahrsam-Nahme zur
Gefahrenabwehr. Allerdings brachte leider auch die Hausdurchsuchung nicht die verschwundenen 60 Schill-Plakate zum Vorschein.
Soweit war also der Martplatz vorbereitet, und gegen 16.30 Uhr fanden sich auch ca.300 Menschen auf dem Marktplatz ein um Senator Schill würdig zu begrüßen. Der Zucht-und-Ordnungs-Experte verspätete sich unhöflicherweise um
glatte eineinhalb Stunden. Da hatten all die interessierten Menschen wenigstens genug Zeit sich gegenseitig kennenzulernen, so wurden in der “Fascho-Ecke”
einige neue Gesichter entdeckt, und interessante Gespräche mit den wartenden Schill(d)bürger-Ordnern geführt, es ist erstaunlich das einige ihr eigenes Parteiprogramm noch nicht gelesen hatten, da sollten Dirki und Barnabas doch
nochmal durchgreifen. Als der Senator endlich mit einem Privatflugzeug gelandet war, wurde er von der Menge lautstark begrüßt. Die Begeisterung war
so groß und hielt auch während der Reden der beiden an, so das leider nichts zu verstehen war. Dafür schwenkten viele Plakate mit mutmachenden Sprüchen wie “Sozialhilfeempfänger abschieben”, “Todesstrafe ab 14”, “Frauen an den
Herd”, “Arbeitsplätze schaffen”, “Autobahnen bauen”, “Kiffer ins Arbeitslager”. So wurden allen Umstehenden doch die überzeugenden Inhalte der
PRO-Partei nahegebracht. Andere schwenkten allerdings Schilder auf denen Bernau zur “Schill-out-Zone” erklärt wurde. Herr Weßlau redete sich zum Schluß richtig warm und sprach von Wahlkreisgewinnen und 25% schaffen, das
wird die Zukunft ja sicher nicht zeigen. Von der fröhlichen Menge unüberhörbar begleitet zogen sie dann aber irgendwann auch wieder ab.
Die Polizei nahm kurz vor Ende der Veranstaltung doch noch vier Personen fest, ihre lautstarke Begeisterung war wohl zu groß und bedrohte die arischen Öhrchen der Schillianer, so lernten sie und ihre Jubelinstrumente kurzzeitig
die komfortablen Arrestzellen der Hussittenstadt kennen.
Soweit war es eine spaßige und erfolgreiche Aktion, Herr Weßlau konnte wieder seine glatte Politikerfratze nicht wahren, brüllte wütend alberne Sachen herum, die 30 Schillianer und interessierte Faschisten wirkten bei der Menge der Protestanten sehr verloren, so bleibt auch diesmal:
Schill-out! Bernau bleibt sauber! Keinen Fußbreit den Anzugfaschisten! Zahnarztbohrer zu Pflugscharen! Schillianer ärgern macht Spaß!
Antifa Bernau
(Inforiot) Im obigen Text wurden von uns sinnerhaltend einige Formulierungen abgeändert. Im Original steht der Text hier.
Zum Weiterlesen:
Schill verpasste seinen Auftritt am gleichen Tag in Frankfurt/Oder (GRAB, 23.08.)
Ärger um Schill-Besuch in Bernau — 26-jähriger wegen Plakatdiebstahl festgenommen (MoPo, 23.08.)
Ronald Schill lädt sich selbst in Bernauer Polizeiwache ein — Innenministerium prüft, ob es den Besuch gestatten muss (Berliner Zeitung, 22.08.)
Schillpartei-Plakate in Brandenburg zerstört / Anzeige erstattet (Berliner Zeitung, 20.08.)
Einen allgemeinen Überblick zu den Aktivitäten der Schillpartei im Land Brandenburg (und auch den vielfältigen Gegenaktionen) bekommst Du hier.
Anti-Schill-Aktivist festgenommen
Am 22.08.2002 beehrte Schill die Brandenburger Kleinstadt Bernau mit einem Besuch. Organisiert hatte die Kundgebung der in Bernau ansässige Zahnarzt Dirk Wesslau, der den Wahlkampf der Schill-Partei im Osten koordiniert. Gleichzeitig ist er deren Spitzenkandidat in Brandenburg und Direkkandidat im örttlichen Wahlkreis.
Eineinhalb Stunden vor Beginn der Kundgebung umstellten etwa 10 PolizistInnen das Haus von Thomas J. Ihm wurde eröffnet das er festgenommen sei, ein Haftbefehl lag nicht vor, eine Begründung wurde nicht gegeben. Drei
Kriminalbeamte erbrachten dann einen Hausdurchsuchungs-Befehl und durchstöberten dann die Wohnung nach Schill-Wahlplakaten. Dabei durchsuchten sie auch rechtswidrig die Räume der MitbewohnerInnen von Thomas J. Danach
wurde Thomas J. in die Bernauer Wache verbracht, wo er die nächsten fünf Stunden im Vorbeugegewahrsam zubringen durfte. Vorgeworfen wird ihm ausserdem der Diebstahl von insgesamt 60 Wahlplakaten der Schill-Partei die er in zwei
Nächten im gesamten Stadtgebiet entfernt haben soll. Natürlich gab es bei der Kundgebung trotzdem heftige Proteste, auch wenn die Kundgebung nicht völlig verhindert werden konnte. Ein Bericht darüber hier.
Zum Weiterlesen:
Ärger um Schill-Besuch in Bernau — 26-jähriger wegen Plakatdiebstahl festgenommen (MoPo, 23.08.)
Ronald Schill lädt sich selbst in Bernauer Polizeiwache ein — Innenministerium prüft, ob es den Besuch gestatten muss (Berliner Zeitung, 22.08.)
Schillpartei-Plakate in Brandenburg zerstört / Anzeige erstattet (Berliner Zeitung, 20.08.)
Einen allgemeinen Überblick zu den Aktivitäten der Schillpartei im Land Brandenburg (und auch den vielfältigen Gegenaktionen) bekommst Du hier.
(Inforiot) Der folgende Text behandelt Eindrücke, Gedanken, und Verbesserungsvorschläge über und für das Crossover Summer Camp, dass vor ein paar Wochen in Cottbus stattfand. Der Artikel stammt von Indymedia, ein Blick dort hin lohnt sich, um die Kommentare der LeserInnen anzuschauen. Der/die AutorIn ist unter der Mailadresse piratenutopie@uni.de zu erreichen. Andere Berichte vom Camp sind bei Inforiot einzusehen: Überblick über die Aktionen des Summercamps
Auswertung zum Crossover Camp in Cottbus
Eine Woche crossover campen sind vorbei & ich zurück mit vielen, widersprüchlichen Eindrücken, schönen Erfahrungen, Kritiken und Ideen, viele interessante Gespräche am Rande, trotz Versuchen zu experimentieren nervige (Mammut-)Plenas … und trotzdem keine Handlungsfähigkeit. Enttäuschung über meine eigene Passivität, Rollenzuschreibungen von außen, insgesamt aber auch viel Lust, sich in den crossover Prozess einzuklinken, beim nächsten Mal mehr Akzente Richtung hierarchiearmer Camporganisierung usw. zu setzen … ok, let s go!
Grundsätzliche Eindrücke und Atmosphäre
Weitestgehend angenehme Atmosphäre, eine schöne Diskussionskultur mit erfreulicher Abwesenheit von dominantem Redeverhalten — gegenüber Jena und Strassbourg wurde das summercamp von vielen positiv abgegrenzt. Einige Menschen meinten, sich im Gegensatz zur stark sexistisch aufgeladenen Atmosphäre in Strassbourg (Mackertum, Glotzen) sicher(er) zu fühlen, z.B. keine Angst zu haben, nackt herum zu laufen (es gab allerdings auch Menschen, die das verneinten). Neben der überschaubaren Größe des Camps ist ein Grund dafür sicher auch eine gewisse “Vorsortierung”, d.h. aufgrund der Themenschwerpunkte wie Antisexismus & Gender bestimmte Gruppen (Teile von Antifa-Zusammenhängen, Altautonome) gar nicht erst aufkreuzten. Zum einen wurde das Camp so stärker zu einem antisexistischen Freiraum, zum anderen fehlten so Menschen, mit denen Auseinandersetzung über (Anti-)Sexismus wichtig wäre. Schön war, dass die Männerdominanz gebrochen werden konnte … viele Frauen, relativ viele lesbische Wesen und insgesamt eine höhere Sichtbarkeit queeriger Menschen als auf anderen linxradikalen Events.
Organisierung des Camps
Bürokratisierung statt Selbstorganisierung
Ich war ziemlich genervt von der Durchstrukturierung, Vorgaben über Workshop- bzw. Aktionstage, die einfach so gesetzt wurden — das wirkte intransparent & erschlagend. Der Hinweis, dass Leute ja immer noch was eigenes, eigene Arbeitskreise machen könnten täuscht einfach über die Wirklichkeit hinweg, dass Selbstorganisierung nicht einfach da ist, sondern gezielt gefördert werden muss … mit Freiräumen, Open Space und Plattformen. Für mich hat das ganz deutlich der als “holiday” definierte Mittwoch ohne Programm gezeigt, der extrem abhängerig war und eben nicht “automatisch” dazu geführt hat, dass ganz viele Menschen die Campgestaltung selbst in die Hand nehmen. Neben aller Strukturkritik hatte ich auch das Gefühl, dass es vielen eher um privates Camping mit radikalem Vorzeichen ging denn um die aktive Gestaltung eines Freiraumes. Wahnsinnig zeitfressende und bürokratisierte Abstimmungsprozesse (“Sind alle dafür, die Gruppe zu teilen?”) zu Verfahrensfragen in Plena, Workshops oder Arbeitsgruppen fand ich extrem nervig, abschreckend … all das führte während dessen sichtbar dazu, dass viele Leute die Lust verloren, weggingen. Das Durchsetzen von Kleingruppen bei dem Workshop zu Antisexistischer Praxis am Freitag war z.B. sehr anstrengend. An dieser Stelle wurde auch offensichtlich, wie viel geiler & effektiver ein Open Space gewesen wäre. Auch war wieder spürbar, dass kein Bewusstsein darüber besteht, für was Plenas und große Runden sinnvoll sind, z.B. das Transparentmachen, wo es welche Infos gibt. In der Camppraxis wurden dann aber immer diese Infos selbst ausführlichst erörtert & das Plenum dadurch aufgebläht. Wo es z.B. Brot abzuholen gibt ist nur für die interessant, die darauf Bock haben, d.h. wichtig ist zu wissen, wo ich die Infos dazu bekommen kann.
Verbesserungsvorschläge:
Open Space als Strukturmodell: d.h. es ist selbstverständlich, dass Menschen, die einen neuen Themenstrang spannend finden, einfach gehen (können), sich ständig neue Kleingruppen bilden, wieder zusammen kommen, Crossovers entstehen usw. An einem zentralen Ort gibt es Infowände, die Transparenz darüber herstellen, wo was geht, und Möglichkeiten bieten, neue AKs anzukündigen, Protokolle gelaufener Workshops einzusehen. So eine Struktur für ein nächstes Camp (vielleicht auch nur für zwei, drei Tage) fände ich schön.
Crossovers fördern: Dass es kaum Verknüpfungen zwischen einzelnen Workshops gab, lag m.E. auch an dem statischen Modell isolierter Arbeitskreise selbst. Open Space und kleinere Querschnittplena könnten da helfen. Eine konkrete Idee von mir: Zwei oder mehr Arbeitskreise verabreden sich zum gemeinsamen Treffen. Dort bilden sich dann Tuschelrunden mit je einer Person aus jedem Arbeitskreis, die sich austauschen (entweder allgemein oder zu konkreten Fragestellungen). Vorteil: Gleichberechtigtere Redesituation, weniger Monologe und sehr intensiver Infoaustausch in kurzer Zeit. Diese Methode bietet sich auch innerhalb von größeren AKs als Alternative zu Austauschplena nach Kleingruppenphase an.
Plattformen schaffen: Möglichkeiten und Ressourcen zur Verfügung stellen, die einladen, sich selbst zu organisieren, aktiv zu werden, z.B. Direct Action Zelt, offene Presseplatform, Campradio und. ‑Zeitung, Computerecke …
Entscheidungsfindung und (In-)Transparenz
Aus meiner Sicht gab es einige Intransparenzen in der Planung, z.B. war nie bekannt, wer wo welches Organisationsmodell diskutierte. Bei der Vorstellung auf dem Auftaktplenum war klar, dass daran grundsätzlich nichts mehr zu rütteln war, auch wenn das Ganze immer als Vorschlag umschrieben wurde. Gut fand ich, dass sich auf dem Camp selbst um Transparenz bemüht wurde, d.h. meines Wissens alle (Vorbereitungs-)Treffen angekündigt wurden. Schön fand ich auch die Idee, mit Fish Bowl zu experimentieren, auch wenn ich den Einsatz der Methode nicht gelungen fand, was u.a. einfach am Mangel an Erfahrung damit liegen mag. Ein paar Punkte dazu: Fish Bowl ist nicht einfach ein Ersatz für das Plenum aller. Die Kombination von Bezugsgruppen und Fish Bowl macht Sinn für Situationen, wo konkrete Entscheidungen zu treffen sind oder es darum geht, dass autonome Teil- bzw. Aktionsgruppen sich koordinieren. Aktionsgruppen hat es aber nie gegeben, was ich sehr schade fand. Große Runden, bürokratische Abstimmungsprozesse … all das förderte Dominanz und schon aufgrund Dauerkopfschmerzen war es extrem anstrengend für mich, dabei zu bleiben. Bezeichnend ist, dass stundenlangem Zerlabern kaum Handlungsfähigkeit gegenüber stand, mehrere Tage gebraucht wurde, um zu entscheiden, ob Presse auf s Camp darf oder nicht. überrascht war ich, dass Ideen zur überwindung der Dominanz von Riesenplenas im Gespräch sehr gut ankamen, schade, dass es keine praktischen Konsequenzen gab oder diese gepusht wurden.
Verbesserungsvorschläge:
Plenum entmachten — Handlungsfähigkeit und Autonomie fördern: Weg vom Plenum aller, Orientierung auf autonome Teilgruppen, Betroffenenstrukturen. Statt das Plenum wichtig zu machen eine Praxis entwickeln, Prozesse direkt durchsetzen … Handeln statt Zerlabern, dass dann transpa
rent machen. Das Plenum dient dann nur noch zum Bereitstellen von Informationen bzw. dem Formulieren von Fragestellungen für anstehende Entscheidungen. Wichtig sind Infowände, die genau erklären, wo es welche Anlaufstellen gibt, möglichst an einem Ort, den alle sowieso besuchen … Plenumszelt, Küche, Klo usw.
Transparente Vorbereitung: Für das nächste Camp gibt es eine offene Gruppe oder AG, die im Vorfeld Ideen und Methoden entwickelt, wie sich das Camp organisieren kann … mit offenen Treffen und Transparenz im Internet usw. Auch ansonsten fände ich es super, statt einer Zentrale viele, aufgaben-/themenbasierte Vorbereitungsgruppen zu haben.
Transparente Vordiskussionen: Fragen wie z.B. der Umgang mit Presse können im Vorfeld von Arbeitsgruppen oder über Diskussionsforen diskutiert werden, die dann einen Vorschlag ins Camp hinein tragen.
Direct Action
1.1 Workshop zu DA
Sonntag gab es einen Workshop zu “Direct Action, Dekonstruktion und Gender” mit etwa 20 Leuten. Die Einführung bildete zu einen ein theoretischer Teil Zweigeschlechtlichkeit, Sexismen und diskursiver Herrschaft … entlang der Frage, wie Zweigeschlechtlichkeit und sexistische Rollen immer wieder reproduziert werden. Wichtig dafür war eine moderne Herrschaftskritik, da patriarchale Verhältnisse nicht von oben (“den Herrschenden” usw.) durchgesetzt werden, sondern über Diskurse, die sich überall in Gesellschaft und unseren Köpfen wieder finden und deren Fortbestehen wir alle Teil haben. Zum anderen gab es die Vorstellung von Direkter Aktion als Mittel, Normalität zu durchbrechen und so Raum zu öffnen für die Vermittlung antisexistischer Positionen, Entwürfen einer Welt nach den Geschlechtern usw. Es ging darum zu zeigen, dass Kritik an Zweigeschlechtlichkeit und sexistischen Normen nicht zwingend ein rein akademischer Diskurs bleiben muss. über bunte Aktionen und die Kunst der Vermittlung (Flugblätter, Transpis, verstecktes Theater, Fakes, Blockaden usw.) können auch radikale, komplexe Inhalte transportiert und zu Denkanstössen werden. Die Herausforderung liegt gerade in der Verknüpfung von widerständigen Aktionen, Kritiken und Gegenbildern zur patriarchalen, (hetero-)sexistischen Normalität.
Daran anschließend bildeten sich drei Kleingruppen, eine zu Homophobie und Rassismus, eine zur Planung konkreter Aktionen und eine dritte, die eher einen theoretischen Zugang zur Frage suchte, was Ansatzpunkte und Praxen wären, die Geschlecht hinterfragen usw. Dabei ging es u.a. um die Inszenierung von Geschlecht über Kleidung, Körpersprache und Bewegungen und Möglichkeiten, Zuordnungen in Frage zu stellen … z.B. mittels Cross-Dressing. Während dessen wurden in der umsetzungsorientierten Kleingruppe zwei Aktionsideen näher ins Auge gefasst, die am Montag dann ansatzweise umgesetzt wurden. Zum einen Queer shopping … ein Pärchen, z.B. eine Frau und ein als Frau inszenierter Typ gehen einkaufen, lassen sich über Nagellack, BHs beraten. Zwei weitere, “normal” wirkende Personen folgen, versuchen Gespräche anzuzetteln, stellen Nachfragen. Zum anderen verstecktes Theater zu geschlechtsspezifischem Spielzeug … Ein voll bepackter Einkaufswagen, oben drauf Barbie und Kriegsspielzeug. Eine Person fragt nach, warum mensch denn Barbie kaufe, wo diese doch für frauenfeindliche Klischees stehe; weitere Menschen mischen sich ein in der Hoffnung, die Situation auf unbeteiligte Konsumentis auszuweiten.
Am Montag bewegten sich dann mehrere kleine und größere Gruppen in die Innenstadt. Bei H&M wurden Herren und Damenwäsche massenweise vertauscht … irgendwann dann der Rausschmiss durch das Personal, dabei wenig Vermittlung (es gab ein Flugi), obwohl gerade an dieser Stelle viel möglich gewesen wäre, offensives Eingehen auf die repressive Maßnahme (“Aha, sind die hier doch nicht so modern … immer noch klare Zweiteilungen, wie?”). Das queer shopping haderte daran, dass die zwei “unbeteiligten” Personen fast immer mit dem Pärchen in Verbindung gebracht wurde, da alle “alternativ” aussahen — eine bessere Verkleidung wäre nötig gewesen. Zur Barbieaktion: Obwohl die geplante Aktion nie zu stande kam (weil keine Kassensituation mit Blockademöglichkeit), entstanden spontan einige lustige Situationen in der Spielzeugabteilung. Auf die Nachfrage, ob es auch weibliche Actionfiguren gäbe kam von einem Verkäufi die Antwort, dass es da nur eine Barbie mit Pony gäbe …
Mein Eindruck insgesamt: Hoher Funfaktor bei den Aktionen, aber kaum bis keine Vermittlung. Die Konfusion, die durch das Vertauschen von geschlechtsspezfischer Kleidung oder durch halbnackte Menschen in Läden entstanden ist, ist nicht genutzt worden, um inhaltlich zu vermitteln, Diskussionen zu starten, so dass kaum klar geworden sein dürfte, warum wir uns so verhalten, das Bild verrückter Jugendlicher übrig blieb. Nach der Rückfahrt im Camp war ich dementsprechend unzufrieden, niedergeschlagen. Gründe dafür waren aus meiner Wahrnehmung die fehlende Verankerung von Direkter Aktion, praktischer Erfahrungen und wenig Reflexion über die Ziele und Inhalte von Widerständigkeit. Dazu kam eine schlechte Vorbereitung: Die queer shoppis fanden sich z.B. erst zwei Stunden vor der Aktion zusammen. Leider gab es weder Auswertung, noch einen weiteren Prozess. Mehr Zeit und bessere Infrastruktur hätte meine Motivation erheblich erhöht. Richtig gut fand ich dagegen, dass es überhaupt den Versuch gab, direkte Aktionen zu Antisexismus und Dekonstruktion von Geschlecht umzusetzen … vielleicht ist das für viele ein Kick, mehr in diese Richtung auszuprobieren.
Verbesserungsvorschläge:
Direct Action Infopoint: Es geht nicht darum, im Vorfeld einfach konsumierbare Aktionen für andere zu planen, sondern Plattformen zu schaffen, Möglichkeiten für Menschen und Gruppen, ihre eigenen Aktionen zu entwickeln und umzusetzen. Konkrete Ideen von mir wäre ein Direct-Action-Zelt mit Infrastruktur (Computer, Drucker), Materialien, Infostand und Infowand mit Aktionsideen usw. Von hier aus könnten sich immer wieder Arbeitskreise oder Gruppen für konkrete Aktionen zusammen finden.
Innere Sicherheit auf dem Camp
Grenzkontrollen
Ich selber habe mehrere Schichten am Eingang des Camps verbracht — wobei mir einiges übel aufgestossen ist: Immer wieder wurden Leute, die nicht szenig aussahen abgewiesen, weg geschickt, manchen wurden einfach nur abschreckende Geschichten über das Camp erzählt (“Das hier ist was für schwul-lesbische Leute”). Ein Mensch aus Berlin ohne gelabelte Klamotten wurde bei der Ankunft mehrmals gefragt, was er denn hier wolle — dass ist abschreckend und daneben. Bei unbedarften Neueinsteigis dürfte das nicht gerade die Lust wecken, sich auf Bewegungszusammenhänge einzulassen. Ähnlich scheiße fand ich den Wirbel um zwei nicht-deutsche Personen, die einfach nur jemenschen auf dem Camp besuchen wollten. Das zog sich weiter bis dahin, das Menschen angepöbelt wurden, weil sie zu einer Party auf dem Camp zwei Motorradfahris rein gelassen hatten, die sie nicht kannten. Von Offenheit gegenüber neuen Leuten und interessierten “Normalis” war wenig zu spüren.
Das ist für mich einfach die Denklogik von Polizei, Türstehis vor Discos usw. — hier besteht kein struktureller Unterschied zu rassistischen BGS-Kontrollen. Ich habe Menschen (leider zu wenige und auch nicht so offensiv) darauf hingewiesen, fand es krass, dass dieser Ausschluss- und somit Herrschaftsmechanismus überhaupt nicht wahrgenommen oder sogar verteidigt wurde (“Wir sind so was wie eine Camppolizei”). Das ist der herrschende Sicherheitsdiskurs! Die Angst vor sexistischem, diskriminierendem Verhalten, übergriffen usw. kann kein Argument sei
n, unbekannte Menschen abzuweisen. Ginge es darum, müßten ALLE Campteilis vorher genau “durchgecheckt” werden — denn linksradikal codierte Klamotten sind wohl kaum Indiz für antisexistisches Verhalten. Daneben macht die Fixierung auf die “richtigen” Dresscodes es VS-Spitzeln oder Nazi-Auskundschaftis sehr leicht, aufs Camp zu kommen. Und mit solchen Argumentationen hätte mensch auch das Aufstellen von Kameras legitimieren können.
Ein offenes Aufklären über den Charakter des Camps, damit die Menschen selber entscheiden können, habe ich nur selten erlebt . Obwohl gerade das nach meiner Erfahrung bei vielen zu der Erkenntnis geführt hat, dass das summercamp nicht ihr Ding ist … mit massenhaftem Besuch war also nicht zu rechnen. Hier wäre ein Infoflugi hilfreich gewesen — mehrere Interessierte fragten so etwas an. Im Nachhinein bin ich enttäuscht von mir, dass ich meine Kritik nicht auf dem Camp stärker eingebracht habe, z.B. als Verbesserung des Schutzkonzeptes oder Workshop zu Herrschaft(skritik) auf dem Camp, Alternativen dazu usw. Keine Grenzkontrollen, keine TürsteherInnen!
Verbesserungsvorschläge:
Direkte Intervention statt Grenzkontrollen: Statt Polizeistrukturen ist das Achten auf “unliebsame” Personen die Aufgabe aller. Auf Menschen, bei denen Unsicherheit besteht, zugehen, Gespräche anfangen — der direkte, persönliche Kontakt wird am ehesten dazu führen, dass gespieltes Verhalten auffliegt. Auf dem Camp Workshops zu “Zivis enttarnen” anbieten.
Schutzkonzept überdenken: Im Nachhinein hatte ich viele Gespräche mit Campteilis und anderen (Leuten, die in Strassbourg waren) dazu, die ähnliche Probleme mit dem Schutzkonzept hatten, keine “Wichtig”-Struktur haben wollen. Viele Fragen tun sich für mich auf, z.B. ob die Annahme eine Nazi-Angriffs auf ein linksradikales Camp mit 200 Leuten nicht sehr unwahrscheinlich war (bisher gab es so etwas nicht, und gerade ein fettes Camp mit vielen Leuten ist nicht gerade einladend für Angriffe), ob das nicht stark an den herrschenden Sicherheitsdiskurs angelehnt ist, der auch ständig Feindbilder produziert, um Polizei, Knäste usw. zu rechtfertigen. Bisher fehlt mir noch eine klar umrissene Alternative, wichtig finde ich, Handlungsfähigkeit der Menschen und Bezugsgruppen zu stärken, d.h. Wissen über Selbstverteidigung, Schutzmöglichkeiten und Notfallmaßnahmen (Brandsätze löschen usw.) zu vermitteln. Für alles weitere hoffe ich auf konstruktive Diskussionen.
Sexismus
Antisexistische Praxis auf dem Camp
Ich fand es gut, eine Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter übergriffe zu haben, als Signal für Menschen, dass es Leute gibt, die sich zutrauen, Hilfe und Unterstützung zu bieten — ohne dass erst ein übergriff passiert sein muss. Krass fand ich allerdings, dass darüber hinaus keine Interventionsformen benannt wurden. An keiner Stelle wurde an die Verantwortung aller Campteilis appelliert oder Möglichkeiten direkter Intervention benannt, alltägliche Sexismen wie dominantes Redeverhalten, Mackertum, Anmache oder Spannen anzugehen. So wirkte es wie eine Stellvertretistruktur mit klarer Zuständigkeit, an die Verantwortung abgeschoben werden kann.
Schade fand ich auch, dass ausschließlich Worst-Cases diskutiert wurden — zum einen sind niedrigschwellige Sexismen gerade der Rahmen für sexualisierte übergriffe, zum anderen bietet die Verkürzung Möglichkeiten, sich selbst vom Feindbild Vergewaltiger abzugrenzen und eigene diskrimierende Verhaltensweisen auszublenden. Die Idee, TäterInnen über Nacht im Schutzzelt zu “internieren” erinnerte mich übrigens stark an polizeilichen Gewahrsam — auch an dieser Stelle war der Diskurs identisch mit der Herrschaftsstruktur Polizei.
Rauswurf
Am Freitag wurde ein Typ vom Camp geschmissen. Zwei Frauen (die mit ihm zusammen gewohnt hatten) hatten dessen Rauswurf gefordert, mit der Begründung von sexistischem Verhalten des Typen in der Vergangenheit. Dieses wurde von ihm im Gespräch mit Leuten der Ansprechstruktur auch nicht geleugnet, wobei nie klar benannt worden ist, was genau passiert ist.* Bei mir haben sich im Verlauf einige Kritiken angesammelt, gerade auch im Austausch mit anderen Campteilis, die auch so ihre Probleme mit dem Vorgang hatten. Gründe für mein Schweigen sind Angst und Unsicherheiten.
Die Personen, die den Vorwurf äußerten, waren meines Wissens nach keine unmittelbar Betroffenen — das Definitionsrecht der betroffenen Person traf für diesen konkreten Fall also gar nicht zu, obwohl sich die Ansprechstruktur dementsprechend verhalten hat (Rauswurf ohne Möglichkeit zur Diskussion im Vorfeld). Zudem bezog sich der Vorwurf nicht auf einen übergriff auf dem Camp, sondern auf seine Vergangenheit. Damit soll nichts schön geredet werden, zu mindestens ist aber die Frage zu stellen, ob Menschen nicht auch in der Lage sind, sich zu verändern. Zumal mir der konkrete Vorwurf von unterschiedlicher Seite (den Frauen, Leuten von der Ansprechstruktur) ganz anders berichtet wurde .… von sexistischem Verhalten in Beziehungen bis zu Vergewaltigung. Dass im Plenum dann “Täter-Biographie” als Begründung ausreichte und die reibungslose Durchsetzung des Rauswurfs auch noch abgefeiert wurde fand ich irgendwie schräg.
Dieser Fall ist nie diskutiert worden. Deshalb fand ich es scheiße, dass die Anlaufstelle eigenmächtig für das gesamte Camp gehandelt hat, ohne dabei wenigstens Transparenz herzustellen, die Möglichkeit einer Diskussion zu bieten, wie im Plenum “verabschiedet” — hier sind Absprachen gebrochen worden. All das verweist insgesamt auf die Unzulänglichkeit von Verregelungen und auf die Notwendigkeit sozialer Prozesse. (Intersanter Text dazu, der in allen linken Medien per Sexismusvorwurf wegzensiert wurde: www.projektwerkstatt.de)
*Hier geht es nicht darum, detaillierte Beschreibungen einzufordern. Ein konkreter Tatvorwurf sollte aber schon benannt werden. Wenn der Vorwurf von Sexismus selbst bereits ausreicht, um Menschen auszuschließen fände ich das eine erschreckende Entwicklung.
Persönliche Filme
Kaum Einbringen in Prozesse auf dem Camp
Der DA-Workshop am Sonntag war eigentlich ein schwungvoller Einstieg, auch wenn die Umsetzung am Montag für mich unbefriedigend war. Mittwoch hab ich mich von der abhängerigen Stimmung anstecken lassen, hab mich genervt immer mehr aus plenaren Prozessen raus gezogen … all das wurde mir immer gleichgültiger, was ich krass fand und nicht der Umgang ist, den ich mir wünsche. Viel geredet habe ich mit anderen über Kritiken am Camp und Verbesserungsvorschlägen. Enttäuscht und verärgert bin ich jetzt, wie wenig ich & mein Umfeld sich mit ihren Kritiken und konstruktiven Ideen eingebracht haben, obwohl ich dabei sehr genaue Vorstellungen hatte. Vom offensiven Anstossen von Prozessen, Einbringen von Organisierung von unten oder Versuchen, kleinere Veränderungen zu bewirken, war nichts zu spüren. Viel wäre möglich gewesen … z.B. kurze Statements im Plenum und dann (Reflexions-)AKs zu hierarchiearmer, unbürokratische Camporganisierung ohne Riesenplena usw., alternativen Schutzkonzepten oder antisexistischer Praxis auf dem Camp.
Klar ist, dass ich mein Verhalten nicht mit der Passivität bzw. fehlenden Unterstützung anderer rechtfertigen kann. Ich fühlte mich allein gelassen … definitiv fehlte mir die Unterstützung von anderen, um mit Ängsten umzugehen, Ansagen in Plenas zu machen usw. Irgendwie gab es so gar keinen gemeinsamen Prozess (Ausnahme: Infostand, Wahl) unter uns (Leute aus der Organisierung von unten Debatte). Und es war für m
ich nicht sonderlich aufbauend, immer wieder zu merken, in der Rolle des Initiators zu stecken, dass ich jedes Nachbereitungstreffen, jeden AK selber hätte ankündigen müssen, damit irgend etwas läuft. Mein “Aussetzen” ist zwar kein Umgang mit dem Problem, aber irgendwie verständlich. All das endete mit dem Desaster, dass trotz Wissens sich niemensch für die Verteilung der 500 Macht Nix! verantwortlich gefühlt (ich eingeschlossen) hat, deren Verbleib ungewiss ist. Kotz! Keine Lust mehr, als selbstbezogene Lästerrunde zu verbleiben, die sich aus den Prozessen raus zieht … ich hätte dass auf dem Camp aufbrechen sollen, scheiße. Nun, Lerneffekt fürs nächste Mal; ansonsten hoffe ich auf einen Austausch dazu mit anderen Menschen beim OVU-Treffen usw.
Machtnetze angreifen? Fehlende Crossovers …
Herrschaftskritik mit Ausblendungen: Sowohl in den Texten zur Selbstdarstellung, der Conference und dem Camp in Cottbus dominierte die Dreierauswahl Sexismus, Rassismus und Antisemitismus (manchmal auch Kapitalismus). Das ist zwar besser als in vielen altlinken Kreisen und greift Ein-Punkt-Logiken zum Teil an, fördert aber auch die Bildung neuer Hauptwidersprüche (“Triple Opression”). Vom Anspruch umfassender Analyse gegen Herrschaft ist das weit entfernt: Krüppel, behindert definierte Menschen werden zumindest erwähnt. Die durchgehende Unterdrückung von Kindern (In Form von Entmündigung, Diskriminierung, Erziehung, Gewalt) existiert aber auch in der Crossover Debatte nicht — so wie diese krassen Dominanzverhältnisse überall in linker Debatte kaum sichtbar sind. Auch Psychatrisierung von Menschen fehlt weitestgehend.
Keine praktischen Perspektiven: Es gibt kaum Debatten um Widerstand, überlegungen zur Praxis … von Organisierungsformen, Hierarchieabbau, Direkten Aktionen, Freiräumen usw. Teilweise konnte dies auf dem Camp zumindest in puncto Aktionen durchbrochen werden, wobei es schon klare Trennungen gab (Instrumentalisierung von Direct Action Zusammenhängen).
Ich hoffe, dass das hier als konstruktive Kritiken verstanden werden, in denen ich mich selbst immer auch einschließe, und jetzt natürlich auf produktiven Austausch und Debatten.
Mehr Bewegung, mehr Crossovers, mehr Widerständigkeit!